4A_267/2018: Cash Pool, aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Zulässigkeit der Berücksichtigung von Konzerninteressen

Dieses Urteil betraf eine Klage auf aktien­rechtliche Ver­ant­wortlichkeit, welche die Nach­lass­masse der Swis­sair Schweiz­erische Luftverkehr-Aktienge­sellschaft gegen 14 (ehe­ma­lige) Organe vor dem Han­dels­gericht Zürich ein­geleit­et hat­te. Die Organe übten zu unter­schiedlichen Zeit­en unter­schiedliche Funk­tio­nen in der Konz­ern­mut­terge­sellschaft, der SAir­Group, aus (E. A.b.).

Der Hin­ter­grund der Klage stellte sich gemäss dem von der Vorin­stanz fest­gestell­ten Sachver­halt zusam­menge­fasst und vere­in­facht wie fol­gt dar: In den Jahren 1998/1999 wurde im SAir­Group-Konz­ern eine zen­trale Konz­ern­fi­nanzierung mit ein­heitlich­er finanzieller Leitung einge­führt. Dabei wurde die Ein­führung eines Cash Pools vorge­se­hen, um die konz­ern­weite Liq­uid­ität sicherzustellen. Ab dem zweit­en Hal­b­jahr 1999 betrieb die SAir­Group ein soge­nan­nten Zero Bal­anc­ing Cash Pool­ing. Als Pool­lead­erin set­zte sie die von ihr eigens zu diesem Zweck in den Nieder­lan­den gegrün­dete SAir­Group Finance (NL) B.V. ein. Die Pool­lead­erin unter­hielt auf ihren Namen Kon­toko­r­rent-Kon­ti in USD, Euro und CHF. Die Konz­ernge­sellschaften, darunter auch die Swis­sair, unter­hiel­ten eben­falls auf ihren eige­nen Namen je solche Kon­ti. Die Kon­ti der Konz­ernge­sellschaften wur­den täglich auf Sal­do Null gestellt, wobei ein pos­i­tiv­er Sal­do dem Mas­ter Account der Pool­lead­erin gut­geschrieben bzw. ein neg­a­tiv­er Sal­do dem Mas­ter Account belastet wurde. Die Swis­sair war im Rah­men dieses konz­ern­weit­en Cash Pools — mit kurzen Aus­nah­men — prak­tisch andauernd Net­togläu­bigerin der Pool­lead­erin und ver­fügt bis zulet­zt über namhafte Guthaben bei ihr (E. A.d.a). Neben der Teil­nahme an diesem Zero Bal­anc­ing Cash Pool gewährte die Swis­sair der SAir­Group mit ihrer über­schüs­si­gen Liq­uid­ität seit ihrer Grün­dung im Mai 1997 bis zum Zusam­men­bruch der SAir­Group im Okto­ber 2001 laufend Fest­geld-Dar­lehen. Im Rah­men dieser Fest­gel­dan­la­gen “parkierte” die Swis­sair für eine feste Zeit­dauer nicht betrieb­snotwendi­ge Mit­tel bei der SAir­Group (E. A.d.b).

Mit ihrer Klage forderte die Swis­sair von den 14 Orga­nen Schaden­er­satz gestützt auf Art. 754 OR wegen dem Aus­fall ihrer Cash-Pool-Forderun­gen gegenüber der Pool­lead­erin. Sodann forderte die Swis­sair von 5 Orga­nen Schaden­er­satz wegen Aus­fall ihrer Fest­geld-Dar­lehen gegenüber der SAir­Group (E. B). Das Han­dels­gericht Zürich wies die Klage ab. Ins­beson­dere verneinte es voll­ständig oder teil­weise die Pas­sivle­git­i­ma­tion von ins­ge­samt 10 Orga­nen sowie gegenüber allen 14 Orga­nen die Haf­tungsvo­raus­set­zun­gen der Pflichtver­let­zung, des Schadens und des Kausalzusam­men­hangs bzw. erachtete diese als nicht hin­re­ichend sub­stanzi­iert dar­ge­tan (E. B.).

