Im Urteil BGer 4A_335/2019 vom 29. April 2020 setzte sich das Bundesgericht unter anderem mit der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage auseinander, welche Voraussetzungen bei der Verwendung von Kennzeichen im Internet in territorialer Hinsicht erfüllt sein müssen, damit eine Verletzung eines in der Schweiz geschützten Kennzeichens vorliegt.
Aufgrund der territorialen Beschränkung der Schutzrechte wird für die Bejahung einer Rechtsverletzung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes eine “räumliche Beziehung” zur Schweiz vorausgesetzt (E. 3.3.1; BGE 113 II 73 E. 2a S. 75; 105 II 49 E. 1a S. 52). Es ist daher allgemein anerkannt, dass die blosse technische Möglichkeit, ein Zeichen im Internet abzurufen, nicht ausreicht, um als zeichenrechtlich relevante Benutzungshandlung im betreffenden Gebiet angesehen zu werden; vielmehr bedarf es zusätzlich einer qualifizierten Beziehung der Zeichennutzung zu einem bestimmten Gebiet, um eine virtuelle Nutzung einem Schutzland zuzuordnen und vom Geltungsbereich eines territorial beschränkten Schutzrechts erfasst zu werden (E. 3.3.1).
Die Frage, wann ein hinreichender räumlicher Bezug vorliegt, stellt sich aufgrund der globalen Natur des Internets für jede Rechtsordnung (E. 3.3.2.). Aus diesem Grund haben die Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, WIPO) und der Pariser Verband (Paris Union for the Protection of Industrial Property) im Jahre 2001 zum Schutz des geistigen Eigentums in einer gemeinsamen Empfehlung Kriterien für die Beurteilung des hinreichenden Inlandbezugs entwickelt (Joint Recommendation Concerning Provisions on the Protection of Marks, and Other Industrial Property Rights in Signs, on the Internet; nachfolgend: Joint Recommendation). Diese sind zwar nicht formell rechtsverbindlich, angesichts der grenzüberschreitenden Problematik ist jedoch ein international abgestimmter Lösungsansatz geboten, weshalb sie als Auslegungshilfe zu berücksichtigen sind. Artikel 2 der Joint Recommendation geht vom Grundsatz aus, dass die Benutzung eines Kennzeichens im Internet nur dann eine Benutzung im Schutzland darstellt, wenn sie in diesem Staat eine wirtschaftliche Auswirkung (“commercial effect”) hat. Artikel 3 Abs. 1 enthält eine — nicht abschliessende — Auflistung von Umständen, die bei der Beurteilung eines hinreichenden wirtschaftlichen Bezugs zum betreffenden Gebiet zu berücksichtigen sind (E. 3.3.2.).
Die erwähnten Faktoren können für die zur Diskussion stehende grenzüberschreitende Problematik der Zeichenverwendung im Internet als Hilfsmittel dienen. Massgebend für die Beurteilung eines hinreichenden wirtschaftlichen Bezugs zur Schweiz bleibt jedoch stets eine Gesamtwürdigung der konkreten. In erster Linie, bedarf es zur Beurteilung, ob die Verwendung eines Zeichens im Internet einen hinreichenden wirtschaftlichen Bezug zur Schweiz aufweist, einer Abwägung der Interessen des Nutzers des Kennzeichens und jener des Inhabers des inländischen Schutzrechts (E. 3.3.2.).
Das Bundesgericht hält hierzu fest, dass seit der Joint Recommandation im Bereich des Internets ein technologischer Wandel stattgefunden hat und mittlerweile sog. Geoblocking- bzw. Geotargeting-Massnahmen, mit denen Internetnutzern in verschiedenen geographischen Gebieten unterschiedliche Inhalte zur Verfügung gestellt werden, weit verbreitet sind. Die Möglichkeit, den Abruf von Internetseiten territorial zu beschränken, kann auch bei der Beurteilung der Voraussetzung des hinreichenden wirtschaftlichen Inlandbezugs (“commercial effect”) nicht unbeachtet bleiben. Die technische Möglichkeit einer geographischen Einschränkung der Abrufbarkeit von Inhalten erweitert nicht nur den Kreis denkbarer Sanktionen bei festgestellten Verletzungen, sondern es ist ihr bereits bei der gebotenen Interessenabwägung im Rahmen der Feststellung des “commercial effect” Rechnung zu tragen.
Das Bundesgericht kommt somit zum Schluss (E. 3.3.4), die Vorinstanz habe zwar die blosse Abrufbarkeit einer Internetpräsenz in der Schweiz zu Recht als nicht ausreichend erachtet und unter Bezugnahme auf die Joint Recommendation zusätzlich geprüft, ob ein Kennzeichengebrauch in der Schweiz vorliegt. Die zwischenzeitlich erfolgte technische Entwicklung im Bereich des Internets muss jedoch in die Interessenabwägung mit einbezogen werden und es sind die Kriterien der Joint Recommendation für einen hinreichenden wirtschaftlichen Bezug zur Schweiz (“commercial effect”) entsprechend weit auszulegen.