Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 4A_389/2020 und 4A_415/2020 vom 18. Mai 2021 befasst sich das Bundesgericht u.a. mit der Frage der Berechnung der Regressforderungen im Zusammenhang mit einem Versorgungsschaden (Kapitalisierung auf den Todestag oder auf den Urteilstag?). Das Bundesgericht bestätigte dabei seine in BGE 84 II 292 verankerte Rechtsprechung, gemäss welcher der Schaden beim Versorgungsschaden abstrakt auf den Todestag berechnet wird (Kapitalisierung auf den Todestag). Sodann befasste sich das Bundesgericht mit der Rechtsfrage der Anrechenbarkeit von Vermögenserträgen, wenn diese Erträge nicht bereits während bestehendem Versorgungsverhältnis dem Unterhalt dienten und bestätigte ebenfalls seine bisherige Rechtsprechung. Das Bundesgericht schützte ferner die Ansicht der Vorinstanz, gemäss welcher das Kapital aus der als Summenversicherung zu qualifizierenden Lebensversicherung dem ertragbringenden Kapital zuzuschlagen ist und auf diesem Kapital einen Vermögensertrag von 3.5 % angerechnet werden kann.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 30. Januar 2006 überrollte ein bei der A AG (Versicherung, Beklagte) haftpflichtversicherter LKW-Fahrer die B.B (nachfolgend: Versorgerin), geboren am 26. Juli 1956, auf ihrem Fahrrad tödlich. Die eidgenössische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV, Klägerin 1) und die VSAO-ASMAC Stiftung für Selbständigerwerbende (BVG-Stiftung, Klägerin 2) richteten dem Ehemann der Versorgerin (nachfolgend: Witwer), geboren am 13. September 1951, sowie den beiden gemeinsamen Kindern D.B (nachfolgend: Sohn D.B), geboren am 6. September 1991, und E.B (nachfolgend: Sohn E.B), geboren am 10. Juni 1993, Hinterlassenenleistungen aus.
Mit Eingabe vom 23. November 2017 gelangten die Klägerinnen an das Handelsgericht des Kantons Zürich und verlangten Ersatz für die von ihnen erbrachten Leistungen an den Witwer sowie die beiden Söhne aus übergegangenem Recht (Klägerin 1: CHF 321’928 zzgl. Zins; Klägerin 2: CHF 777’533 zzgl. Zins). Mit Urteil vom 10. Juni 2020 verpflichtete das Handelsgericht die Beklagte, der Klägerin 1 CHF 183’801 und der Klägerin 2 CHF 265’725, je zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 30. Januar 2006 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wies es die Klagen ab. Die Kosten auferlegte es nach Massgabe des Obsiegens bzw. Unterliegens zu 10 % der Klägerin 1, zu 40 % der Klägerin 2 und zu 50 % der Beklagten. Gegen das Urteil erhoben sowohl die Klägerinnen wie auch die Beklagte Beschwerde. Mit Urteil vom 18. Mai 2021 wies das Bundesgericht beide Beschwerden ab.
Vor Bundesgericht war die Haftung der Beklagten gestützt auf Art. 58 Abs. 1 SVG und Art. 41 OR unbestritten, ebenso die Aktivlegitimation der Klägerinnen für deren Regressforderungen zufolge Subrogation und die Passivlegitimation der Beklagten (E. 4): Die Beklagte ist für den aus der Tötung entstandenen Schaden haftpflichtig. Gemäss Art. 45 Abs. 3 OR besteht ein Anspruch auf Ersatz des durch den Verlust des Versorgers entstandenen Schadens. Der Versorgungsschaden besteht im Wegfall der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versorgers, abzüglich der durch dessen Tod weggefallenen Aufwendungen. Die Klägerinnen haben insoweit einen Regressanspruch, als dem haftpflichtrechtlichen Schaden der Hinterbliebenen ereignisbezogen, sachlich, zeitlich und personell kongruente Leistungen von ihnen gegenüberstehen.
Berechnung des Regressanspruchs
Die Vorinstanz erwog, die Rentenleistungen der Klägerinnen und deren Regressschaden seien nach den gleichen Grundsätzen zu kapitalisieren wie der haftpflichtrechtliche Schaden. Gemäss der langjährigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung werde beim Versorgungsschaden der Schaden abstrakt auf den Todestag berechnet. Demgegenüber erfolge die Kalkulation beim Invaliditätsschaden (nach Körperverletzung) auf den Urteilstag, womit in diesem Fall unterschieden werden müsse zwischen dem konkret zu berechnenden vergangenen Schaden bis zum Urteilstag und dem abstrakt zu berechnenden zukünftigen Schaden. Von dieser Rechtsprechung sei auszugehen. Entsprechend seien also auch die Renten auf den Todestag zu kapitalisieren und zwar zum Kapitalisierungszinsfuss von 3.5 %. (E. 5.1).
