Nachdem die belgische Uhrenherstellerin TKS SA die Wortmarke “ICEWATCH” in Klasse 14 angemeldet hatte, hatte Swatch AG Widerspruch gegen die Eintragung erhoben. In der Folge hatten sich die Parteien in einer Abgrenzungsvereinbarung darüber verständigt, dass TKS die Wortmarke weltweit stets nur auf zwei Zeilen “ICE / WATCH” oder — bei Produktbeschreibungen — mit Bindestrich “ICE-WATCH” darstelle. Im Gegenzug zog Swatch den Widerspruch zurück.
Im Juni 2009 kündigte Swatch die Abgrenzungsvereinbarung nach mehreren Verstössen fristlos und ohne Abmahnung. Seither sind diverse Widersprüche erfolgt. TKS klagte darauf vor dem HGer BE gegen Swatch AG und stellte vier Rechtsbegehren:
- Feststellung, dass die Kündigung wirkungslos sei;
- Feststellung, dass die Abgrenzungsvereinbarung gültig sei;
- Verbot bestimmer weiterer Widersprüche;
- Befehl zum Rückzug bestimmter Widersprüche
Das HGer BE hiess die Klage weitgehend gut. Das BGer weist die Beschwerde von Swatch gegen dieser Urteil weitgehend ab, mit Ausnahme aber einer in einem Punkt falschen Vertragsauslegung des HGer, was zur Rückweisung der Sache an das HGer BE führt.
1. Feststellungsbegehren / ‑interesse
Ein Feststellungsinteresse ist ein erhebliches und schutzwürdiges Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur an der sofortigen Feststellung des Bestands oder Nichtbestands eines Rechts oder Rechtsverhältnisses. Das lag hier (vor BGer) unbestritten vor, weil TKS wegen der Ungewissheit über die Gültigkeit der Abgrenzungsvereinbarung nicht wusste, ob sie ihre Marke zulässig Weise verwende und an dieser festhalten solle. Sie brauche auch für künftige zivilrechtliche Streitigkeiten Klarheit über das Verhältbis zwischen den kollidierenden Marken. Die Fortdauer der Ungewissheit war damit unzumutbar und durch Feststellungsurteil behebbar.
Unbestritten — vor BGer — war ferner die Erwägung, eine an sich zulässige Leistungsklage sei vorliegend nicht ausreichend, weil der Bestand der Abgrenzungsvereinbarung rechtskräftig im Dispositiv und nicht nur in den Erwägungen beurteilt werden müsse. Das BGer bestätigt diese Erwägung dennoch ausdrücklich und unter Hinweis auf BGE 121 III 474 E. 4a.
Schliesslich war ein Feststellungsinteresse auch nicht durch verzögertes Handeln entfallen (maW: durch ein gewisses Zuwarten wurde die Fortdauer der Ungewissheit hier nicht zumutbar).
Zuletzt hält das BGer fest, dass der Bestand eines Kündigungsrechts den Bestand oder Nichtbestand eines Rechts betreffe und daher grundsätzlich Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann.
2. Verpönte anti-suit injunctions? Frage (halb) offengelassen
Swatch AG hatte vor BGer ferner vorgebracht, mit Rechtsbegehren 3 und 4 (Verbot neuer Widersprüche und Befehl zum Rückzug bestehender) handle es sich um Prozessführungsverbote (“anti-suit injunctions”), mit denen auf unzulässige Weise in die Kompetenz des Zielgerichts eingegriffen werde. Das BGer schneidet die Zulässigkeit von Prozessführungsverboten nur (aber immerhin) an. Im Bereich des LugÜ (bzw. EuGVÜ) hat der EuGH mit Urteil iS Turner c. Grovit Prozessführungsverbote als unzulässig erachtet. Das ist für die Schweiz im Anwendungsbereich des LugÜ verbindlich, aber ausserhalb des LugÜ ist, so das BGer, die Frage offen. Die schweizerische Lehre stehe Prozessführungsverboten aber überwiegend ablehnend gegenüber. Nachdem das BGer die dafür angeführten Argumente darstellt, hält es jedoch fest, die Frage könne offengelassen werden:
Vorliegend gehe es gar nicht um Prozessführungsverbote, sondern um die vertragliche, also materiellrechtliche Duldungs- bzw. Unterlassungsverpflichtung in der Abgrenzungsvereinbarung. Es gehe insbesondere weder um um eine Zuständigkeitsregelung (das wäre allenfalls ein Prozessführungsverbot) noch um einen Vergleich, in dem sich die Parteien verpflichten, über den Streitgegenstand nicht mehr zu prozessieren (auch das wäre wohl auch ein Prozessführungsverbot) — vorliegend gehe es um wesentlich mehr, nämlich um einen generellen Verzicht der Swatch AG auf die Geltendmachung ihrer Prioritätsrechte, ausserhalb eines bestimmten Verfahrens. Das falle nicht unter den Begriff des Prozessführungsverbots.
