4A_45/2017: Aktionärbindungsvertrag, übermässige Bindung (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bildete ein Aktionärbindungsver­trag von Jan­u­ar 1985. Dieser bein­hal­tete unter anderem Bes­tim­mungen über ein Vorkauf­s­recht sowie die Ansprüche auf Ein­sitz­nahme in den Ver­wal­tungsrat und auf Auss­chüt­tun­gen der Aktienge­sellschaft an die Aktionäre. Der Ver­trag war “unkünd­bar und auf unbes­timmte Dauer” abgeschlossen wor­den. Für den Fall der Ver­let­zung des ABV wurde eine Kon­ven­tion­al­strafe pro Wieder­hand­lungs­fall sta­tu­iert. Im Jahr 1998 ver­sucht­en die Aktionäre erfol­g­los, den ABV anzu­passen, woraufhin der Aktionär A (der Beklagte) den Ver­trag im April 1999 kündigte. Der Aktionär B (der Kläger) wider­set­zte sich der Kündi­gung und hielt weit­er­hin am ABV fest. Gestützt auf den ABV beantragte er an den Gen­er­alver­samm­lun­gen der kom­menden Jahre (let­zt­mals im Juni 2014) jew­eils seine Wahl in den Ver­wal­tungsrat, wurde jedoch nie gewählt. Mit Klage vom Mai 2013 forderte der Kläger u.a. vom Beklagten die Bezahlung von Kon­ven­tion­al­strafen für drei in der Ver­gan­gen­heit liegende Wider­hand­lun­gen. Sodann sei der Beklagte zu verpflicht­en, den Kläger in den Ver­wal­tungsrat zu wählen (Klage auf Real­er­fül­lung des ABV). Das erstin­stan­zliche Kan­ton­s­gericht schützte die Klage weit­ge­hend. Nach­dem das Oberg­ericht dessen Beru­fung abgewiesen hat­te, erhob der Beklagte Beschw­erde vor Bun­des­gericht, wo er eine Ver­let­zung von Art. 27 Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 OR rügte.

Das Bun­des­gericht ver­wies zunächst auf einen früheren Entscheid (BGE 129 III 209), auf den bere­its die Vorin­stanzen Bezug genom­men hat­ten, und sah trotz der teil­weisen Kri­tik in der Lehre keinen Anlass, auf diesen Entscheid zurück­zukom­men. Es wies darauf hin, dass es sich bei der Beru­fung auf Art. 27 Abs. 2 ZGB nicht um einen Anwen­dungs­fall der Kündi­gung eines Dauer­schuld­ver­hält­niss­es aus wichtigem Grund han­dle. Der Unter­schied beste­he grund­sät­zlich darin, dass sich der wichtige Grund für die Kündi­gung eines Dauer­schuld­ver­hält­niss­es regelmäs­sig aus ein­er Verän­derung der objek­tiv­en Ver­trags­grund­la­gen oder ein­er Verän­derung in den per­sön­lichen Ver­hält­nis­sen ein­er Ver­tragspartei ergebe, während sich die über­mäs­sige Bindung i.S.v. Art. 27 Abs. 2 ZGB vor allem aus der Ver­trags­gestal­tung sel­ber in Kom­bi­na­tion mit der Bindungs­dauer ergebe (Stich­wort “Knebelungsver­trag”) (E. 4.2). Eine gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB ver­stossende über­wiegende Bindung sei sodann nicht von Amtes wegen festzustellen, auss­er es betr­e­ffe den höch­st­per­sön­lichen Kern­bere­ich ein­er Per­son. Vielmehr besitze der Schützende eine “Einrede” (im untech­nis­chen Sinn) gegen den Erfül­lungsanspruch des Kon­tra­hen­ten und könne die Ver­tragser­fül­lung ver­weigern; eine Kündi­gung sei nicht notwendig (E. 4.2). Dabei komme es — anders als bei der Beru­fung auf Nichtigkeit — nicht auf die Ver­hält­nisse im Zeit­punkt des Ver­tragsab­schlusses, son­dern auf jene im Zeit­punkt der Gel­tend­machung der über­mäs­si­gen Bindung an (E. 5).

Das Bun­des­gericht erin­nerte anschliessend daran, dass nach der Recht­sprechung Verträge nicht auf ewige Zeit abgeschlossen wer­den kön­nen. Sehe ein Dauerver­trag keine Kündi­gungsmöglichkeit vor, sei nach den Umstän­den des Einzelfalls zu entschei­den, wann der Zeit­punkt gekom­men sei, in dem das Ver­tragsver­hält­nis aufgelöst wer­den könne. Bei der Frei­heit in der wirtschaftlichen Betä­ti­gung nehme das Bun­des­gericht nur zurück­hal­tend einen Ver­stoss gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB an. Eine ver­tragliche Beschränkung sei nur über­mäs­sig, wenn sie den Verpflichteten der Willkür eines anderen aus­lief­ere, seine wirtschaftliche Frei­heit aufhebe oder in einem Masse ein­schränke, dass die Grund­la­gen sein­er wirtschaftlichen Exis­tenz gefährdet seien (E. 5.4 mit Hin­weisen). Auch eine lange Bindung an einen ABV sei zuläs­sig, wenn sie mit der Aktionär­seigen­schaft gekop­pelt sei und diese zu fairen, nicht erhe­blich erschw­erten Bedin­gun­gen aufgegeben wer­den könne. Eine über­mäs­sige Bindung könne jedoch namentlich vor­liegen, wenn diese im Rah­men ein­er Nach­fol­geregelung die gesamte wirtschaftliche Betä­ti­gungs­frei­heit ein­er Ver­tragspartei betr­e­ffe und damit zugle­ich auch in deren per­sön­lich­es Betä­ti­gungs­feld ein­greife (E. 5.6.2). Die Beurteilung der Über­mäs­sigkeit hänge vom gesamten Ver­trag ab, sofern bei einem umfassenden Ver­trag wie dem ABV nur einzelne Ansprüche darauf eingeklagt wür­den, der Berechtige aber auf der Gültigkeit des ganzen Ver­trags beharre (E. 5.5).

Im konkreten Fall erachtete das Bun­des­gericht den ABV als über­mäs­sig bindend i.S.v. Art. 27 Abs. 2 ZGB. Es kam zum Schluss, dass die Aus­gestal­tung des bei Erlass des erstin­stan­zlichen Urteils seit rund 30 Jahren beste­hen­den ABV eine erhe­blich ein­schnei­dende Ein­schränkung in der per­sön­lichen Gestal­tungs­frei­heit des Beklagten bei der Nach­fol­geregelung her­beige­führt habe. Der ABV schränke, eine Gen­er­a­tion nach dessen Abschluss, die Frei­heit­en des Beklagten über­mäs­sig ein. Dem sei Rech­nung zu tra­gen, indem der Ver­trag zeitlich begren­zt wirke und mit Wirkung ex nunc dahin­falle. Demzu­folge könne der Beklagte nicht verpflichtet wer­den, den Kläger an der näch­sten Gen­er­alver­samm­lung in den Ver­wal­tungsrat zu wählen (E. 5.6.2).

Die Beru­fung wurde deshalb teil­weise gutgeheissen.