Die Klägerinnen machten vor Bundesgericht geltend (E. 5.2), dass es im Urteilszeitpunkt keinen künftigen, zu kapitalisierenden Versorgungsschaden mehr geben werde, und dass eine Kapitalisierung auf den Todestag für sie nachteilig sei. Gemäss Klägerinnen führe die abstrakte Berechnung dazu, dass die nach dem Tod der Versorgerin eingetretenen Tatsachen bei der Berechnung des Versorgungsschadens nicht berücksichtigt würden, sondern stattdessen auf abstrakte Werte abgestellt werde. Schliesslich werde auch vom Schweizerischen Versicherungsverband, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der SUVA die zweiphasige Berechnung mit Kapitalisierung per Rechnungstag empfohlen, wobei sich in der Praxis die zweiphasige Berechnung schon seit Jahren eingespielt habe.
Das Bundesgericht wertete die Rüge der Klägerinnen, dass die vorinstanzliche Berechnung der Regressforderungen zufolge Kapitalisierung auf den Todestag bundesrechtswidrig sei, als Antrag auf eine Änderung der von der Vorinstanz angewandten bundesgerichtlichen Praxis und setzte sich mit den ins Feld geführten Argumenten auseinander:
Gemäss Bundesgericht geht die aktuelle bundesgerichtliche Praxis zur Kapitalisierung des Versorgungsschadens auf BGE 84 II 292 zurück (E. 5.3.1): Dort erwog das Bundesgericht, die konkrete Berechnung könne vor allem dann zu erheblichen Fehlern führen, wenn das Urteil erst Jahre nach dem Unfall ergehe oder wenn der verunfallte Versorger schon ziemlich alt gewesen sei. Es werde nämlich davon ausgegangen, der Versorger hätte den Abrechnungstag erlebt, wäre der Unfall nicht gewesen. Das Risiko, dass er in der Zwischenzeit verstorben oder arbeitsunfähig geworden wäre, werde damit nicht berücksichtigt. Derartige Fehlerquellen seien nicht zu akzeptieren. Vielmehr müsse – sobald eine mathematisch genauere Berechnungsmethode zur Verfügung stehe – auf diese abgestellt werden. Eine solche genauere und dennoch einfache Methode bestehe darin, dass eine Verbindungsrente auf den Zeitpunkt des Todes des Versorgers kapitalisiert werde. Da damit die Wahrscheinlichkeitsrechnung auch für die Vergangenheit angewendet werde, müsse für die Zeit zwischen Unfall und Urteil ein Schadenszins von 5 % zugesprochen werden. Die Differenz zwischen diesem und dem zur Zeit geltenden Satz der Kapitalisierung von 3.5 % gebe in der Regel den vollen Ausgleich (vgl. BGE 84 II 292, E. 7).
Das Bundesgericht stellte zunächst zwar fest, dass die Literatur in dieser Frage gespalten ist (E. 5.3.2):
- Ein Teil der Lehre folgt der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, jedoch zumeist ohne sich mit dieser inhaltlich auseinanderzusetzen (E. 5.3.2.1).
