4A_386/2015: Revision eines Schiedsspruchs bei Entdeckung eines Ausstandsgrunds nach Ablauf der Beschwerdefrist (Frage offengelassen) / Interessenkonflikt bei einem Netzwerk von Anwaltskanzleien (amtl. Publ.)

Mit
dem Entscheid 4A_386/2015 vom 7. Sep­tem­ber 2016 wies das Bun­des­gericht ein Revi­sion­s­ge­such gegen einen von einem Einzelschied­srichter erlasse­nen Schiedsspruch ab.

Die nieder­ländis­che Gesellschaft Y. (Beschw­erdegeg­ner­in),
eine Konz­ernge­sellschaft des deutschen W. Konz­erns, leit­ete 2011 ein ICC-Schiedsver­fahren gegen die italienische
Gesellschaft X. (Beschw­erde­führerin) ein. Mit
Schiedsspruch vom 23. April 2015 verpflichtete der Einzelschied­srichter die X. zur Zahlung von fast EUR 2,3 Mil­lio­nen und Zin­sen an die Y.

Im August 2015 stellte die X. ein Revi­sion­s­ge­such beim Bun­des­gericht. Sie beantragte, dass der Schiedsspruch aufzuheben, der Aus­stand des Einzelschied­srichters zu erk­lären und die Sache an ein neu zu bestellendes
Schieds­gericht zurück­zuweisen sei. Als Begrün­dung erk­lärte die X., der
Einzelschied­srichter sei als Recht­san­walt bei der “Kan­zlei A.” – d.h. die
Aktienge­sellschaft A.-CH in Zürich, die durch die Fusion ein­er Zürcher und ein­er Gen­fer Kan­zlei 2014 ent­standen ist – tätig. Am 8. Juli 2015
sei ein­er der Recht­san­wälte von X. auf eine Pressemit­teilung vom 5. Dezember
2014 gestossen, in der die deutsche Rechts- und Steuer­ber­atungs­fir­ma A.-D
unter dem Titel „Z. advised on e‑mobility by A.“ erk­lärte, sie habe
die deutsche Z. GmbH, eine andere Konz­ernge­sellschaft des W. Konz­erns, berat­en. Nach Auf­fas­sung der X. hätte diese Verbindung zwis­chen der Kan­zlei A. und
ein­er Gesellschaft, die Teil des gle­ichen Konz­erns bildet wie die Y., Grund für ein Aus­stands­begehren bzw. eine
Beschw­erde gebildet, hätte die X. während des Schiedsver­fahrens oder zumindest
während der Beschw­erde­frist von diesem Umstand erfahren.

Das
Bun­des­gericht erin­nerte ein­lei­t­end daran, dass das IPRG die Revi­sion von Schiedssprüchen
nicht vor­sieht, die Revi­sion aber unter dem früheren Bun­desrecht­spflegege­setz (OG) von der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung zuge­lassen worden
war in Fällen, die im heute gel­tenden Art. 123 BGG geregelt wer­den. Das Bun­des­gericht erachtete jedoch die Zuläs­sigkeit des Gesuchs der X. als fraglich, da die X. sich gle­ichzeit­ig auf den spez­i­fis­chen Revi­sion­s­grund des Art. 121 lit. a BGG und auf den all­ge­meineren Revi­sion­s­grund des Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG stützte.

Das Bun­des­gericht ver­wies in diesem Zusam­men­hang auf zwei Entschei­de aus dem Jahr 2008, in denen sich das Bun­des­gericht bere­its die Frage
gestellt hat­te, ob an der früheren Recht­sprechung festzuhal­ten sei, wonach ein Revi­sion­s­ge­such nicht auf Umstände grün­den dürfe, die Gegen­stand ein­er Beschwerde
i.S.v. Art. 190 Abs. 2 IPRG bilden wür­den. Das Bun­des­gericht liess die Frage in diesen Entschei­den offen.

