4A_322/2015: Rechtliches Gehör / Dissenting Opinion / Stellungnahme des Präsidenten des Schiedsgerichts

Mit Entscheid 4A_322/2015 vom 27. Juni 2016 wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde gegen einen Schiedsspruch eines ad hoc-Schieds­gerichts
mit Sitz in Zürich ab.

Die Y. (Beschw­erdegeg­ner­in 1) leit­ete im Jan­u­ar 1989 ein
Schiedsver­fahren gegen die X. SA (Beschw­erde­führerin) ein. Daraufhin erhob die X. SA eine Widerk­lage, die sich nicht nur gegen die Y.,
son­dern auch gegen die Z. Com­pa­ny (Beschw­erdegeg­ner­in 2) und eine dritte
Gesellschaft richtete. Nach einem lang­wieri­gen Schiedsver­fahren verpflichtete das Schieds­gericht die X. SA zur Zahlung von über ein­er Mil­liarde US-Dol­lar an die Y. und Z.
Company.
Die X. SA erhob Beschw­erde gegen diesen Schiedsspruch und rügte, das Schieds­gericht habe ihr rechtlich­es Gehör ver­let­zt. Sie warf dem
Schieds­gericht vor, es habe seine Entschei­dung in Bezug auf zwei Fra­gen, die für die
Berech­nung der Schaden­er­satzansprüche der X. SA entschei­dend waren, auf eine
für die Parteien unvorherse­hbare Begrün­dung gestützt. 
Das Bun­des­gericht rief ein­lei­t­end seine Recht­sprechung in Erin­nerung, wonach die Parteien nur über einen beschränk­ten Anspruch ver­fü­gen wür­den, sich zu rechtlichen Fra­gen zu äussern. Soweit die Schiedsvere­in­barung den Auf­trag des
Schieds­gerichts nicht auss­chliesslich auf die von den Parteien vorgebrachten
Argu­mente beschränkt, müssen die Parteien nicht spez­i­fisch zur Bedeu­tung von Recht­snor­men ange­hört wer­den. Aus­nahm­sweise muss das Schieds­gericht den Parteien eine Stellungnahme
ermöglichen, wenn das Schieds­gericht beab­sichtigt, seinen Entscheid auf ein rechtlich­es Argu­ment zu stützen, das im Laufe des
Ver­fahrens uner­wäh­nt blieb und mit dessen Erhe­blichkeit sie vernün­ftiger­weise nicht rech­nen mussten.
Das Bun­des­gericht ergänzte, dass diese Recht­sprechung nicht für die Sachver­halts­fest­stel­lung durch das Schieds­gericht gel­ten würde. Der Grund­satz des rechtlichen Gehörs set­zt ger­ade nicht voraus, dass das Schieds­gericht eine Stel­lung­nahme der
Parteien in Bezug auf die Bedeu­tung jed­er ein­gere­icht­en Beilage ein­fordern muss. Genau­so wenig ges­tat­tet dieser Grund­satz den Parteien, die Autonomie des
Schieds­gerichts bei der Würdi­gung ein­er bes­timmten Beilage einzuschränken. Das Prinzip der freien Beweiswürdi­gung bildet eine der Säulen, auf der die inter­na­tionale Schieds­gerichts­barkeit beruht und darf nicht aus­ge­höhlt werden. 

Mit Blick auf den vor­liegen­den Fall verneinte das Bun­des­gericht eine Gehörsver­let­zung. Das Bun­des­gericht argu­men­tierte, dass sich die Begrün­dung des Schiedsspruchs betr­e­f­fend die erste der zwei strit­ti­gen Fra­gen (die den Zeit­punkt des Schaden­sein­tritts betraf) auf die eigene Argu­men­ta­tion der
Beschw­erde­führerin stützen würde. Betr­e­f­fend die zweite strit­tige Frage (die den hypo­thetis­chen Partei­willen betr­e­f­fend die Liefer­ungs­dat­en betraf) stellte das Bun­des­gericht fest, dass sich das Schieds­gericht bei sein­er Begrün­dung sowohl auf die Argu­men­ta­tion der Beschw­erdegeg­ner­in 2 als auch auf eine Aus­sage eines Zeu­gen der Beschw­erde­führerin gestützt habe. Die Beschw­erde­führerin hätte die Begrün­dun­gen dur­chaus erwarten kön­nen, weshalb das Bun­des­gericht einen Über­raschungsef­fekt in bei­den Fälle
ausschloss.

Das Bun­des­gericht äusserte sich im Rah­men sein­er Erwä­gun­gen auch zu anderen Fragen:
So ver­wies etwa  die Beschwerdeführerin
in ihrer Beschw­erde wieder­holt auf die dis­sent­ing opin­ion des von ihr bestellten
Schied­srichters. Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass eine dis­sent­ing opin­ion keinen Bestandteil des Schiedsspruchs bildet, was unab­hängig davon gilt, ob sie formell in den Schiedsspruchs inte­gri­ert wor­den ist oder nicht. Es han­delt sich vielmehr um eine eigen­ständi­ge Mei­n­ung, der keine Rechtswirkung zukommt. Dementsprechend
braucht sie vom Bun­des­gericht auch nicht berück­sichtigt zu werden. 
  
–      Im Rah­men des Beschw­erde­v­er­fahrens reichte der Präsi­dent des
Schieds­gerichts eine Stel­lung­nahme ein, die die fol­gende Vorbemerkung
enthielt (E. 2.2.2.):

Die Vernehmlassung
reflek­tiert meine Auf­fas­sung als Vor­sitzen­der des Schieds­gerichts und stellt
keine Eingabe im Namen des Gesamtsch­ieds­gericht­es dar. Ich sehe mich zur
Vernehm­las­sung ver­an­lasst, weil die Beschw­erde­führerin einen angeblichen
Ver­fahrens­fehler des Schieds­gericht­es rügt.

Das Bun­des­gericht schloss aus dieser Ein­leitung, dass diese
Stel­lung­nahme nicht der Mehrheit des Schieds­gerichts zugerech­net wer­den könne, weshalb sie nicht zu berück­sichti­gen sei.
Abschliessend bemerk­te das Bun­des­gericht, dass die Forderung der Z. Com­pa­ny (Beschw­erdegeg­ner­in 2), eine iranische
Gesellschaft, möglicher­weise in den
Anwen­dungs­bere­ich der Verord­nung des Schweiz­erischen Bun­desrats vom 11. November
2015 über Mass­nah­men gegenüber der Islamis­chen Repub­lik Iran (AS 2016 59) fall­en würde,
weshalb eine Kopie des Bun­des­gericht­sentschei­ds dem Staatssekre­tari­at für
Wirtschaft (SECO) zur Infor­ma­tion zugestellt werde.