- Ein anderer Teil der Autoren (E. 5.3.2.2) macht geltend, es gebe keinen zwingenden Grund, bei Todesfällen anders vorzugehen als bei Invalidität. Vielmehr könne bei einem zweistufigen Vorgehen der Schaden bis zum Rechnungszeitpunkt genauer – da konkret – ermittelt werden. Da man im Urteilszeitpunkt wisse, ob die Personen noch leben, die versorgt worden wären, gebe es keinen Grund, anstelle des Aufaddierens auf den Todestag zu kapitalisieren und dadurch (über den Kapitalisierungsfaktor) deren Sterbens- und Invalidisierungsrisiken für die zwischen dem Todes- und dem Erledigungs- (Urteils-) zeitpunkt liegende Zeitspanne einzubeziehen. Den hypothetischen Entwicklungen bei der versorgenden Person (z.B. Versterben vor dem Urteilstag) könne mit einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung Rechnung getragen werden. Diese Autoren verweisen zum Teil auch darauf, dass die abstrakte einphasige Ermittlung dazu führe, dass die Rechtsprechung gegenüber Änderungen im Zeitraum zwischen Unfall und Urteilstag – zum Beispiel betreffend Lohnentwicklung oder Wiederverheiratung – zum Nachteil der versorgten Person (zu) restriktiv sei. Die Kapitalisierung auf den Todestag sei auch deshalb unzulässig, weil damit der aufgelaufene Schaden bis zum Rechnungstag abgezinst werde, obwohl die Versorgten in dieser Periode das Kapital noch gar nicht zur Verfügung hätten und dieses folglich auch nicht zinsbringend anlegen könnten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung werde zwar der gesetzlich geschuldete Schadenszins von 5 % zugesprochen, bei dem aber anders als bei der Diskontierung die Zinseszinsen nicht berücksichtigt würden. Bei kürzerer Laufzeit sei daher zwar der Schadenszins höher als der zur Abzinsung verwendete Satz von 3.5 %. Bei einem längeren Zeitraum zwischen Todes- und Urteilstag jedoch fange der Schadenszins wegen der Zinseszins-Komponente der Diskontierung den Nachteil der Abzinsung nicht mehr auf. Mit dieser Methode nehme das Bundesgericht schliesslich auch in Kauf, dass der Teuerung zwischen Todes- und Urteilstag überhaupt nicht oder höchstens sehr beschränkt Rechnung getragen werden könne. Insgesamt bestreiten diese Autoren die in BGE 84 II 292 und nachfolgenden Entscheiden geäusserte Auffassung, dass “[d]ie Differenz zwischen diesem [gemeint: Schadenszins von 5 %] und dem derzeitigen Satz der Kapitalisierung von 3 ½ % […] in der Regel einen vollen Ausgleich” gebe. Schliesslich wird darauf hingewiesen, das Bundesgericht habe bei der Bestätigung seiner mit BGE 84 II 292 begründeten Rechtsprechung auch mit Praktikabilitätsgründen argumentiert. Angesichts der heutigen Möglichkeiten der Berechnung mit dem LEONARDO-Programm entfalle dieses Argument aber.
Sodann rief das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur Praxisänderung einer konstanten Rechtsprechung in Erinnerung (E. 5.3.3) und stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die vorliegend anwendbare Praxis aus dem Jahr 1958 datiert und mithin bereits seit über 62 Jahren aufrechterhalten wurde, weshalb eine Änderung dieser Praxis mit Blick auf deren lange Anwendungsdauer sehr gewichtiger Gründe bedürfe. Das Bundesgericht verneinte hier das Vorliegen gewichtiger Gründe (E. 5.3.4):
- Die Stimmen in der Literatur zur Frage, ob der Schaden ein- oder zweiphasig zu berechnen ist, richten sich keineswegs ausschliesslich oder grossmehrheitlich gegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung und es liegt nicht eine (nahezu) einhellige Kritik in der Doktrin vor, die das Bundesgericht veranlassen müsste, in deren Licht seine Praxis zu überdenken. Auch sind die Kritikpunkte nicht neu, sondern standen bereits im Raum, als das Bundesgericht seine Praxis mehrfach bestätigte (E. 5.3.4.1).
- Wenn in der Literatur vorgebracht wird, es gäbe keinen zwingenden Grund, den Versorgungsschaden anders zu berechnen als den Invaliditätsschaden, wird damit kein wichtiger Grund für eine Änderung einer seit über 60 Jahren bestehenden Rechtsprechung dargetan (E. 5.3.4.2). Die beiden Schadenarten unterscheiden sich wesentlich: Der Invalide lebt weiter. Mit welchen Einschränkungen er fortan leben muss, zeigt sich erst im Einzelfall. Da der Schadenersatz ausgleichen soll, was dem invalid Gewordenen nicht mehr möglich ist, ist beim Invaliditätsschaden in einer ersten Phase eine konkrete Berechnung sachgerecht. Anders verhält es sich beim Versorgungsschaden: Abgesehen davon, dass hier die Versorgung wegfällt, ändert der Todesfall im Leben, in der Gesundheit und den sonstigen Verhältnissen der anspruchsberechtigten Hinterbliebenen nichts. Aufgrund dessen kann der Versorgungsausfall abstrakt berechnet werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Invalide seine Situation nicht – oder zumindest nicht in jenem Ausmass – zu beeinflussen vermag, wie es die Hinterbliebenen in der Lage sind. Diese können auf ihre Lebensumstände Einfluss nehmen. Eine daran anknüpfende konkrete Schadensberechnung für eine möglicherweise – wie in casu – sehr lange Zeitperiode und für mehrere Personen ist nicht nur komplex, sondern fällt unter Umständen sehr einseitig zugunsten der Hinterbliebenen aus, die ihre Verhältnisse gestalten können.
