2C_1083/2017: Geschäftsadresse eines Anwalts (institutionelle Unabhängigkeit, Berufsgeheimnis) (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bildete das Gesuch ein­er Gen­fer Anwältin, die ihre Geschäft­sadresse bei der B. AG im Anwalt­sreg­is­ter hat­te ein­tra­gen wollen. Der Zweck der B. AG bestand unter anderem darin, unab­hängi­gen Anwäl­ten ein Geschäfts­dom­izil sowie die für die Ausübung ein­er Anwalt­stätigkeit notwendi­gen Dien­stleis­tun­gen anzu­bi­eten. Die Com­mis­sion du Bar­reau du can­ton de Genève und der Gen­fer Cour de Jus­tice sahen darin mehrere Ver­stösse gegen das BGFA und lehn­ten die Ein­tra­gung ab. Zu Recht, wie das Bun­des­gericht entschied.

Das Bun­des­gericht prüfte zunächst, ob die Anwältin mit der Inanspruch­nahme der Dien­stleis­tun­gen der B. AG die Anforderun­gen an die insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA erfüllt.

Es erin­nerte zunächst daran, dass es sich bei der insti­tu­tionellen Unab­hängigkeit um ein wesentlich­es Grund­prinzip des Anwalts­berufs han­delt (“un principe essen­tiel de la pro­fes­sion d’av­o­cat”) (E. 6.1). Sodann wies es auf die Abgren­zung zur beruf­s­rechtlichen Pflicht, den Anwalts­beruf unab­hängig auszuüben (Art. 12 lit. b BGFA), hin (E. 6.2). Die erforder­liche insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit hänge dabei nicht von der gewählten Rechts­form ab, son­dern von der Organ­i­sa­tion im konkreten Fall (E. 6.3). Mit der Pflicht zur insti­tu­tionellen Unab­hängigkeit verknüpft sei die all­ge­meine Pflicht des Anwalts, Irreführun­gen über die Art der Beruf­sausübung zu unter­lassen (“s’ab­stenir de créer des apparences trompeuses quant à la manière dont il [l’av­o­cat] excerce sa pro­fes­sion”) (E. 6.4).

Bezo­gen auf den vor­liegen­den Fall bestätigte das Bun­des­gericht die Erwä­gun­gen der Vorin­stanz, wonach die Anwältin mit der Inanspruch­nahme der Dien­stleis­tun­gen der B. AG gegen die Anforderun­gen an die insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit ver­stösse (E. 6.6). Zwar wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass die Anwältin ihren Beruf in eigen­em Namen und in eigen­er Ver­ant­wor­tung ausübe und die B. AG in erster Lin­ie für den Erhalt der Geschäft­sko­r­re­spon­denz und deren Räum­lichkeit­en für die physis­che Akten­ablage in einem sep­a­rat­en Schrank, zu welchem nur sie Zugang hat­te, nutze. Sodann nutze die Anwältin die von der B. AG ange­bote­nen Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel, indem ihre Klien­ten sie sowohl unter der Fes­t­net­znum­mer der B. AG sowie unter der E‑Mail Adresse [email protected] als auch unter ihrer Mobil­tele­fon­num­mer sowie unter der E‑Mail Adresse [email protected] kon­tak­tieren kön­nten. Sodann könne die Anwältin, soweit ver­füg­bar, in den Räum­lichkeit­en der B. AG ein Sitzungsz­im­mer reservieren. Darüber hin­aus wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass gemäss verbindlichem Sachver­halt die Anwältin ihre primäre Klientschaft vor allem ausser­halb des Büros betreue und diese namentlich in Gefäng­nis­sen besuche. Diese Art der Beruf­sausübung durch die Anwältin sei mit den Anforderun­gen der insti­tu­tionellen Unab­hängig vere­in­bar (E. 6.5, 1. Abschnitt).

Allerd­ings, so das Bun­des­gericht weit­er, hätte die Vorin­stanz zu Recht darauf hingewiesen, dass die zwis­chen der Anwältin und der B. AG gel­tenden AGB hin­sichtlich der insti­tu­tionellen Unab­hängigkeit heikel seien, da die AGB eher die Inter­essen der B. AG als jene der Anwältin schützen wür­den. Diese AGB wür­den ein tat­säch­lich­es Ungle­ichgewicht im Ver­tragsver­hält­nis zugun­sten der B. AG bele­gen und die Anwältin in eine Sit­u­a­tion der Recht­sun­sicher­heit brin­gen, was mit den Anforderun­gen an die insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit nicht vere­in­bar sei (E. 6.5, 2. Abschnitt).

