4A_602/2017: Praxisänderung zum Regress nach Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 Abs. 1 VVG (amtl. Publ.)

Ein im Jahre 1928 geborene Pas­sagierin stürzte in einem Bus als dieser unsan­ft anfuhr. Die Pas­sagierin erlitt durch den Sturz einen Kom­pres­sions­bruch des drit­ten Lenden­wirbels. Ihre Zusatzver­sicherung zur oblig­a­torischen Grund­ver­sicherung (A. AG; Klägerin) bezahlte für halbpri­vate Zusat­zleis­tun­gen vier Rech­nun­gen. Die Bus­be­triebe waren bei der Genossen­schaft B. (Beklagte) oblig­a­torisch haftpflichtversichert.

Die Zusatzver­sicherung (A. AG) klagte vor Han­dels­gericht des Kan­tons Bern gegen die oblig­a­torische Haftpflichtver­sicherung der Bus­be­triebe (Genossen­schaft B.) auf Bezahlung des Betrages für die vier Rech­nun­gen. Das Han­dels­gericht wies die Klage ab. Das Bun­des­gericht hiess die dage­gen erhobene Beschw­erde teil­weise gut und wies die Sache zur weit­eren Beurteilung zurück (Urteil 4A_602/2017 vom 7. Mai 2018).

Die Klägerin hat­te im Wesentlichen gel­tend gemacht, die bun­des­gerichtliche Prax­is gemäss BGE 137 III 352 sei zu ändern und ihr der Regress gegen die kausal haf­ten­den Bus­be­triebe bzw. deren Haftpflichtver­sicherung zu gewähren. Das Bun­des­gericht bejahte das Regress­recht und die grund­sät­zliche Haf­tung der beklagten Haftpflichtver­sicherung der Bus­be­triebe (E. 2.7 und E. 2.8).

Das Bun­des­gericht erachtete die Voraus­set­zun­gen für eine Prax­isän­derung als erfüllt (E. 2.5). Es erwog im Wesentlichen, in der Lehre werde zutr­e­f­fend kri­tisiert, der Ver­sicher­er werde gemäss der bish­eri­gen Recht­sprechung zu Unrecht als Haftpflichtiger im Sinne von Art. 50 f. OR behan­delt. Zutr­e­f­fend sei, dass der Ver­sicher­er den Schaden in Erfül­lung sein­er primären ver­traglichen Leis­tungspflicht aus Ver­sicherungsver­trag decke und keinen sekundären Schaden­er­satz wegen Schlecht- oder Nichter­fül­lung leiste. Dem Ver­sicher­er dürfe daher nicht der Regress auf Kausal­haftpflichtige ver­wehrt wer­den. Der Ver­sicherungsnehmer zahle keine Prämien, um andere Kausal­haftpflichtige zu ent­las­ten und für die Haftpflicht Drit­ter aufzukom­men. Zu beacht­en sei auch, dass sich die Ver­hält­nisse im Laufe der Zeit geän­dert haben, da zahlre­iche Gefährdung­shaf­tun­gen geset­zlich normiert wor­den seien und den Ver­sicherungsträgern im Sozialver­sicherungsrecht ein inte­grales Regress­recht geset­zlich zuerkan­nt wor­den sei (zum Ganzen E. 2.4). Darüber hin­aus beab­sichtige der Geset­zge­ber eine Änderung des Ver­sicherungsver­trags­ge­set­zes, wonach die Sub­ro­ga­tion weit­ge­hend der­jeni­gen im Sozialver­sicherungsrecht entspreche. Das Vernehm­las­sungsver­fahren dazu sei bere­its durchge­führt wor­den und der Geset­zesän­derung sei keine Kri­tik erwach­sen (E. 2.5).

Im konkreten Fall bedeutete die Prax­isän­derung, dass der Klägerin als pri­vate Zusatzver­sicherung ein Regress­recht gegen die Bus­be­triebe bzw. deren Haftpflichtver­sicherung gestützt auf Art. 72 Abs. 1 VVG zus­tand. Gemäss Bun­des­gericht fällt jede ausserver­tragliche Haf­tung im Sinne von Art. 41 ff. OR  unter den Begriff der uner­laubten Hand­lung im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG, inklu­sive aller als Gefährdungs- oder ein­fache Kausal­haf­tung normierten Tatbestände. Die pri­vate Schaden­ver­sicherung ist dem­nach im Ver­hält­nis zum kausal haftpflichti­gen Unfal­lverur­sach­er gle­ich zu behan­deln wie die Sozialver­sicherungsträger. Art. 51 Abs. 2 OR find­et dage­gen keine Anwen­dung auf den pri­vat­en Schaden­ver­sicher­er (zum Ganzen E. 2.6).