2C 699/2012: Heilung des Fristversäumnisses gemäss VwVG 24 I setzt klare Schuldlosigkeit voraus

Der Beschw­erde­führer zahlte einen Kosten­vorschuss zu spät, weshalb auf ein von ihm ein­gelegtes Rechtsmit­tel nicht einge­treten wurde. Der Treuhän­der und Rechtsvertreter des Beschw­erde­führers machte gel­tend, “er habe die steuerpflichtige Per­son nach Ein­gang der Zwischenverfügung
umge­hend per E‑Mail auf die Zahlungspflicht hingewiesen. Auf­grund von
tech­nis­chen Prob­le­men mit dem Serv­er, der von einem Drit­ten betrieben
werde, sei es allerd­ings wed­er zur Weit­er­leitung der elektronischen
Nachricht an die steuerpflichtige Per­son noch zu ein­er Fehler­mel­dung an
ihn selb­st gekom­men. Deswe­gen ersuche er nun um ‘Fris­ter­streck­ung
bezüglich der aus­ge­führten Zahlung’.”

Das BGer hielt im Entscheid unter anderem fest, was folgt.

  • (E. 3.1) Die Heilung des Fristver­säum­niss­es gemäss VwVG 24 I bed­ingt vor­ab, dass die Partei oder ihre Vertretung 
    unver­schulde­ter­weise davon abge­hal­ten
    wor­den ist, bin­nen Frist zu
    han­deln
    (materielle Voraus­set­zung). Darüber hin­aus muss das
    Frist­wieder­her­stel­lungs­ge­such inner­halb von 30 Tagen nach Weg­fall des
    Hin­derniss­es gestellt und die ver­säumte Recht­shand­lung gleichzeitig
    nachge­holt wor­den sein (formelle Voraus­set­zung; [Zitate]). Eine Nach­frist zur Behe­bung der unbe­nutzten Zahlungs­frist ken­nt das VwVG — anders als etwa BGG 62 III Satz 2 — nicht [Zitat].
  • (E 3.2)  Die Wiedere­in­set­zung in den früheren Stand ist prax­is­gemäss nur bei
    klar­er Schuld­losigkeit der betrof­fe­nen Prozess­partei
    und ihrer
    Vertre­tung zu gewähren [Zitat]. Dem begrün­de­ten Unver­mö­gen, die Frist zu wahren, kön­nen objektive
    oder sub­jek­tive Ursachen zugrun­deliegen [Zitat]. Waren die Partei oder ihre
    Vertre­tung wegen eines von ihrem Willen unab­hängi­gen Umstandes daran
    gehin­dert, zeit­gerecht zu han­deln, liegt objek­tive Unmöglichkeit vor. Zu
    denken ist beispiel­sweise an Naturkatas­tro­phen, Mil­itär­di­enst oder
    schw­er­wiegende Erkrankung
    , nicht hinge­gen an Arbeitsüberlastung,
    organ­isatorische Unzulänglichkeit­en oder Ferien­ab­we­sen­heit [Zitate]. Von sub­jek­tiv­er Unmöglichkeit ist
    auszuge­hen, wenn zwar die Vor­nahme ein­er Hand­lung, objek­tiv betrachtet,
    möglich gewe­sen wäre, die betrof­fene Per­son aber durch besondere
    Umstände, die sie nicht zu vertreten hat, am Han­deln gehin­dert worden
    ist. In Betra­cht kom­men hier ins­beson­dere unver­schuldete Irrtums­fälle [Zitate].

Vor­liegend wurde gel­tend gemacht, die Ursache für die Fristver­säum­nis liege beim Provider, weil das E‑Mail des Treuhän­ders an den Beschw­erde­führer von let­zterem nicht emp­fan­gen wor­den sei.

  • (E.4.2) Es kann heute als all­ge­mein bekan­nt voraus­ge­set­zt wer­den, dass der Verkehr mit E‑Mails gefahren­be­haftet und im All­ge­meinen nur beschränkt ver­lässlich ist. Ins­beson­dere gilt, dass der Nach­weis des Zugangs elek­tro­n­is­ch­er Nachricht­en in den Macht­bere­ich der emp­fan­gen­den Per­son auf­grund der tech­nis­chen Gegeben­heit­en anerkan­nter­massen Schwierigkeit­en bere­it­et [Zitat]. In der Prax­is bleibt die Möglichkeit, von der emp­fan­gen­den Per­son eine Ein­gangs­bestä­ti­gung zu ver­lan­gen und bei deren Aus­bleiben zu reagieren. Eine entschei­drel­e­vante Mit­teilung per E‑Mail zu versenden, ohne weit­ere (Kontroll-)Massnahmen zu ergreifen, entspricht nicht sorgfältiger Erfül­lung des Auf­tragsver­hält­niss­es (OR 398).

Indem der Treuhän­der die Über­mit­tlung des E‑Mails nicht  auf “herkömm­liche Weise (tele­fonisch, postal­isch etc.)” ver­i­fiziert hat, hat er nicht sorgfältig und damit auch “nicht ‘(klar)’ schuld­los gemäss den Regeln über die Wiedere­in­set­zung in den früheren Stand” gehandelt.