1C_914/2013: Zwei Gemeinderäte sind aufgrund ihrer Preisrichtertätigkeit voreingenommen in Bezug auf die Genehmigung eines Gestaltungsplans (amtl. Publ.)

Im Urteil vom 26. Juni 2014 äussert sich das BGer zur Frage der Vor­ein­genom­men­heit eines Gemein­de­präsi­den­ten und eines Gemein­der­ats im Zusam­men­hang mit der Genehmi­gung eines Gestal­tungs­plans. Zwei Grun­deigen­tümerin­nen planten den Bau eines Cam­pus Hotels und mehrerer Villen auf einem in der Gemeinde Vitz­nau liegen­den Perime­ter. Zu diesem Zweck wur­den acht Architek­tur­büros zur Erar­beitung ein­er Vol­u­men­studie ein­ge­laden, wobei ein Preis­gericht das­jenige Pro­jekt auswählen sollte, welch­es die Nutzungs­masse und das Raumpro­gramm der geplanten Über­bau­ung unter sied­lungs­planer­ischen und land­schaftlichen Gesicht­spunk­ten am besten umset­zte. Das Preis­gericht bestand unter anderem aus dem Gemein­de­präsi­den­ten Nol­di Küt­tel und dem Gemein­der­at und Bau­ver­wal­ter Alex Wald­is. Nach­dem sich die Jury für die Vol­u­men­studie eines Architek­tur­büros entsch­ieden hat­te, wurde der Gestal­tungs­plan “Panora­ma Res­i­denz Vitz­nau” aus­gear­beit­et. Gegen diesen Gestal­tungs­plan erhoben mehrere Parteien Ein­sprache mit dem formellen Antrag, dass sowohl der Gemein­de­präsi­dent als auch der Gemein­der­at beim Entscheid über die Ein­sprachen und die Genehmi­gung des Gestal­tungs­plans in den Aus­stand zu treten hät­ten. Nach einem abschlägi­gen Entscheid des Kan­ton­s­gerichts Luzern gelangten die Ein­sprecherin­nen an das BGer, welch­es die Beschw­erde gutheisst.

