4A_120/2014: uneingeschränkte Empfangstheorie auch beim Empfang der Kündigung (OR 273 I); (hier unschädliche) Verwendung eines altrechtlichen Formulars zur Kündigung (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Urteil zunächst über die Gültigkeit der Kündi­gung eines Mietver­hält­niss­es zu entschei­den.

Die Ver­mi­eterin hat­te ein älteres For­mu­lar ver­wen­det. In einem solchen Fall sind die Fol­gen, wie das BGer bere­its früher fest­ge­hal­ten hat (BGE 137 III 547), nach dem Schutzz­weck des For­mu­la­rzwangs zu bes­tim­men. Das BGer hält in diesem Zusam­men­hang zunächst fest, dass das Ver­bot des über­spitzten For­mulis­mus im Mietrecht nicht anders anzuwen­den ist als in anderen Gebi­eten. Sodann schreibt OR 266l keine Angaben über das Schlich­tungver­fahren nach neuer ZPO vor, so dass zwis­chen­zeitliche Inkraftt­treten der ZPO nicht zwin­gend die Ver­wen­dung des neuen For­mu­la­rs ver­langt.

Strit­tig war sodann, ob die Mieterin die Kündi­gung rechtzeit­ig ange­focht­en hat­te (OR 273). Die Vorin­stanz war für die Zustel­lung der Kündi­gung von der “uneingeschränk­ten Emp­fangs­the­o­rie” aus­ge­gan­gen (dazu BGE 137 III 208), wonach ein Ein­schreiben grund­sät­zlich als zugestellt gilt, wenn es der Adres­sat mit der im Briefkas­ten vorgefundenen
Abhol­ung­sein­ladung erst­mals bei der
Post­stelle abholen kann, d.h. i.d.R. am Tag nach dem Zugang der Abhol­ung­sein­ladung. Die uneingeschränk­te Emp­fangs­the­o­rie kommt grds. zur Anwen­dung, wenn die Mit­teilung eine materiell-rechtliche Frist auslöst:

[Le Tri­bunal Fédéral] a con­fir­mé que, lorsqu’un délai de droit matériel court à par­tir de la com­mu­ni­ca­tion d’une man­i­fes­ta­tion de volon­té, il faut appli­quer la théorie de la récep­tion absolue

Nach der “eingeschränk­ten Emp­fangs­the­o­rie” gilt ein Ein­schreiben dage­gen als erst dann als zustellt, wenn es der Adres­sat tat­säch­lich in Emp­fang nimmt oder, wenn er es nicht abholt, mit dem Ablauf der sieben­tägi­gen Abhol­frist. Die eingeschränk­te Emp­fangs­the­o­rie gilt im Mietrecht nur für die fol­gen­den Erklärungen:

  • Mit­teilung ein­er Erhöhung des Miet­zins­es (OR 269d)
  • Anset­zen ein­er Zahlungs­frist bei Zahlungsrück­stand (OR 257d I)

In der Lehre wird ver­schiedentlich gefordert, die eingeschränk­te Emp­fangs­the­o­rie auch auf die Mit­teilung der Kündi­gung anzuwenden.

Das BGer bestätigt jedoch den Entscheid der Vorin­stanz und hält aus­drück­lich fest, dass für den Emp­fang der Kündi­gung und die Aus­lö­sung der Frist von OR 273 I die uneingeschränk­te Emp­fangs­the­o­rie gilt:

Con­traire­ment à ce que croit la recourante, le délai d’ou­ver­ture d’ac­tion de l’art. 273 al. 1 CO est bien, par nature, un délai de droit matériel fédéral, et non un délai procé­dur­al. Il est donc soumis à la théorie de la récep­tion absolue. La recourante se réfère certes à plusieurs auteurs qui pré­conisent l’ap­pli­ca­tion de la théorie de la récep­tion rel­a­tive à d’autres cas encore, mais elle n’en tire aucune argu­men­ta­tion qui viendrait remet­tre en cause les motifs exposés par le Tri­bunal fédéral dans l’ATF 137 III 208. Il ne se jus­ti­fie donc pas de soumet­tre la jurispru­dence à un nou­v­el examen.