2C_776/2013: EMRK 6 auf spielbankenrechtliche Sanktionen anwendbar; Zugriff auf Pflichtdokumentation; Verjährung; Verwendung von GwG-Daten; Sanktionsbemessung (amtl. Publ.)

Die Eid­genös­sis­che Spiel­bankenkom­mis­sion (ESBK) hat­te ein Casi­no mit rund CHF 5 Mio. sank­tion­iert und ihm gestützt auf Art. 51 des Spiel­bankenge­set­zes SBG Ver­fahren­skosten von rund CHF 25’000 aufer­legt, weil das Casi­no im Zusam­men­hang mit einem Spiel­er ihr Sozialkonzept (nach Art. 13 SBG eine Konzes­sion­ierungsvo­raus­set­zung) nicht einge­hal­ten und damit in gravieren­der Weise gegen die Spiel­bankenge­set­zge­bung ver­stossen habe. Ins­beson­dere habe das Casi­no den Spiel­er in Ver­let­zung von SBG 22 nicht gesperrt.

Vor BGer war strittig,

  • ob die straf­prozes­sualen Grund­sätze ver­let­zt waren; 
  • der die spiel­banken­rechtliche Ver­jährung mis­sachtet war; 
  • even­tu­aliter:  ob die Sank­tion kor­rekt berech­net wurde und
  • ob die Pflichtver­let­zung zu Recht als mit­telschw­er­er Ver­stoss qual­i­fiziert wor­den war.

Das BGer qual­i­fiziert die spiel­banken­rechtlichen Sank­tio­nen zunächst in Anlehnung an das kartell­rechtliche Urteil BGE 139 I 72 als strafähn­liche Massnahmen:

Die Sank­tio­nen nach Art. 51 SBG haben Par­al­le­len zu jenen von Art. 49a KG. Wie diesen kommt ihnen ein präven­tiv­er, gle­ichzeit­ig aber auch ein pönaler und repres­siv­er Charak­ter zu, soweit damit nicht nur der durch den Ver­stoss erzielte Gewinn, son­dern bis zum Dreifachen von diesem sank­tion­sweise einge­zo­gen wird, was einen nach oben offe­nen Betrag in mehrfach­er Mil­lio­nen­höhe bedeuten kann. Der Sank­tion­szuschlag wird nach der vom Bun­des­gericht bestätigten […] Prax­is der ESBK unter Berück­sich­ti­gung der Schwere des Ver­stoss­es bzw. des Ver­schuldens der Konzes­sionärin bzw. der für sie han­del­nden natür­lichen Per­so­n­en bemessen. Der von der Vorin­stanz betonte Umstand, dass nur eine kleine Zahl von Konzes­sionären der Sank­tions­dro­hung unter­wor­fen sind, erscheint unter diesen Umstän­den nicht auss­chlaggebend; es gibt — worauf die Beschw­erde­führerin zu Recht hin­weist — zahlre­iche Straf­dro­hun­gen, die sich nur an einen bes­timmten, unter Umstän­den auch sehr beschränk­ten, Adres­satenkreis richt­en (Son­derde­lik­te).

Damit kom­men die ver­fahren­srechtlichen Vor­gaben von EMRK 6 zur Anwen­dung. Im konkreten Fall waren diese Vor­gaben EMRK 6 nicht durch die blosse Auf­forderung ver­let­zt, Doku­mente einzure­ichen, zu deren Erstel­lung eine geset­zliche — hier spiel­banken­rechtliche — Pflicht beste­ht, zumal für den Fall ein­er Mitwirkungsver­weigerung keine spez­i­fis­chen Fol­gen ange­dro­ht wur­den, namentlich nicht Bestra­fung nach StGB 292. Das BGer dazu:

Unternehmen sind aus zahlre­ichen Grün­den gehal­ten, bes­timmte Doku­mente und Unter­la­gen zu erstellen, zu führen und gegebe­nen­falls den Ver­wal­tungs­be­hör­den zur Ver­fü­gung zu stellen, z.B. Buch­hal­tun­gen oder Doku­men­ta­tio­nen, welche die Ein­hal­tung von Pflicht­en bezüglich Umweltschutz, Sozialver­sicherung, Arbeitssicher­heit, Geld­wäscherei usw. bele­gen […]. Kön­nte der Staat auf diese Unter­la­gen trotz entsprechen­der geset­zlich­er Grund­la­gen nicht mehr zurück­greifen, würde eine auf­sichts- bzw. damit ver­bun­dene strafrecht­sähn­liche Durch­set­zung der materiellen geset­zlichen Pflicht­en in beauf­sichtigten Wirtschafts­bere­ichen (Finanz­markt, Spiel­banken usw.) prak­tisch verun­möglicht. Bildet der nemo-tene­tur-Grund­satz bei natür­lichen Per­so­n­en (auch) einen Aus­fluss aus der Men­schen­würde, fehlt dieser — spez­i­fisch grun­drechtliche — Aspekt bei geset­zlichen Her­aus­gabepflicht­en von juris­tis­chen Per­so­n­en und Unternehmen. […]

Was sodann die Ver­jährung bet­rifft, so hat die Vorin­stanz, das BVGer, die bei Übertre­tun­gen nach SBG 56 SBG gel­tende sieben­jährige Frist ange­wandt. Aus Sicht des BGer spricht jedoch

[d]er Beizug von Regelun­gen über die Ver­jährung für ver­wandte öffentlichrechtliche Tatbestände […] hier am ehesten für eine analoge Anwen­dung von Art. 49a Abs. 3 lit. b KG; danach ent­fällt die Sank­tion­s­möglichkeit, wenn die Wet­tbe­werb­s­beschränkung bei Eröff­nung der Unter­suchung länger als fünf Jahre nicht mehr aus­geübt wor­den ist. Im Spiel­banken­recht bedeutet dies, dass die Sank­tion ver­jährt ist, wenn das zu sank­tion­ierende Ver­hal­ten bei Eröff­nung der Unter­suchung seit länger als fünf Jahren been­det war. 

Da die Ver­jährung hier jedoch in bei­den Fällen nicht einge­treten war, liess das BGer die Frage let­ztlich aus­drück­lich offen.

Das BGer hielt sodann fest, dass die nach Art. 2 Abs. 3 GwV ESBK erhobe­nen Transak­tion­sin­for­ma­tio­nen zur Anord­nung ein­er Spielsperre ver­wen­det wer­den müssen. Das Daten­schutzrecht ste­ht dem angesichts des über­wiegen­den Inter­ess­es an ein­er solchen Daten­ver­wen­dung nicht ent­ge­gen (DSG 13 I).

Zulet­zt schützt das BGer die Berech­nung der Sank­tion und die Ein­schätzung der Schwere des Vergehens.