Zudem erachtete das Bun­des­gericht die Befürch­tung der Vorin­stanz, wonach mit der Nen­nung der B. AG als Geschäft­sadresse ein Risiko für Irreführun­gen über die Art der Beruf­sausübung durch die Anwältin beste­he, als legit­im. Die Anwältin könne bei der Angabe ihrer Geschäft­sadresse die Nen­nung der B. AG nicht ver­hin­dern, schaffe damit aber einen Auftritt, der nicht der Real­ität ent­preche, da die Klien­ten den Ein­druck erhal­ten kön­nten, die Anwältin prak­tiziere ihre Tätigkeit in ein­er Anwalt­skap­i­talge­sellschaft. Die Anwältin müsse somit eine Rei­he von Mass­nah­men ergreifen, um dieses Risiko zu min­imieren. So müsse die Anwältin ins­beson­dere das Logo der B. AG von ihrem Brief­pa­pi­er sowie die E‑Mail Adresse [email protected] aus ihren Kon­tak­t­dat­en ent­fer­nen. Sodann könne die tele­fonis­che Begrüs­sung mit “B. bon­jour” irreführen wirken. Die Tat­sache, dass auf der Inter­net­seite der B. AG ange­führt sei, dass es sich um eine Plat­tform für unab­hängige Anwälte han­dle, reiche nicht aus, da wed­er erwartet wer­den könne, dass Klien­ten, welche die Kon­tak­t­dat­en der Anwältin besitzen, die Inter­net­seite der B. AG kon­sul­tieren noch unmit­tel­bar die Bedeu­tung des Aus­drucks “Plat­tform für unab­hängige Anwälte” ver­ste­hen wür­den (E. 6.5, 3. Abschnitt).

Sodann unter­suchte das Bun­des­gericht, ob die Anwältin mit der Geschäft­sadresse bei der B. AG einen hin­re­ichen­den Schutz des Beruf­s­ge­heimniss­es gemäss Art. 13 BGFA sicherzustellen vermag.

Auch hier rief das Bun­des­gericht zunächst in Erin­nerung, dass das Beruf­s­ge­heim­nis des Anwalts ein für den Rechtsstaat notwendi­ges Insti­tut sei und dass der Anwalts­beruf nur dann kor­rekt aus­geübt wer­den könne, wenn der Klient seinem Anwalt abso­lut ver­trauen könne (E. 7.1). Der Anwalt müsse alle Mass­nah­men, die von ihm erwartet wer­den kön­nten, ergreifen, um eine Ver­let­zung des Beruf­s­ge­heimniss­es zu ver­hin­dern und könne sich von sein­er Pflicht, von ihm beige­zo­gene Hil­f­sper­so­n­en zu überwachen, nicht entziehen (E. 7.2). Dabei erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass der Begriff der Hil­f­sper­so­n­en weit zu ver­ste­hen sei (E. 7.3). Zwar anerken­nt das Bun­des­gericht, dass ein Anwalt immer mehr darauf angewiesen ist, auf Dien­stleis­tungser­bringer zurück­zu­greifen, die ausser­halb seines Büros tätig sind. Dies ändere allerd­ings nichts an der grundle­gen­den Bedeu­tung (“impor­tance car­di­nale”) des Beruf­s­ge­heimniss­es. Dies erfordere eine sin­nvolle Begren­zung des Per­so­n­enkreis­es, der Zugang zu den geschützten Infor­ma­tio­nen erhälte, und das Ergreifen aus­re­ichen­der Mass­nah­men zu deren Absicherung. Vor diesem Hin­ter­grund sei es beispiel­sweise einem Anwalt nicht ges­tat­tet, zuzu­lassen, dass eine Hil­f­sper­son einen Teil oder sämtliche Auf­gaben durch einen Drit­ten aus­führen lasse (Ver­bot der Sub­deleg­tion)  (E. 7.4).

