6B_183/2014: Tatbestandliche Einschränkung des untauglichen Versuchs (neue Rspr.; amtl. Publ.)

Der untaugliche Ver­such bedarf ein­er tatbe­standlichen Straf­barkeit­sein­schränkung insoweit, als nur Ver­hal­tensweisen bestraft wer­den sollen, die sich als „ern­stlich­er Angriff auf die rechtlich geschützte Ord­nung“ darstellen. Daher ist auss­er dem Delik­tsver­wirk­lichungswillen des Täters auch eine “min­i­male objek­tive Gefährlichkeit” des Täter­ver­hal­tens erforder­lich. Zu diesem Schluss kommt das Bun­des­gericht in einem Grundsatzentscheid.

Dem Urteil lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Der Beschw­erde­führer litt nach einem Verkehrsun­fall an ver­schiede­nen Beschw­er­den, woraufhin der Arzt ihm eine Arbeit­sun­fähigkeit attestierte. Anderthalb Jahre später war der Beschw­erde­führer unent­geltlich für ein Unternehmen tätig, klärte die Schweiz­erische Unfal­lver­sicherungsanstalt (SUVA) aber nicht lück­en­los über den Umfang dieser Tätigkeit auf. Die Vorin­stanz sprach den Beschw­erde­führer wegen vol­len­de­ten Betruges schuldig. Nach­dem das Bun­des­gericht dieses Urteil aufge­hoben hat­te (Urteil 6B_646/2012); siehe dazu die Anmerkun­gen von strafprozess.ch), kam es zu einem Schuld­spruch wegen ver­sucht­en Betruges. Die dage­gen ein­gere­ichte Beschw­erde war aber­mals erfolgreich.

Nicht jedes Ver­hal­ten, das die Ele­mente des untauglichen Ver­suchs an sich erfüllt und damit nach Art. 22 Abs. 1 StGB grund­sät­zlich straf­bar ist, stellt sich laut Bun­des­gericht als strafwürdi­ges und straf­bedürftiges Unrecht dar. Die strafrechtliche Erfas­sung und Pönal­isierung solchen Ver­hal­tens macht keinen Sinn und lässt sich nur schw­er mit den Grund­la­gen des gel­tenden Tat­strafrechts vereinbaren.

3.6. […] Man­gelt es einem Täter­ver­hal­ten bei Ken­nt­nis aller nachträglich bekan­nten Umstände im Zeit­punkt der Tat objek­tiv an einem ern­sthaften Stör- und Gefährdungspoten­zial und somit an ein­er objek­tiv min­i­malen Gefährlichkeit (Risiko), lässt sich wed­er ein Straf­bedürf­nis beja­hen noch eine Straf­sank­tion recht­fer­ti­gen. In einem solchen Fall muss der Täter, auch wenn er nicht aus grobem Unver­stand gehan­delt hat, in analoger Anwen­dung von Art. 22 Abs. 2 StGB straf­los bleiben. Dies mit der Begrün­dung, dass ein objek­tiv unge­fährlich­er untauglich­er Ver­such — eben­so wie ein grob unver­ständi­ger Ver­such — die Recht­sor­d­nung nicht zu gefährden vermag […].

Im vor­liegen­den Fall ist nach den Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz davon auszuge­hen, dass der Beschw­erde­führer im sozialver­sicherungsrechtlichen Sinne voll­ständig arbeitun­fähig war. Das Bun­des­gericht sah darin keinen ern­stlichen Angriff auf die geschützte Rechtsordnung.

3.7. […] fehlt es vor­liegend an der Voraus­set­zung ein­er objek­tiv min­i­mal gefährlichen Täuschung­shand­lung. Es bestand zu keinem Zeit­punkt eine Rechtsgutsge­fährdung. Die Ver­mö­gensin­ter­essen der SUVA wur­den durch das Ver­hal­ten des Beschw­erde­führers nicht im Ger­ing­sten berührt. Was bleibt, ist dessen bloss sub­jek­tive Fehlvorstel­lung, die SUVA über die (in Wirk­lichkeit nicht exis­tente) Arbeits­fähigkeit allen­falls arglistig zu täuschen. Das reicht man­gels ein­er Unrecht­srel­e­vanz nicht aus, eine Ver­suchsstraf­barkeit zu begründen.