Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil vom 3. Juni 2016 beschäftigte sich das BGer mit der Tessiner Verfassungsinitiative zur Fusion von Locarno mit 17 umliegenden Gemeinden und Bellinzona mit 16 umliegenden Gemeinden. Im Jahr 2012 wurde die von über 11’000 Stimmbürgern unterzeichnete Verfassungsinitiative “Avanti con le nuove città di Locarno e Bellinzona” eingereicht. Nachdem der Grosse Rat des Kantons Tessin die Initiative für ungültig erklärte, gelangten die Initianten an das BGer, welches die Beschwerde abweist.
Das BGer stützt seinen Entscheid auf Art. 5 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung (SR 0.102), welcher der direkt betroffenen Gemeindebevölkerung einen Anspruch gibt, vor der Abstimmung über die Initiative angehört zu werden:
Bei jeder Änderung kommunaler Gebietsgrenzen sind die betroffenen Gebietskörperschaften vorher anzuhören, gegebenenfalls in Form einer Volksabstimmung, sofern dies gesetzlich zulässig ist.
Die Tessiner Verfassungsinitiative sehe jedoch — so das BGer — eine vorgängige Anhörung der Bevölkerung der von der Fusion direkt betroffenen Gemeinden nicht vor. Im übrigen bestehe im Kanton Tessin auch keine gesetzliche Grundlage, auf welche ein entsprechendes Anhörungsverfahren gestützt werden könne. Dieses Manko könne aus zwei Gründen auch nicht durch die Stimmangabe der betroffenen Gemeindebewohner anlässlich der Abstimmung über die Initiative selber behoben werden. Erstens wäre die Anhörung in diesem Fall nicht vorgängig der verlangten Gemeindefusion erfolgt. Zweitens wäre dabei nicht nur die Meinung der direkt betroffenen Gemeindebevölkerung zum Ausdruck gekommen, sondern diejenige der ganzen Kantonsbevölkerung.
Siehe auch die Medienmitteilung des BGer vom 3. Juni 2016.