Vor­liegend erachtete das Bun­des­gericht die Struk­tur, in welch­er die Anwältin ihren Beruf ausüben wollte, als nicht hin­re­ichend, um den Schutz des Beruf­s­ge­heimniss­es zu garantieren. Die B. AG sei keine Anwalt­skap­i­talge­sellschaft und deren Angestellte kön­nten somit nicht als Hil­f­sper­so­n­en des Anwalts qual­i­fiziert wer­den. Allerd­ings han­dle es sich bei der B. AG sel­ber um eine Hil­f­sper­son, wom­it die Anwältin verpflichtet sei, die Ein­hal­tung des Beruf­s­ge­heimniss­es durch die B. AG zu überwachen. Dies sei gemäss vor­liegen­dem Sachver­halt nicht hin­re­ichend sichergestellt. Zunächst beste­he keine entsprechende schriftliche Verpflich­tung der B. AG. Vielmehr gehe aus den AGB her­vor, dass die B. AG ihre Haf­tung auf Vor­satz und grobe Fahrläs­sigkeit begren­zt hätte. Damit komme die Anwältin ihrer Pflicht, alle Mass­nah­men zu ergreifen, die von ihr erwartet wer­den kön­nten um eine Ver­let­zung des Beruf­s­ge­heimniss­es zu ver­hin­dern, nicht zu Genüge nach. Sodann wür­den die Anrufe auf die Fes­t­net­znum­mer der B. AG nicht durch deren Angestellte, son­dern durch Angestellte ein­er von der B. AG man­datierten Gesellschaft ent­ge­gengenom­men. Damit liege eine uner­laubte Sub­deleg­tion vor (E. 7.5 f.).

Schliesslich äusserte sich das Bun­des­gericht zur Pflicht eines Anwalts, über eine Geschäft­sadresse zu ver­fü­gen (Art. 5 Abs. 2 lit. d BGFA).

Es wies zunächst darauf hin, dass die blosse Angabe eines Post­fachs oder “care of”-Adressen dieser Anforderung nicht genü­gen würde (E. 8.1). Sodann warf das Bun­des­gericht die Frage auf, inwiefern es auf­grund der heuti­gen Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel, der Möglichkeit eines Anwalts, von über­all zu arbeit­en, sowie der gestiege­nen Konkur­ren­zsi­t­u­a­tion, die einen Anwalt zwin­gen wür­den, seine Organ­i­sa­tions­form zu über­denken (E. 8.2), gerecht­fer­tigt sei, das ein Anwalt über ein physis­ches Büro an ein­er fes­ten Geschäft­sadresse ver­fü­gen müsse. Dabei erwog das Bun­des­gericht indessen, dass trotz der neuen Tech­nolo­gien und der damit ver­bun­de­nen Mobil­ität ein Anwalt nach wie vor einen physis­chen Ort benötige, um zu arbeit­en und seine Klien­ten per­sön­lich zu tre­f­fen. Dieser per­sön­liche Kon­takt verbleibe notwendig, um die Inter­essen des Klien­ten vertreten sowie um die Ver­traulichkeit, und damit ins­beson­dere das Beruf­s­ge­heim­nis, sich­er­stellen zu kön­nen. Damit verbleibe die Notwendigkeit eines Anwalts, über ein physis­ches Büro an der Geschäft­sadresse zu ver­fü­gen, gerecht­fer­tigt (E. 8.3).

Da das Bun­des­gericht vor­liegend zum Schluss kam, dass die Anwältin wed­er die insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit noch den Schutz des Beruf­s­ge­heimniss­es garantiere, könne die B. AG nicht als ihre Geschäft­sadresse fungieren. Allerd­ings wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass die Tat­sache, dass das Arbeit­en und der Emp­fang von Klien­ten in den Räum­lichkeit­en der B. AG von der Ver­füg­barkeit entsprechen­der Räume abhänge, grund­sät­zlich den Bedürfnis­sen der Anwältin genüge. Es sei auf­grund der von ihr gewählten Arbeitsweise nicht aus­geschlossen, dass eine Geschäft­sadresse bei der B. AG den Anforderun­gen von Art. 5 BGFA genü­gen könne, sofern den Anforderun­gen an die insti­tu­tionelle Unab­hängigkeit und dem Schutz des Beruf­s­ge­heimniss­es hin­re­ichend Rech­nung getra­gen werde (E. 8.4).

Im vor­liegen­den Ver­fahren wurde die Anwältin durch einen Anwalt vertreten, der gle­ichzeit­ig Aktionär und Ver­wal­tungsrat der B. AG war. Inwiefern dieser Anwalt als Vertreter der Anwältin in einem Inter­essenkon­flikt zu seinen eige­nen Inter­essen stand und inwiefern er demzu­folge die Anwältin recht­mäs­sig vor dem Bun­des­gericht hätte vertreten kön­nen, liess das Bun­des­gericht indessen offen (E. 1.2).