4A_100/2016: anwendbares Verfahren bei Mieterausweisung (amtl. Publ.)

Die Ver­mi­eterin B. AG stellte vor dem Region­al­gericht Bern-Mit­tel­land ein Ausweisungs­ge­such im Ver­fahren um Rechtss­chutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO). Das Gericht trat auf das Gesuch nicht ein, da es die Kündi­gungsan­dro­hung als zu wenig klar erachtete, weshalb sich die Gültigkeit der Kündi­gung nicht zweifels­frei fest­stellen lasse. Auf Beru­fung hin verpflichtete das Oberg­ericht des Kan­tons Bern die Mieterin A., die gemieteten Geschäft­sräum­lichkeit­en innert Monats­frist zu ver­lassen und der Ver­mi­eterin in ord­nungs­gemässem und gere­inigtem Zus­tand zu übergeben, sowie dieser sämtliche Schlüs­sel auszuhändigen.

Vor Bun­des­gericht machte die Mieterin erst­mals die sach­liche Unzuständigkeit der Vorin­stanzen gel­tend. Die Stre­it­igkeit sei eine han­del­srechtliche im Sinne von Art. 6 Abs. 2 ZPO

Das Bun­des­gericht hielt zunächst fest, dass die Voraus­set­zun­gen von Art. 6 Abs. 2 ZPO erfüllt seien (E. 2.2.3). Zu prüfen hat­te es, ob wegen der mietrechtlichen Natur der Klage eine Aus­nahme von der han­dels­gerichtlichen Zuständigkeit gegeben sei (E. 2.2.4).

Dabei rief das Bun­des­gericht einen erst kür­zlich ergan­genen Entscheid in Erin­nerung, wo es fest­ge­hal­ten hat­te, dass der Begriff “Kündi­gungss­chutz” gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO weit zu ver­ste­hen sei. Das Bun­des­gericht fol­gerte daraus, dass die Beurteilung der Gültigkeit der Kündi­gung in einem Ausweisungsver­fahren im vere­in­facht­en Ver­fahren erfolge (E. 2.2.4 mit Ver­weis auf BGer 4A_636/2015 vom 21. Juni 2016, E. 2.5.4; vorgestellt bei Swiss­blawg). Gle­ichzeit­ig erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass das Han­dels­gericht nicht zuständig ist für Stre­it­igkeit­en, die gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO im vere­in­facht­en Ver­fahren zu beurteilen seien (E. 2.2.4 mit Ver­weis auf BGE 139 III 457, E. 4; vorgestellt bei Swiss­blawg). Es erwog in diesem Entscheid, dass für die Abgren­zung der sach­lichen Zuständigkeit zwis­chen Miet- und Han­dels­gericht davon aus­ge­gan­gen wer­den müsse, dass die Regelung über die Ver­fahren­sart der­jeni­gen über die sach­liche Zuständigkeit vorge­he (BGE 139 III 457, E. 4.4.3.3).

Beim vor­liegen­den Ver­fahren um Rechtss­chutz in klaren Fällen han­dle es sich allerd­ings, so das Bun­des­gericht, um ein sum­marisches Ver­fahren. Dieses ist — anders als das vere­in­fachte Ver­fahren — auch vor dem Han­dels­gericht zuläs­sig. Es beste­he somit kein Kon­flikt zwis­chen Ver­fahren­sart und sach­lich­er Zuständigkeit. Damit greife die Recht­sprechung gemäss BGE 139 III 457 nicht. Dies habe zur Folge, dass (E. 2.2.4):

Wenn, wie hier, die Kündi­gung ange­focht­en und daher deren Gültigkeit im Ausweisungsver­fahren als Vor­frage zu beurteilen ist, beziehen sich die Voraus­set­zun­gen von Art. 257 Abs. 1 ZPO auch darauf; sind sie nicht erfüllt, ist auf das Gesuch nicht einzutreten.

Und weit­er (E. 2.2.4):

Damit das vom Geset­zge­ber mit Art. 243 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO für den mietrechtlichen Kündi­gungss­chutz ver­fol­gte Ziel nicht über den Rechtss­chutz in klaren Fällen unter­laufen wer­den kann, ist dieser nur zu gewähren, wenn keine Zweifel an der Voll­ständigkeit der Sachver­halts­darstel­lung beste­hen und die Kündi­gung gestützt darauf als klar berechtigt erscheint (…). Dass die Zuständigkeit­en für die gle­iche Materie aufgeteilt sind und die Mieter­ausweisung (inkl. der vor­frageweisen Beurteilung der Gültigkeit ein­er Kündi­gung) bei Ver­fahren des Rechtss­chutzes in klaren Fällen bei gegebe­nen Voraus­set­zun­gen gemäss Art. 6 Abs. 2 ZPO vom Han­dels­gericht, in allen übri­gen Fällen von den Miet­gericht­en bzw. den ordentlichen Gericht­en beurteilt wer­den, erlaubt nicht, vom gel­tenden Recht abzuwe­ichen.

Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde daher gut, hob den Entscheid des Oberg­erichts auf und hielt fest, dass auf die Klage man­gels sach­lich­er Zuständigkeit nicht einge­treten wird.