4A_62/2014: Anschein der Befangenheit bei Oberrichterin wegen früherer Tätigkeit des Schwagers (amtl. Publ.)

In einem haftpflichtrechtlichen Regressprozess zwis­chen der Eid­genös­sis­chen Invali­den­ver­sicherung (IV) und dem Nationalen Ver­sicherungs­büro (NVB) kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass eine beteiligte Ober­rich­terin wegen Anscheins der Befan­gen­heit hätte in den Aus­stand treten müssen. Das Bun­des­gericht hob deshalb das ange­focht­ene Urteil auf und wies die Sache zur neuen Entschei­dung zurück (Urteil 4A_62/2014 vom 20. Mai 2014, E. 5.2.4).

Die IV hat­te der Geschädigten aus einem Auf­fahrun­fall Leis­tun­gen aus­gerichtet und forderte einen Teil des Betrages regress­weise vom NVB zurück. Das Bezirks­gericht Zürich hiess die Klage der IV gut. Das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich (II. Zivilka­m­mer) wies die Klage im Beru­fungsver­fahren ab. In der Folge beantragte die IV dem Bun­des­gericht, das oberg­erichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entschei­dung durch einen ver­fas­sungsmäs­si­gen und geset­zmäs­sig zusam­menge­set­zten Spruchkör­p­er an die Vorin­stanz zurückzuweisen.

Die IV berief sich auf die Anwalt­stätigkeit des Ehe­mannes der Ober­rich­terin, der seit Jahren wieder­holt von der Zürich-Ver­sicherungs­ge­sellschaft (nach­fol­gend “Zürich”) als Rechtsvertreter in Haftpflicht­prozessen man­datiert wor­den sei. In der Anwalt­skan­zlei des Ehe­mannes arbeite auch dessen Brud­er und Schwa­ger der Ober­rich­terin. Der Schwa­ger sei von 1985 bis 2008 bei der Zürich als Leit­er des Region­al­sitzes Zürich und Mit­glied der Direk­tion tätig gewe­sen. Die Zürich habe den Direk­tschaden mit der Geschädigten aus dem Auf­fahrun­fall bear­beit­et. Der Schwa­ger der Ober­rich­terin sei in die Schadenserledi­gung involviert gewe­sen. Als Partei trete im Prozess zwar das NVB auf, doch sei die Zürich der geschäfts­führende Vertreter des NVB. Die Zürich habe den Prozess denn auch materiell geführt (vgl. zum Ganzen E. 2.1).

Das Bun­des­gericht fol­gte den Argu­menten der IV (E. 5.2.3 und 5.2.4):

Es ist aus­gewiesen, dass der Brud­er des Ehe­mannes und heutiger Bürokol­lege, der in der Zeit von 1985 bis 2008 Mit­glied der Direk­tion bei der Zürich war, im Jahr 2006 an der ver­gle­ich­sweisen Erledi­gung des Direk­tschadens […] mit der Ver­sicherten beteiligt war. […] Unter Hin­weis auf ein Schreiben […] macht er gel­tend, dass die Auseinan­der­set­zung mit der Beschw­erde­führerin über den Regress erst im Juni 2008 begonnen habe, nach­dem der Brud­er des Ehe­mannes aber bere­its am 21. Dezem­ber 2007 aus der Zürich aus­geschieden war. Er sei daher nie in das vor­liegende Regressver­fahren involviert gewe­sen. Es kann offen bleiben, ob sich die Stre­it­igkeit nicht schon länger abze­ich­nete. [..] Dem Brud­er des Ehe­mannes und Schwa­ger der Ober­rich­terin, der gemäss Web­seite des Anwalts­büros Fach­spezial­ist im Haftpflichtrecht sowie für Sozialver­sicherungsleis­tun­gen und Regresse ist, war somit im Zeit­punkt des Ver­gle­ichsab­schlusses mit der Ver­sicherten zweifel­los bewusst, dass die von der Beschw­erde­führerin ver­fügte Umschu­lung eine Regressprob­lematik bein­hal­tete. Er war dem­nach zwar nicht am vor­liegen­den Prozess beteiligt, doch war er mass­ge­blich für Leis­tun­gen ver­ant­wortlich, welche auf dem gle­ichen Lebenssachver­halt und zum Teil den gle­ichen Leis­tungsvo­raus­set­zun­gen beruht­en und es ist glaub­haft, dass ihm auch die Regress­frage bekan­nt war. […] Ins­ge­samt beste­ht daher über ihren Ehe­mann und ihren
Schwa­ger eine der­ar­tige Nähe zu dem die Regress­forderung bestreitenden
Beschw­erdegeg­n­er, dass die Ober­rich­terin wegen des Anscheins der
Befan­gen­heit hätte in den Aus­stand treten müssen.