4A_294/2019 und 4A_296/2019: Teilweise Gutheissung der Rüge, das Schiedsgericht habe über Streitpunkte entschieden, die ihm nicht unterbreitet worden sind

Gegen den Schiedsspruch eines ICC Schieds­gerichts mit Sitz in Zürich vom Mai 2019 hat­ten sowohl die Klägerin als auch die bei­den Beklagten Beschw­erde erhoben. In den vere­inigten Ver­fahren 4A 294/2019 und 4A 296/2019 befasste sich das Bun­des­gericht mit Urteil vom 13. Novem­ber 2019 unter anderem mit der Rüge, das Schieds­gericht habe ein­er Partei mehr oder anderes zuge­sprochen, als sie ver­langt hat­te (Entscheid ultra oder extra petita).

Die Klägerin machte gel­tend, dass sie in einem Rechts­begehren die Fest­stel­lung ver­langt hat­te, die Beklagten wür­den sol­i­darisch für die Schä­den aus bes­timmten Ver­tragsver­let­zun­gen haften. Anstatt über dieses Fest­stel­lungs­begehren zu entschei­den, habe das Schieds­gericht die Beklagte unter sol­i­darisch­er Haft­barkeit zu einem Schaden­er­satz in der Höhe von USD 1’605’521.37 verurteilt.

Das Bun­des­gericht befand, dass das Schieds­gericht anstatt über das Fest­stel­lungs­begehren über ein Leis­tungs­begehren entsch­ied hat­te, das die Klägerin im Schiedsver­fahren nie gestellt hat­te. Das Rechtss­chutz­in­ter­esse an der Aufhe­bung begrün­dete das Bun­des­gericht damit, dass ihr die zuge­sproch­ene — jedoch auf den Betrag von USD 1’605’521.37 beschränk­te — Schaden­er­satz­forderung auf­grund der Recht­skraftwirkung des Schied­sentschei­ds verun­möglichen würde, in einem anderen Ver­fahren weit­erge­hende Schaden­er­satzansprüche gegen die Beklagten gel­tend zu machen.

Die Klägerin rügte weit­er, dass sie die Fest­stel­lung ver­langt habe, die Beklagten wür­den für Schä­den aus der ver­tragswidri­gen Ver­wen­dung von Know How haften. Das Schieds­gericht habe zwar die Auf­fas­sung der Klägerin gestützt, dass die Beklagten das Agree­ment ver­let­zt hät­ten. Gemäss der Klägerin ergebe sich aus der Fest­stel­lung der Ver­tragsver­let­zung unmit­tel­bar die Rechts­folge der Haft­barkeit der Beklagten für etwaige Schä­den. Anstatt jedoch die Analyse an dieser Stelle zu been­den und das Fest­stel­lungs­begehren der Klägerin gutzuheis­sen, sei das Schieds­gericht mit sein­er Prü­fung fort­ge­fahren und habe gek­lärt, ob ein Schaden vor­liege. Der Nach­weis eines Schadens, so die Klägerin, sei freilich nicht Voraus­set­zung eines Fest­stel­lung­surteils. Auch hier habe das Schieds­gericht somit nicht etwa das Fest­stel­lungs­begehren der Klägerin beurteilt, son­dern ein nicht gestelltes Leis­tungs­begehren auf Schaden­er­satz, das es man­gels Nach­weis­es eines Schadens abgewiesen habe.

Das Bun­des­gericht wies diese Argu­mente zurück. Das Schieds­gericht hat­te in der betr­e­f­fend­en Dis­pos­i­tiv-Zif­fer festgestellt:

the Tri­bunal DECLARES that: […] The Respon­dents are not liable to com­pen­sate the Claimant in respect of such infringe­ment of IP Rights and Know How relat­ed to the Vehicle.

Das Bun­des­gericht bemerk­te, dass die Klägerin nicht gel­tend gemacht habe, das Schieds­gericht hätte kein neg­a­tives Fest­stel­lung­surteil tre­f­fen dür­fen. Vielmehr, so das Bun­des­gericht, würde die Klägerin mit ihren Aus­führun­gen die Begrün­dung des ange­focht­e­nen Schied­sentschei­ds kri­tisieren, indem sie sich auf den Stand­punkt stellt, es hät­ten für das von ihr beantragte Fest­stel­lung­surteil gar keine weit­eren Voraus­set­zun­gen als die Ver­tragsver­let­zung geprüft wer­den müssen. Damit kri­tisiere die Klägerin in unzuläs­siger Weise die materielle Recht­san­wen­dung durch das Schiedsgericht.

Die Beklagten ihrer­seits rügten eben­falls eine Ver­let­zung von Art. 190 Abs 2 lit. c IPRG. Die Beklagten hat­ten im Schiedsver­fahren beantragt, die Klägerin sei zur Zahlung von Schaden­er­satz im Betrag von USD 8’504’533.74 zu verurteilen. Das Schieds­gericht hat­te eine Haf­tung der Klägerin zwar bejaht, war jedoch hin­sichtlich des Umfangs des Schaden­er­satzes vom Unter­gang der Forderung durch Erfül­lung bzw. Ver­rech­nungserk­lärung aus­ge­gan­gen. Das Bun­des­gericht befand, dass die Berück­sich­ti­gung des Unter­gangs der Schaden­er­satz­forderung durch Erfül­lung bzw. Ver­rech­nung kein Leis­tungs­begehren der Klägerin im Rah­men des Schiedsver­fahrens erforderte. Indem das Schieds­gericht hin­sichtlich des Umfangs des Schaden­er­satzes vom Unter­gang der Forderung durch Erfül­lung bzw. Ver­rech­nungserk­lärung aus­ge­gan­gen sei, habe es nicht extra peti­ta entschieden.