Zunächst reka­pit­uliert das BGer seine Recht­sprechung zu Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, wonach jede Per­son einen Anspruch darauf hat, dass ihre Sache von einem durch Gesetz geschaf­fe­nen, zuständi­gen und unpartei­is­chen Gericht ohne Ein­wirken sach­fremder Umstände entsch­ieden wird. Dieser Anspruch sei dann ver­let­zt, wenn bei ein­er Gerichtsper­son — objek­tiv betra­chtet — Gegeben­heit­en vor­lä­gen, die den Anschein der Befan­gen­heit und die Gefahr der Vor­ein­genom­men­heit zu begrün­den ver­mö­gen. Zur Beant­wor­tung der Fra­gen, wann eine vor­be­fasste Per­son in den Aus­stand treten muss, hat das BGer die fol­gen­den Kri­te­rien entwickelt:
  • Welche Fra­gen sind in den bei­den Ver­fahrens­ab­schnit­ten zu entschei­den? Inwiefern sind sich die Fra­gen ähn­lich? Inwiefern hän­gen die Fra­gen zusammen?
  • Wie gross ist der Umfang des Ermessensspiel­raums bei der Beurteilung der sich in den bei­den Abschnit­ten stel­len­den Rechtsfragen?
  • Mit welch­er Bes­timmtheit hat sich der Richter bei sein­er ersten Befas­sung zu den betr­e­f­fend­en Fra­gen ausgesprochen?
Das BGer führt sodann aus, dass für nicht­gerichtliche Behör­den (z.B. für Mit­glieder des Gemein­der­ats) die Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht zu Anwen­dung kämen. Hinge­gen gewährleiste Art. 29 Abs. 1 BV den Anspruch auf gle­iche und gerechte Behand­lung. In casu seien an die Unbe­fan­gen­heit der bei­den Gemein­der­atsmit­glieder hohe Anforderun­gen zu stellen , da dem Gemein­der­at als Ein­sprachebe­hörde gegen den durch Pri­vate aufgestell­ten Gestal­tungs­plan die Funk­tion eines “echt­en Mit­tlers” zukomme. Es recht­fer­tige sich deshalb vor­liegend, die Zuläs­sigkeit der Vor­be­fas­sung der Gemein­der­atsmit­glieder sin­ngemäss nach densel­ben Kri­te­rien zu beurteilen, wie sie das BGer für die Gerichtsver­fahren entwick­elt hat. Dabei falle ins­beson­dere ins Gewicht, mit welch­er Bes­timmtheit sich der Richter bei sein­er ersten Befas­sung zu den betr­e­f­fend­en Fra­gen aus­ge­sprochen habe. Bei abstrak­ter Betra­ch­tung beste­he der entschei­dende Unter­schied zwis­chen zuläs­siger und unzuläs­siger Vor­be­fas­sung darin, ob die vor­be­fasste Per­son erst ihre vor­läu­fige Ein­schätzung zur Stre­it­sache zum Aus­druck bringe, oder aber der Ein­druck entste­he, sie habe sich über den Aus­gang des Ver­fahrens bere­its eine feste Mei­n­ung gebildet. Aus­ge­hend von diesen für Gerichtsver­fahren entwick­el­ten Grund­sätzen seien für Bau- und Pla­nungssachen die fol­gen­den Sit­u­a­tio­nen zu unterscheiden:
  • Unverbindliche Stel­lung­nahme zu abstrak­ten Fragen;
  • Beant­wor­tung konkreter Fragen;
  • Eigentliche Beratung der Bauherrschaft;
  • Verbindlich­er Vorentscheid.
Schliesslich erläutert das BGer, dass die Preis­richter die ihnen vorgelegten Über­bau­ungskonzepte im Wesentlichen nach sied­lungs­planer­ischen, land­schaftlichen und erschlies­sungsmäs­si­gen Gesicht­spunk­ten beurteilt hät­ten, wobei es sich dabei um zen­trale Kri­te­rien han­dle, nach denen die Recht­mäs­sigkeit eines Gestal­tungs­plans zu über­prüfen sei:

Der aufgelegte Plan weist im Ver­gle­ich zur Studie keine namhaften Änderun­gen oder Präzisierun­gen auf. Beim Ver­gle­ich des Plan­ma­te­ri­als ist zwar erkennbar, dass das Cam­pus Hotel leicht in südöstliche Rich­tung ver­schoben wurde. Diese wie andere Anpas­sun­gen sind aber — ent­ge­gen der Ansicht der Vorin­stanz — von unter­ge­ord­neter Bedeu­tung. Sie ver­mö­gen am Gesamtein­druck nichts zu ändern, dass die Vol­u­men­studie den Gestal­tungs­plan in den wesentlichen Zügen vorbes­timmt hat. […] Würdigt man diese Umstände gesamthaft, ist die Besorg­nis darüber begrün­det, die Gemein­der­atsvertreter kön­nten sich auf­grund ihrer Preis­richtertätigkeit in einem Mass fest­gelegt haben, dass ihre Hal­tung im Rah­men des Gestal­tungs­plan­ver­fahrens vorbes­timmt erscheint (E. 7.2).

Der Anschein der Befan­gen­heit ver­stärkt sich durch den Beurteilungsspiel­raum der Entschei­dungs­be­hörde zusät­zlich. […] Je gröss­er der Spiel­raum ist, umso eher beste­ht Anlass zur Besorg­nis, die Amtsper­son werde auf ihr in Abwä­gung ver­schieden­er Gesicht­spunk­te getrof­fenes Urteil bei später­er Befas­sung nicht mehr zurück­kom­men […] (E. 7.3). 

Auf­grund des Gesagten weist das BGer Nol­di Küt­tel und Alex Wald­is an, beim Entscheid über die Ein­sprachen und die Genehmi­gung des Gestal­tungs­plans in den Aus­stand zu treten.