Abschliessend hält das BGer fest, dass eine Qualifikation der erlassenen Anordnungen als (unzulässige) anti-suit injunctions dazu führen würde, dass TKS die Durchsetzung der Abgrenzungsvereinbarung verunmöglicht würde — diese Befürchtung lässt sich wohl als weiterer Hinweis auf Zweifel an der Zulässigkeit der Prozessführungsverbote auch ausserhalb des LugÜ deuten.
3. Kündigung von Abgrenzungsvereinbarungen
Das BGer geht davon aus, dass Abgrenzungsvereinbarungen grundsätzlich unkündbar sein müssen, weil sie das Wiederaufflammen des Konflikts anders nicht verhindern können:
Unabhängig davon ist eine Abgrenzungsvereinbarung, wie bereits dargelegt wurde (Erwägung 6 vorne), ihrem Wesen nach unkündbar, andernfalls sie ihren Zweck einer endgültigen und dauernden Beilegung eines bestehenden oder zumindest nicht auszuschliessenden Konflikts nicht erreichen könnte. Dies entspricht der einhelligen Lehre und wird namentlich auch unter dem Gesichtswinkel einer übermässigen Bindung im Sinne von Art. 27 ZGB als unproblematisch betrachtet.
(Auch der über einen Vergleich hinausgehende Regelung des zukünftigen Gebrauch des jüngeren Kennzeichens könne im Übrigen nicht als kündbarer Lizenzvertrag qualifiziert werden.)
Dennoch sind auch Abgrenzungsvereinbarungen aus wichtigen Gründen ausserordentlich kündbar.
Das HGer BE hatte im konkreten Fall ein Kündigungsrecht aber verneint, weil Swatch AG der TKS nicht zuvor Frist zur Behebung des vertragswidrigen Zustands iSv OR 107 angesetzt hatte. Das ist bundesrechtswidrig, wie das BGer festhält:
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz, welche die Beschwerdeführerin zu Recht rügt, darf das Recht auf Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass die kündigende Partei zuvor eine Frist zur Behebung des vertragswidrigen Zustands bzw. zur Vertragserfüllung im Sinne von Art. 107 OR ansetzt. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht die Möglichkeit zu einer sofortigen Vertragsauflösung vielmehr unabhängig von einem — im vorliegenden Fall nicht erfolgten — Vorgehen nach Art. 107 ff. OR, und nicht bloss als subsidiäre Möglichkeit, wie die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat.
Das heisst nicht, dass Abmahnungen hier bedeutungslos wären; im Gegenteil können auch weniger schwerwiegende Umstände eine Fortsetzung des Vertrags unzumutbar machen können, wenn sie trotz Abmahnung wiederholt vorkommen.
Das HGer BE hatte die von Swatch AG angeführten Vertragsverletzungen daraufhin geprüft, ob diese eine ausserordentliche Kündigung rechtfertigen, und dies verneint. Hier hatte Swatch AG Erfolg. In einem Punkt hatte die Vorinstanz die Vereinbarung falsch ausgelegt und eine Vertragsverletzung zu Unrecht verworfen (die Erlaubnis, den Domainnamen www.ice-watch.com zu gebrauchen und zu erwähnen, umfasst bei richtigem Verständnis nicht den markenmässigen Gebrauch des Domainnamens).
