4A_230/2018: Lohnzahlung in Euro; Diskriminierungsverbot gemäss Freizügigkeitsabkommen

Die Arbeit­nehmerin B. mit Wohn­sitz in Deutsch­land stand in einem Arbeitsver­hält­nis mit der A. GmbH, die ihren Sitz eben­falls in Deutsch­land hat­te. Als Gren­zgän­gerin arbeit­ete B. am schweiz­erischen Stan­dort der Arbeit­ge­berin in Schaffhausen.

Der Pro­duk­tion­s­stan­dort in Schaffhausen geri­et im Jahr 2011 auf­grund der Eurokrise und der Franken­stärke in eine wirtschaftlich schwierige Lage. Die Arbeit­ge­berin schlug den Mitar­bei­t­en­den deshalb vor, die Löhne der Gren­zgänger kün­ftig zu einem fix­en Wech­selkurs von 1.39 in Euro auszubezahlen. Darüber hin­aus kündigte die Arbeit­ge­berin an, sie werde eine Änderungskündi­gung aussprechen, falls die Ver­tragsän­derung nicht akzep­tiert werde.

Im Jahr 2014 endete das Arbeitsver­hält­nis mit B. zufolge Arbeit­ge­berkündi­gung. B. reichte Klage ein und forderte Lohn­nachzahlun­gen. Das Kan­ton­s­gericht Schaffhausen wies die Klage ab. Das Oberg­ericht des Kan­tons Schaffhausen hiess hinge­gen die Klage gut. Die dage­gen erhobene Beschw­erde der Arbeit­ge­berin hiess das Bun­des­gericht gut, hob das oberg­erichtliche Urteil auf und wies die Klage endgültig ab (Urteil 4A_230/2018 vom 15. Jan­u­ar 2019).

Zwis­chen den Parteien war umstrit­ten, ob ein Ver­stoss gegen das Freizügigkeitsabkom­men FZA vor­lag (E. 2). Das Bun­des­gericht liess offen, ob Art. 9 Abs. 1 Anhang FZA unmit­tel­bare Drit­twirkung für pri­vate Arbeit­ge­ber ent­fal­ten und eine ver­pönte Arbeit­nehmerdiskri­m­inierung vor­liegen würde. Das Gericht erkan­nte, die Beru­fung auf diese Bes­tim­mung sei auf­grund der beson­deren Umstände rechtsmiss­bräuch­lich gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB (E. 3.3).

Das Bun­des­gericht hielt unter anderem fest, nach Schweiz­er Recht sei die ver­tragliche Vere­in­barung zuläs­sig, den Lohn in ein­er anderen Währung auszuricht­en (E. 2). Ausser­dem sei der per­sön­liche Anwen­dungs­bere­ich von Art. 9 Anhang I FZA gegeben, da der erforder­liche gren­züber­schre­i­t­ende Anknüp­fungspunkt nicht nur bei Zuzugs­fällen, son­dern auch bezüglich Gren­zgänger vor­liege (E. 2.2). Art. 9 Abs. 1 und 4 Anhang I FZA seien überdies unmit­tel­bar anwend­bar (self exe­cut­ing; E. 2.4). Dieses Diskri­m­inierungsver­bot habe primär wirtschaftlichen Charak­ter und weise keinen men­schen­rechtlichen Gehalt auf (E. 3.2). Gemäss Bun­des­gericht stand konkret eine indi­rek­te Diskri­m­inierung zur Diskus­sion, da der strit­tige Änderungsver­trag nicht an die Staat­sange­hörigkeit anknüpfte, son­dern an den Wohn­sitz der Arbeit­nehmerin im Aus­land (E. 2.3 und 2.6).

Gemäss Bun­des­gericht berief sich die Arbeit­nehmerin rechtsmiss­bräuch­lich auf das Freizügigkeitsabkom­men. Die Arbeit­nehmerin habe der Lohnan­pas­sung im Dezem­ber 2011 zuges­timmt, wobei bei­de Parteien gewusst hät­ten, dass die Arbeit­ge­berin auf­grund der Eurokrise und den steigen­den Frankenkurs in eine prekäre finanzielle Lage ger­at­en war. Die Arbeit­ge­berin hat­te eine Lohnkürzung vorgeschla­gen, weil der Pro­duk­tion­s­stan­dort in Schaffhausen akut gefährdet war. Die Arbeit­ge­berin gener­ierte ihre Umsätze in Euro, hat­te jedoch die Lohnkosten in Schweiz­er Franken zu tra­gen. Das Motiv der Ver­tragsän­derung sei einzig die Sicherung von Arbeit­splätzen in der Schweiz gewe­sen. Selb­st die Schweiz­erische Nation­al­bank habe damals Mühe bekun­det, auf die Lage an den Finanzmärk­ten zu reagieren und habe sich zu ausseror­dentlichen geld­poli­tis­chen Mass­nah­men genötigt gese­hen. Gemäss Bun­des­gericht erschien es unter diesen Umstän­den als rechtsmiss­bräuch­lich, sich auf das Diskri­m­inierungsver­bot des Freizügigkeitsabkom­mens zu berufen, zumal die Arbeit­nehmerin mehrere Jahre zuvor der Ver­tragsän­derung zur Ret­tung ihres eige­nen Arbeit­splatzes zuges­timmt hat­te (vgl. zum Ganzen E. 3.2).