4A_583/2017: Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Beurteilung von Retentionsforderungen

Im Entscheid 4A_583/2017 vom 1.Mai 2018 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob das Schieds­gericht für die Beurteilung von Reten­tions­forderun­gen zuständig war.

Das Schieds­gericht erk­lärte sich mit Zwis­ch­enentscheid vom 5. Okto­ber 2017 für zuständig zur Beurteilung sämtlich­er Rechts­begehren der Klägerin (und Beschw­erdegeg­ner­in). Das umfasste auch das Even­tu­al­begehren, wonach der Klägerin die Aktien an der Gesellschaft X. Zug um Zug gegen Bezahlung eines bes­timmten Betrags her­auszugeben seien.

Die Beklagte (und Beschw­erde­führerin) rügte vor Bun­des­gericht die Ver­let­zung von Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG und brachte vor, das Schieds­gericht sei unter anderem zur Beurteilung des Even­tu­al­begehrens nicht zuständig gewesen.

Grund­lage für das Schiedsver­fahren bildete die Schied­sklausel im Man­datsver­trag vom 2. Juli 1997. Die Schied­sklausel lautete, soweit für den Entscheid von Inter­esse, wie folgt:

Für Stre­it­igkeit­en, die sich aus dem vor­liegen­den Ver­trag ergeben soll­ten, ist unter Auss­chluss des ordentlichen Rechtswegs ein Schieds­gericht zuständig, das aus drei Per­so­n­en besteht. […].

Der Ver­trag wurde ausser­dem “auss­chliesslich dem schweiz­erischen Recht unterstellt”.
Zwis­chen den Parteien war unbe­strit­ten, dass die Schiedsvere­in­barung gültig zus­tande gekom­men war. Stre­it­ig war vielmehr die Trag­weite der Schiedsklausel.

Einen tat­säch­lich übere­in­stim­menden Wille zur Trag­weite der Schied­sklausel hat­te das Schieds­gericht nicht fest­gestellt. Die Trag­weite der Schied­sklausel war daher nach dem Ver­trauen­sprinzip auszule­gen. Das Bun­des­gericht erk­lärte, dass die bun­des­gerichtliche Prax­is in diesem Zusam­men­hang davon aus­ge­ht, dass die Parteien dem Schieds­gericht man­gels beson­der­er Umstände ihre Stre­it­igkeit ins­ge­samt zur Beurteilung unter­bre­it­en und nicht der­art auf­s­pal­ten wollen, dass einzelne Fra­gen anderen Gericht­en zum Entscheid unter­bre­it­et wer­den müssten.

Das Bun­des­gericht erläuterte, dass die Schiedsver­tragsparteien die Schiedsvere­in­barung zwar in dem Sinne eng for­muliert hat­ten, als sie aus­drück­lich nur “Stre­it­igkeit­en, die sich aus diesem Ver­trag ergeben soll­ten” dem Schieds­gericht unter­bre­it­eten. Die Schiedsvere­in­barung sei indes nach Treu und Glauben so zu ver­ste­hen, dass davon auch Stre­it­igkeit­en im Zusam­men­hang mit dem Zus­tandekom­men des Man­datsver­trags vom 2. Juli 1997 und ins­beson­dere auch Stre­it­igkeit­en über dessen Beendi­gung bzw. über Ansprüche im Zusam­men­hang mit der Abwick­lung dessen Beendi­gung erfasst wer­den. Soweit der Beschw­erde­führer Forderun­gen im Zusam­men­hang mit der Abwick­lung der Ver­trags­beendi­gung stellt, habe das Schieds­gericht seine Zuständigkeit im Ergeb­nis zu Recht bejaht.

Betr­e­f­fend den Even­tu­alantrag auf Zug um Zug Über­tra­gung der Aktien an der Gesellschaft X. ver­wies das Bun­des­gericht auf Art. 895 Abs. 1 ZGB, wonach der Gläu­biger bewegliche Sachen und Wert­pa­piere, die sich mit Willen des Schuld­ners im Besitz des Gläu­bigers befind­en, bis zur Befriedi­gung (oder bis zur hin­re­ichen­den Sich­er­stel­lung) für seine Forderung zurück­be­hal­ten kann, wenn die Forderung fäl­lig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegen­stand der Reten­tion in Zusam­men­hang steht.