Das Bun­des­gericht bemerk­te, dass die Beschw­erde i.S.v. Art. 77 Abs. 1 lit. a
BGG i.V.m. Art. 191 IPRG für diejenige Partei nut­z­los ist, die einen Aus­stands­grund nur nach Ablauf
der Beschw­erde­frist ent­deckt. Zwar könne die unter­liegende Partei
in diesem Fall den Ver­fahrens­man­gel im Rah­men der Voll­streck­ung des
Schiedsspruchs gestützt auf Art. V des New Yorker
Übereinkom­mens gel­tend machen. Denn ein solch­er Ver­fahrens­man­gel würde unter Art. V Ziff. 2 lit. b des New Yorker
Übereinkom­mens fall­en, zumin­d­est unter dem Gesichtspunkt
des schweiz­erischen ordre pub­lic. Das würde aber voraus­set­zen, dass die
Partei den Ver­fahrens­man­gel vor Ende des Voll­streck­ungsver­fahrens ent­deckt und
dass der Staat, in dem die Voll­streck­ung beantragt wird, diesen
Ver­fahrens­man­gel als mit seinem ordre pub­lic unvere­in­bar eracht­en würde.
Hinzu kommt, dass die Abweisung der Voll­streck­ung des Schiedsspruchs diesen
beste­hen liesse und nicht zur Ein­leitung eines neuen Schiedsver­fahrens führen würde. Auch wäre ein­er Partei in den Fällen nicht geholfen, in denen die Durch­führung eines exe­quatur-Ver­fahrens nicht nötig
ist. Erlässt ein Schieds­gericht mit Sitz in der Schweiz einen solchen man­gel­be­hafteten Schiedsspruch, wäre das New York­er Übereinkom­men, das “aus­ländis­che Schiedssprüche” regelt, nicht anwend­bar auf diejeni­gen Fälle, in denen der Schiedsspruch in der Schweiz voll­streckt würde. Folglich
erscheine die Revi­sion des Schiedsspruch­es als der einzige wirksame
Rechts­be­helf in ein­er solchen Situation.

Unter Berück­sich­ti­gung der Entste­hungs­geschichte des BGG gelangte das Bun­des­gericht zum Schluss, dass der Geset­zge­ber die Möglichkeit der Revi­sion von
Schiedssprüchen nicht bewusst auss­chliessen wollte. Fol­glich würde nach Auf­fas­sung des Bun­des­gerichts nichts dage­gen sprechen, dass es erneut eine Lücke dieses Geset­zes oder des IPRG
schliessen würde.

Das Bun­des­gericht erk­lärte aber, dass das vor­liegende Revi­sion­s­ge­such ohne­hin abgewiesen wer­den müsste,
weshalb es nicht als ange­bracht erscheinen würde, diese Frage abschliessend zu beurteilen.
Das Bun­des­gericht ver­wies in diesem Zusam­men­hang auf die in Vor­bere­itung befind­liche Geset­zes­re­vi­sion des 12. Kapi­tels IPRG und entsch­ied, die Regelung dieser sowie ander­er wiederkehren­der Fra­gen dem Geset­zge­ber zu überlassen.

Das Bun­des­gericht prüfte unter diesem Vor­be­halt die Rüge der Beschw­erde­führerin, wonach Umstände vor­liegen wür­den, die unter Berück­sich­ti­gung der IBA Guide­lines on Con­flicts of
Inter­est
zum Aus­stand des Einzelschied­srichters geführt hät­ten. Diese Umstände
basierten auf der Behaup­tung, dass die Anwalt­skan­zlei des
Einzelschied­srichters eine Gesellschaft des gle­ichen Konz­erns, dem auch die Beschw­erdegeg­ner­in angehört,
berat­en hätte. Das Bun­des­gericht fol­gte der Argu­men­ta­tion der Beschwerdegegnerin
und des Schied­srichters, wonach es sich bei der “Kan­zlei A.” nicht um
eine inte­gri­erte Fir­ma han­deln würde, son­dern bloss um ein Net­zw­erk von zehn
unab­hängi­gen Kan­zleien. Diese Unab­hängigkeit zeige sich auch darin, dass diese
Kan­zleien die Hon­o­rare nicht teilen wür­den. Man könne deshalb nicht darauf schliessen, dass die Anwälte des Net­zw­erks A. zur sel­ben Kan­zlei gehören wür­den, was hinge­gen für die Gen­fer und Zürcher
Anwälte der A.-CH zutr­e­f­fen würde, da es sich hier­bei um eine Aktienge­sellschaft han­delt. Nach Mass­gabe der IBA Guide­lines on Con­flicts of
Inter­est
wäre vor­liegend höch­stens ein Tatbe­stand der soge­nan­nten green list erfüllt, was nicht aus­re­ichen würde, um den Aus­stand des Schied­srichter zu
begründen.

Das Bun­des­gericht bemerk­te schliesslich, dass let­ztlich allein die konkreten Umstände mass­ge­blich seien. Im vor­liegen­den Fall würde wed­er eine sub­jek­tive noch eine objek­tive Befan­gen­heit des Einzelschied­srichters vorliegen.