Vor Bun­des­gericht rügte die Swis­sair unter anderem, dass die Vorin­stanz zu Unrecht eine Pflichtver­let­zung verneint hat­te. Sie wirft den Orga­nen ins­beson­dere eine pflichtwidrige Bewirtschaf­tung der Aktiv­en der Swis­sair und damit ein Ver­stoss gegen mehrere aktien­rechtliche Bes­tim­mungen vor, ein­er­seits durch die Ein­führung und Betrieb des Cash Pools und ander­er­seits durch die Erneuerun­gen von Fest­geld-Dar­lehen im Sep­tem­ber 2001 (E. 6.2. und E. 6.5.). Das Bun­des­gericht wies diese Rüge — wie die aller­meis­ten anderen Rügen — ab und bestätigte, dass die Vorin­stanz im vor­liegen­den, in ver­schieden­er Hin­sicht aussergewöhn­lichen Fall das Vor­liegen ein­er Pflichtver­let­zung im Ergeb­nis zu Recht verneint hat­te. Die Gewährun­gen der Fest­geld- und Cash-Pool-Dar­lehen, wiewohl für die Swis­sair ab Jan­u­ar 2001 mit Nachteilen ver­bun­den und — bei blossem Abstellen auf Drit­tbe­din­gun­gen — gegen Kap­i­talschutzvorschriften ver­stossend, könne, zumal bei der hier gebote­nen Zurück­hal­tung in der Über­prü­fung von Geschäft­sentschei­den, nicht als pflichtwidrig i.S.v. Art. 754 Abs. 1 OR betra­chtet wer­den, da damit let­zlich (und jeden­falls bei dama­liger Betra­ch­tung) Gesellschaftsin­ter­essen gewahrt wor­den seien. Dem Konz­ern­in­ter­esse sei nicht ein ent­ge­genge­set­ztes Gesellschaftsin­ter­esse der Swis­sair unter­ge­ord­net wor­den. Vielmehr habe eine Krisen­si­t­u­a­tion vorgele­gen, was sich auch darin zeige, dass der Bun­desrat der SAir­Group zum gle­ichen Zeitraum und unter densel­ben Umstän­den (ungesichert) Bun­des­gelder in Mil­liar­den­höhe zur Ver­fü­gung gestellt hat­te (E. 6.5.4.4.).

Zur Begrün­dung wies das Bun­des­gericht zunächst auf die Erwä­gun­gen der Vorin­stanz hin, wonach die von der Swis­sair der Pool­lead­erin gewährten Cash-Pool-Dar­lehen sowie die der SAir­Group gewährten Fest­geld-Dar­lehen ab dem 1. Jan­u­ar 2001 wider­rechtlich gewe­sen seien, da sie gegen das Ver­bot der verdeck­ten Gewin­nauss­chüt­tung (Art. 678 Abs. 2 OR) sowie gegen das Ver­bot der Ein­lagerück­er­stat­tung (Art. 680 Abs. 2 OR) ver­stiessen. Allerd­ings sei, so das Bun­des­gericht weit­er, die Vorin­stanz zu Recht nicht bei diesem all­ge­meinen Schluss ste­hen geblieben, son­dern habe geprüft, ob und inwiefern dieser Umstand den einzel­nen Beklagten ange­lastet wer­den könne. Dabei müsse die Swis­sair die Anspruchsvo­raus­set­zun­gen, wie namentlich die Pflichtver­let­zung, für jedes beklagte Organ sep­a­rat prüfen und sub­stanzi­ieren. Diesen Sub­stanzi­ierungspflicht­en sei die Swis­sair, ent­ge­gen der Ansicht der Vorin­stanz, nachgekom­men (E. 6.5.4.3.).

Daraufhin erwog das Bun­des­gericht, dass Entschei­de, die gegen aktien­rechtliche Kap­i­talschutzbes­tim­mungen ver­stossen, durch beson­dere Umstände gerecht­fer­tigt sein kön­nten und damit aus­nahm­sweise kein pflichtwidriges Ver­hal­ten darstellen wür­den. Entsprechend habe die Vorin­stanz zu Recht auch die Frage aufge­wor­fen habe, ob die von den Beklagten gewählte Hand­lung­sop­tion, dem SAir­Group-Konz­ern Dar­lehen zur Ver­fü­gung zu stellen, welche dieser im Inter­esse des Konz­erns und mit­tel­bar auch im Inter­esse der Swis­sair habe ver­wen­den kön­nen, sin­nvoller gewe­sen sei (E. 6.5.4.4.).