Das Bun­des­gericht führte weit­er aus, dass es für recht­shem­mende Forderun­gen der Kon­nex­ität bedürfe, die der Beschw­erde­führer der Klage­forderung einre­deweise ent­ge­gen­hal­ten könne: Der Besitz an den Name­nak­tien, deren Her­aus­gabe die Beschw­erdegeg­ner­in ver­lan­gen würde, müsse mit den Forderun­gen des Beschw­erde­führers in einem natür­lichen Zusam­men­hang ste­hen, damit die Reten­tion begrün­det wer­den könne. Auch wenn diese Forderun­gen nicht zwin­gend densel­ben Rechts­grund haben und somit nicht zwin­gend aus dem Man­datsver­trag vom 2. Juli 1997 ent­standen sein müssen, so müssen diese Forderun­gen einen hin­re­ichend engen Zusam­men­hang mit dem Besitz des Beschw­erde­führers an den Name­nak­tien und damit let­ztlich mit dem Man­datsver­hält­nis aufweisen. Dieser erforder­liche natür­liche Zusam­men­hang recht­fer­tige den Schluss, dass die Parteien nach Treu und Glauben dem Schieds­gericht nicht nur unbe­strit­ten den ver­traglichen Her­aus­gabeanspruch an den Wert­pa­pieren, son­dern auch allfäl­lige damit in Zusam­men­hang ste­hende Reten­tions­forderun­gen zur Beurteilung über­tra­gen hät­ten. Denn soweit dem Beschw­erde­führer ein — kon­nex­es — Reten­tion­srecht zuste­hen würde, müsse die Klage auf Her­aus­gabe abgewiesen wer­den. Dass aber — wie der Beschw­erde­führer befür­wortete — nach dem Partei­willen zuerst andere Gerichte über die von ihm einre­deweise gel­tend gemacht­en Forderun­gen entschei­den soll­ten, bevor das Schieds­gericht über den Her­aus­gabeanspruch absprechen könne, sei aus objek­tiv­er Sicht nicht anzunehmen. Vernün­ftiger­weise könne nicht angenom­men wer­den, die Parteien hät­ten eine Spal­tung des Rechtswegs in dem Sinne vere­in­bart, dass das Schieds­gericht erst über die strit­tige Her­aus­gabe entschei­den könne, wenn über sämtliche vom Beschw­erde­führer gestell­ten Forderun­gen ander­weit­ig gerichtlich entsch­ieden sei. Die Zuständigkeit des Schieds­gerichts beste­he auf­grund der erforder­lichen Kon­nex­ität auch für Retentionsforderungen.

Die Schiedsvere­in­barung sei nach dem Ver­trauen­sprinzip so auszule­gen, dass das Schieds­gericht zuständig sei, über Reten­tions­forderun­gen zu urteilen, soweit diese im Sinne des Even­tu­alantrags Zug um Zug gegen Her­aus­gabe der Name­nak­tien an der Gesellschaft X. zu bezahlen sind. Dage­gen sei das Schieds­gericht nicht zuständig, über sämtliche Forderun­gen zu urteilen, mit denen der Beschw­erde­führer sein Reten­tion­srecht begrün­det. Zwis­chen Reten­tion­srecht und Reten­tions­forderung sei zu unter­schei­den. Das Schieds­gericht sei zur Beurteilung von Forderun­gen des Beschw­erde­führers nur insoweit zuständig, als diese ein Reten­tion­srecht an den umstrit­te­nen Namen­pa­pieren begrün­den, weil sie mit dem Besitz daran in Zusam­men­hang ste­hen. Zur Beurteilung von Forderun­gen des Beschw­erde­führers gegen die Beschw­erdegeg­ner­in, denen diese Kon­nex­ität fehlen würde und mit denen der Beschw­erde­führer daher ein Reten­tion­srecht an den umstrit­te­nen Namen­pa­pieren von Vorne­here­in nicht begrün­den könne, fehle dem Schieds­gericht die Zuständigkeit.

Das Schieds­gericht sei zwar zuständig zur Beurteilung des Even­tu­alantrags. Die Zuständigkeit sei jedoch im Sinne der Schiedsvere­in­barung so zu ver­ste­hen, dass das Schieds­gericht über die Begrün­de­theit von Forderun­gen des Beschw­erde­führers (nur) unter der Voraus­set­zung zu entschei­den hat, dass diese ein Reten­tion­srecht an den Name­nak­tien begrün­den, deren Her­aus­gabe die Beschw­erdegeg­ner­in ver­langt. Soweit der Beschw­erde­führer Forderun­gen gegen die Beschw­erdegeg­ner­in erhebe, denen der Zusam­men­hang mit dem strit­ti­gen Besitz an den Aktien fehlt, sei das Schieds­gericht zur Beurteilung nicht zuständig. Das Schieds­gericht würde daher für jede der vom Beschw­erde­führer erhobene Forderung zuerst zu prüfen haben, ob dafür im Sinne von Art. 895 Abs.1 ZGB der Zusam­men­hang mit dem Besitz an den Aktien der Gesellschaft X. besteht.