6B_315/2012: Verwahrung; Kriterium der schweren Beeinträchtigung (amtl. Publ.)

Die Ver­wahrung set­zt als Anlas­stat eine in Art. 64 Abs. 1 StGB umschriebene Tat (sog. Kat­a­log­tat) oder eine andere mit ein­er Höch­st­strafe von fünf oder mehr Jahren bedro­hte Tat (Auf­fang­tatbe­stand oder Gen­er­alk­lausel) voraus. Ver­wahrung ist gemäss Art. 64 Abs. 1 StGB anzuord­nen, wenn der Täter eine “Tat began­gen hat, durch die er die physis­che, psy­chis­che oder sex­uelle Integrität ein­er andern Per­son schw­er beein­trächtigt hat oder beein­trächti­gen wollte”.

Mit der Frage, wie das Kri­teri­um der schw­eren Beein­träch­ti­gung neben der Voraus­set­zung der im Gesetz umschriebe­nen Anlasstat­en auszule­gen ist, hat sich das Bun­des­gericht bis zum Urteil 6B_315/2012 vom 21. Dezem­ber 2012 nicht ver­tieft befasst (vgl. aber Urteil 6B_1071/2009 vom 22. März 2010 E. 3.1.1).

Das Bun­des­gericht legt Art. 64 StGB wie fol­gt aus:

1.3.3 […] Der Wort­laut ist ein­deutig. Das in einem Rel­a­tivsatz for­mulierte Kri­teri­um bezieht sich sowohl auf die Kat­a­log­tat­en wie auf die Gen­er­alk­lausel (Tat began­gen hat, durch die er […]). Nach den Geset­zes­ma­te­ri­alien ist die Ver­wahrung nur unter qual­i­fizierten Voraus­set­zun­gen anzuord­nen und das Kri­teri­um der schw­eren Beein­träch­ti­gung ein­schränk­end auszule­gen. […] Das Gesetz ver­weist damit aus­drück­lich auf den Verhältnismässigkeitsgrundsatz.

Nach Wort­laut, Sinn und Zweck der Bes­tim­mung kom­men nur “schwere” Straftat­en in Betra­cht, und zwar sowohl als Anlasstat­en wie als ern­sthaft zu erwartende Fol­ge­tat­en. Dem entspricht das Kri­teri­um der schw­eren Beein­träch­ti­gung in Art. 64 Abs. 1 StGB. Ihm kommt weit­er eine eigen­ständi­ge Bedeu­tung insoweit zu, als es die Ver­wahrung bei ein­er rein “materiellen” Beein­träch­ti­gung auss­chliesst. Bei der Beurteilung der schw­eren Beein­träch­ti­gung ist ein objek­tiv­er Massstab anzule­gen (Urteil 6B_1071/2009 vom 22. März 2010 E. 3.1.1 […]).