Das Bun­des­gericht wies sodann auf sein Swiss­car­go-Urteil hin (BGE 140 III 533; der entsprechende Beitrag auf Swiss­blawg find­et sich hier), in welchem es erwogen hat­te, es sei frag­würdig, ob die Teil­nahme an einem Cash Pool, bei der die Teil­nehmerin über ihre Liq­uid­ität ver­füge, als solche über­haupt einem Drittmannstest stand­halte. Sodann wies es auf die in der Lehre geführte Diskus­sion hin, inwiefern die Konz­ernzuge­hörigkeit bei der Beurteilung der Drit­tbe­din­gun­gen zu berück­sichti­gen sei (E. 6.5.4.4.).

Anschliessend erwog das Bun­des­gericht, dass mit der Fest­stel­lung der Vorin­stanz, wonach die konz­ern­in­ter­nen Dar­lehen ab dem 1. Jan­u­ar 2001 nicht mehr Mark­tbe­din­gun­gen entsprochen hät­ten, noch nicht gesagt sei, ob die Teil­nahme am Cash Pool bzw. die Gewährung von Fest­geld-Dar­lehen im konkreten Fall einen Ver­stoss gegen die Pflicht­en der Gesellschaft­sor­gane darstellen wür­den. Denn, so das Bun­des­gericht, aus dem Umstand, dass ein unbesichertes Dar­lehen den Drittmannstest nicht beste­he, folge nicht zwin­gend, dass die Teil­nahme am Cash Pool bzw. die Gewährung eines unbesicherten Dar­lehens an die Konz­ern-Mut­terge­sellschaft eine Pflichtver­let­zung darstelle. Die Vorin­stanz habe zwar fest­gestellt, dass die Swis­sair im mass­ge­blichen Zeit­punkt nicht über frei auss­chüt­tbares Eigenkap­i­tal in der erforder­lichen Höhe ver­fügt hätte, allerd­ings eben­so zu Recht erkan­nt, dass die dem Konz­ern zur Ver­fü­gung gestell­ten Dar­lehen im Inter­esse des Konz­erns und damit mit­tel­bar auch im Inter­esse der Swis­sair hät­ten ver­wen­det wer­den kön­nen. Das Inter­esse der Swis­sair am Fortbe­stand der SAir­Group und der Schwest­erge­sellschaften sei emi­nent gewe­sen. Denn die Swis­sair sei für den Flug­be­trieb darauf angewiesen gewe­sen, dass die Konz­ernge­sellschaften — namentlich die Flightlease AG, welche für den Flot­ten­be­trieb ver­ant­wortlich gewe­sen sei und in welche die Flugzeugflotte einge­bracht wor­den war (E. A.c.) — fortbe­standen hät­ten, anson­sten auch sie ihren Flug­be­trieb nicht hätte fort­führen kön­nen. Die Dar­lehens­gewährung sei in den Dienst dieses pri­or­itären Gesellschaftsin­ter­ess­es der Swis­sair gestellt und sei auch unter dem Aspekt der Organ­ver­ant­wortlichkeit in diesem Kon­text zu würdi­gen (E. 6.5.4.4.).

Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf die Fest­stel­lung der Vorin­stanz, wonach die Fest­geld- und Cash-Pool-Dar­lehen betriebliche Investi­tio­nen und keine reine Finan­zan­la­gen gewe­sen wären, die der Konz­ern mit­tel­bar auch im Inter­esse der Swis­sair hätte ver­wen­den kön­nen. Diese Dar­lehen seien somit, so das Bun­des­gericht, nicht als einzelne Anlagegeschäfte anzuse­hen und zu bew­erten. Vielmehr sei wie bei anderen Geschäft­sentschei­den bei der Über­prü­fung solch­er betrieblich­er Anlagegeschäfte eine gewisse Zurück­hal­tung anzule­gen. Dabei stimmte das Bun­des­gericht der Auf­fas­sung der Vorin­stanz zu, wonach mit Blick auf die Vorteile der Konz­ernzuge­hörigkeit nicht ein­fach isoliert das Gesellschaftsin­ter­esse der betr­e­f­fend­en Gesellschaft, son­dern in einem gewis­sen Grad auch das Konz­ern­in­ter­esse mit­berück­sichtigt wer­den müsse. Entsprechend durfte die Vorin­stanz bei der Bew­er­tung der Fest­geld- und Cash-Pool-Dar­lehen mit­berück­sichti­gen, dass der Fortbe­stand der SAir­Group im emi­nen­ten (mit­tel­baren) Inter­esse der Swis­sair gele­gen habe, welche auf die Konz­ernge­sellschaften angewiesen gewe­sen sei um den Flug­be­trieb aufrecht zu erhal­ten (E. 6.5.4.4.).