4A_396/2017: Auch Staaten können sich zur Abwehr eines Sicherstellungsgesuchs auf Art. 17 der Haager Übereinkunft 1954 berufen

In der Ver­fü­gung vom 23. Novem­ber 2017 im Ver­fahren 4A_396/2017 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob sich ein Staat zur Abwehr eines Gesuchs auf Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Parteientschädi­gung nach Art. 62 Abs. 2 BGG auf Art. 17 der Haager Übereinkun­ft betr­e­f­fend Zivil­prozess­recht vom 1. März 1954 (“Haager Übereinkom­men 1954”) berufen kann.

Die A. (Beschw­erdegeg­ner­in) macht Ansprüche gegen den Staat X. (Beschw­erde­führerin) gel­tend, die sie auf das Investi­tion­ss­chutz­abkom­men zwis­chen dem Staat X. und dem Staat Y. vom 27. Novem­ber 1998 (im Fol­gen­den: “BIT”) stützt. Im Juni 2015 leit­ete die Beschw­erdegeg­ner­in gegen die Beschw­erde­führerin unter Beru­fung auf Art. 9 BIT ein Schiedsver­fahren vor dem Per­ma­nent Court of Arbi­ta­tion (“PCA”) ein. Das PCA-Schieds­gericht mit Sitz in Genf bejahte mit Entscheid vom 26. Juni 2017 seine Zuständigkeit zur Beurteilung der Stre­it­igkeit. Gegen diesen Entscheid erhob die Beschw­erde­führerin mit Eingabe vom 14. August 2017 Beschw­erde in Zivil­sachen. Im Rah­men dieses Beschw­erde­v­er­fahrens stellte die Beschw­erdegeg­ner­in ein Gesuch, die Beschw­erde­führerin sei zur Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Parteientschädi­gung im Sinne von Art. 62 Abs. 2 BGG zu verpflichten.

Eine Partei, die in der Schweiz keinen fes­ten Wohn­sitz hat, kann auf Begehren der Gegen­partei zur Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Parteientschädi­gung verpflichtet wer­den (Art. 62 Abs. 2 BGG). Es ist unstrit­tig und entspricht ständi­ger Prax­is des Bun­des­gerichts, dass nach Art. 62 Abs. 2 BGG nicht nur natür­liche Per­so­n­en oder juris­tis­che Per­so­n­en des pri­vat­en und öffentlichen Rechts, son­dern auch aus­ländis­che Staat­en grund­sät­zlich zur Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Parteientschädi­gung verpflichtet wer­den kön­nen, weil sie in der Schweiz keinen fes­ten Wohn­sitz bzw. Sitz haben.

Die Sich­er­stel­lungspflicht ent­fällt allerd­ings, wenn ein völk­er­rechtlich­er Ver­trag eine solche auss­chliesst. Sowohl die Schweiz als auch der Staat X. zählen zu den Ver­tragsstaat­en der Haager Übereinkun­ft 1954. Deren Art. 17 ver­bi­etet, Ange­höri­gen eines der Ver­tragsstaat­en, die in irgen­deinem der Ver­tragsstaat­en ihren Wohn­sitz haben und die in einem andern dieser Staat­en als Kläger oder Inter­ve­nien­ten vor Gericht auftreten, wegen ihrer Eigen­schaft als Aus­län­der oder deswe­gen, weil sie keinen Wohn­sitz oder Aufen­thalt im Inlande haben, eine Sicher­heit­sleis­tung aufzuerlegen.

Strit­tig vor Bun­des­gericht war, ob die Ver­tragsstaat­en selb­st in den Anwen­dungs­bere­ich des Haager Übereinkom­mens 1954 fall­en wür­den. Das Bun­des­gericht bejahte die Frage und hielt unter Bezug­nahme auf BGE 77 I 42 und die Lehre dafür, dass sich auch Ver­tragsstaat­en auf Art. 17 der Haager Übereinkun­ft 1954 berufen können.

Das Bun­des­gericht ver­warf auch die Argu­men­ta­tion der Beschw­erdegeg­ner­in, dass sich ein Staat nur dann auf die Haager Übereinkun­ft 1954 berufen könne, wenn er Träger von Pri­va­trecht­en sei und nicht wie im Investi­tion­ss­chutzver­fahren als hoheitlich agieren­der Staat auftrete. Das Bun­des­gericht argu­men­tierte wiederum mit Ver­weis auf BGE 77 I 42, dass es das Bun­des­gericht nicht als entschei­dend betra­chtet hat­te, ob der aus­ländis­che Staat im Grund­ver­hält­nis als Träger von Pri­va­trecht­en und damit als nicht mit Hoheits­befug­nis­sen aus­ges­tat­tete Kör­per­schaft auftritt. Auss­chlaggebend sei vielmehr, ob sich ein Staat in einem Zivil­ver­fahren ein­er aus­ländis­chen Gerichts­barkeit unter­wirft bzw. in ein Zivil­ver­fahren vor ein­er aus­ländis­chen Gerichts­barkeit ein­be­zo­gen wird, in welchem er wie ein Pri­vater behan­delt wird und gegenüber der Gegen­partei kein­er­lei Vor­rechte geniesst. Dies sei bei der Beschw­erde­führerin der Fall. Sie habe sich gle­ich ein­er Pri­vat­partei der Gerichts­barkeit eines aus­ländis­chen Staates, hier der Schweiz, unter­wor­fen und kann gle­ich ein­er Pri­vat­partei mit Kosten belastet wer­den und nimmt die gle­iche Rechtsstel­lung wie eine solche ein.

Schliesslich fol­gte das Bun­des­gericht auch nicht der Argu­men­ta­tion, dass eine Sich­er­stel­lung im vor­liegen­den Fall beson­ders angezeigt sei, da die Voll­streck­ung gegen die Beschw­erde­führerin regelmäs­sig aus­ge­sprochen schwierig, wenn nicht aus­geschlossen sei. Das Bun­des­gericht ent­geg­nete, Art. 62 Abs. 2 BGG zäh­le die Kau­tion­s­gründe abschliessend auf. Als weit­ere alter­na­tive Voraus­set­zung für die Verpflich­tung ein­er Partei zur Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Parteientschädi­gung nen­nt Art. 62 Abs. 2 BGG neben deren fehlen­den fes­ten Wohn­sitzes in der Schweiz einzig deren nach­weis­liche Zahlung­sun­fähigkeit. Keine Zahlung­sun­fähigkeit wird von ein­er um Sich­er­stel­lung ein­er allfäl­li­gen Prozessentschädi­gung ersuchen­den Partei behauptet, wenn sie gel­tend macht, es fehle der Gegen­partei bloss am Zahlungswillen, d.h. am Willen, ein­er allfäl­li­gen Verpflich­tung zur Leis­tung ein­er Parteientschädi­gung nachzukom­men. Mit ihren Vor­brin­gen behauptete die Beschw­erdegeg­ner­in keine Zahlung­sun­fähigkeit, son­dern bloss die ange­blich fehlende Zahlungswilligkeit der Beschw­erde­führerin, wom­it sie keinen geset­zlichen Sich­er­stel­lungs­grund gel­tend gemacht hatte.

Das Sich­er­stel­lungs­ge­such wurde fol­glich abgewiesen.