Weil ein Kündigungsrecht sich aus anderen Gründen nicht klar ergibt und deshalb alles auf diese zu Unrecht missachtete Verletzung ankommt, weist das BGer die Sache an das HGer zurück.
4. Konkludente Annahme einer Kündigung (OR 115)
Insbesondere war die Kündigung nicht stillschweigend akzeptiert worden, auch nicht durch einmonatiges Schweigen nach Erhalt des Kündigungsschreibens. Die Regel, dass ein Schuldner bei zu kurz bemessener Nachfrist iSv OR 107 I unverzüglich protestieren muss, ist auf eine Kündigung nicht analog anwendbar. Im Gegenteil ist für das Zustandekommen eines (konkludenten) Aufhebungsvertrags iSv OR 115 erforderlich, dass ein Verhalten nach der allgemeinen Lebenserfahrung und Verkehrsanschauung den Schluss auf einen Verzichtswillen begründet erscheinen lässt, d.h. dass der Wille auf einen endgültigen Verzicht klar zum Ausdruck kommt. Das war hier nicht der Fall:
Gerade wenn der Beschwerdegegnerin viel am Fortbestand der Abgrenzungsvereinbarung gelegen war, ist es zumindest nachvollziehbar, dass sie auf die ausgesprochene Kündigung nicht unverzüglich reagierte, sondern sich ihr Vorgehen nach den in einem solchen Fall erforderlichen Abklärungen reiflich überlegte und die Sache einem Anwalt anvertraute.
5. Wirksamkeit einer unberechtigten Kündigung
Nicht ganz geklärt ist die Frage der Wirkung einer unberechtigten Kündigung. In BGE 133 III 360 hat das BGer für einen Lizenzvertrag festgehalten, eine vorzeitige Kündigung wirke nur dann — mit Ausnahme von gesetzlich geregelten Fällen -, wenn sie gerechtfertigt sei; andernfalls bleiben die vertraglichen Verpflichtungen bestehen. Das BGer lässt offen, welches die Tragweite dieses Urteils (das von Kull SJZ 2011, 245 ff., kritisiert wurde) sei. Zumindest in Vereinbarungen, die im Wesentlichen gegenseitige Duldungs- und Unterlassungspflichten vorsehen, müsse von der grundsätzlichen Wirkungslosigkeit einer unberechtigten Kündigung ausgegangen werden:
Es erübrigt sich im vorliegenden Fall allerdings, auf die entsprechende, stark auf Vertriebsverträge ausgerichtete und insoweit hier nicht einschlägige Argumentation von KULL näher einzugehen. Denn in casu — wie in BGE 133 III 360 — liegt kein Vertragsverhältnis vor, in dem sich eine Vielzahl von positiven Leistungspflichten gegenüberstehen, deren faktische Durchsetzbarkeit bei gestörtem Vertrauensverhältnis fraglich erscheinen könnte. Vielmehr beschränken sich die Vertragspflichten […] im Wesentlichen auf gegenseitige Duldungs- und Unterlassungspflichten. Selbst KULL […] lehnt denn auch für einen solchen Fall einen Vertragsfortbestand nach einer ungerechtfertigten Kündigung bzw. bis zur definitiven richterlichen Beurteilung der Kündigung nicht ab […]. Auch im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar und wird von der Beschwerdeführerin nicht dargetan, aus welchen Gründen deren Interesse, sich wegen eines allenfalls gestörten Vertrauensverhältnisses nicht real an ihre Unterlassungspflichten aus der Abgrenzungsvereinbarung halten zu müssen, gegenüber dem aus dem Grundsatz “pacta sunt servanda” fliessenden Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Realerfüllung der vertraglichen Unterlassungspflichten der Vorzug gegeben werden sollte […]. Die “Rechtssicherheit” verlangt im vorliegenden Fall vielmehr, dass sich die Beschwerdeführerin nicht durch eine ungerechtfertigte Kündigung von ihrer Dauerverpflichtung lösen kann […].