- Soweit gegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung weiter eingewendet wird, den in BGE 84 II 292 erwähnten Schwierigkeiten bei der Berechnung des Schadens könnte durch die Verwendung des LEONARDO-Programms begegnet werden, liegt darin kein wichtiger Grund, um die bisherige Praxis aufzugeben (E. 5.3.4.3): Obgleich das LEONARDO-Programm schon länger in Gebrauch ist, hielt das Bundesgericht an seiner Praxis fest. Zum anderen räumt dieses Programm nicht alle praktischen Schwierigkeiten einer konkreten Berechnung aus. Schliesslich — und vor allem — gründet die bestehende Praxis nicht einzig auf Praktikabilitätsüberlegungen.
- Auch das von den Klägerinnen vorgetragene Argument, wonach veränderte Verhältnisse vorlägen, da der Schweizerische Versicherungsverband, das Bundesamt für Sozialversicherungen und die SUVA die zweiphasige Berechnung empfählen und sich in der Praxis der Sozialversicherungen die zweiphasige Berechnung schon seit Jahren eingespielt habe, indiziert keine Änderung der bundesgerichtlichen Praxis (E. 5.3.4.4). Abgesehen davon, dass eine solche gelebte Praxis weder belegt wird noch deren Gründe offengelegt werden, offenbart eine nähere Betrachtung einen zentralen Unterschied zur Schadensberechnung im Gerichtsverfahren: Während die Verfahren der Versicherungen meist zeitnah nach dem Tod des Versorgers geführt werden, weshalb die Phase der konkreten Berechnung des Versorgungsschadens überblickbar ist und sich weitgehend der Beeinflussung durch die Leistungsempfänger entzieht, verstreicht in Gerichtsverfahren regelmässig viel Zeit zwischen dem Tod und dem (massgebenden) Zeitpunkt, zu dem letztmals Noven vorgebracht werden können. Dafür liefert der vorliegende Fall das beste Beispiel: Die Versorgerin verstarb im Januar 2006; die Hauptverhandlung vor dem Handelsgericht fand über 14 Jahre später, im März 2020, statt. Hätte das Verfahren in einem Kanton stattgefunden, der einen doppelten Instanzenzug vorsieht, wäre noch mehr Zeit verstrichen. Allein diese lange Dauer macht eine konkrete Berechnung des Schadens bis zum Urteilszeitpunkt ungleich komplizierter und fehleranfälliger als im Verfahren der Versicherungen.
- Gegen eine zweiphasige Berechnung spricht schliesslich auch, dass der Urteilszeitpunkt, der die Grenze zwischen konkreter und abstrakter Schadenskalkulation bildet, von prozessualen Taktiken der Parteien abhängt (E. 5.3.4.5). Überdies steht er in keinem logischen Zusammenhang zum Zeitpunkt, da der Anspruch auf Schadenersatz entstanden ist (Tod).
Anrechnung von Vermögenserträgnissen an den von der Vorinstanz errechneten Versorgungsschaden
Vor Bundesgericht war sodann die Anrechnung von Vermögenserträgnissen an den von der Vorinstanz errechneten Versorgungsschaden umstritten (E. 10).
Die Vorinstanz berücksichtigte die Vermögenserträge bei der Bestimmung der Versorgungsquote nicht. Sie erwog, Vermögenserträge seien zu berücksichtigen, wenn sie der Versorgung dienten. In der Regel werde jedoch der Lebensunterhalt aus dem Erwerbseinkommen bestritten. Massgeblich sei das Verhältnis zwischen Erwerbseinkommen, Vermögenserträgen und Vermögenssubstanz. Vorliegend sei das Einkommen der Versorgerin und des Witwers so hoch gewesen, dass diese zur Bestreitung des Lebensunterhalts nicht auf die Vermögenserträge angewiesen gewesen seien (E. 10.1). Auf der Grundlage der so errechneten Versorgungsquoten ermittelte die Vorinstanz sodann für verschiedene Zeitperioden den jährlichen Versorgungsausfall am Nettoeinkommen der Versorgerin gegenüber dem Witwer sowie gegenüber den beiden Söhnen und erwog, an diesen Versorgungsausfall seien die Erträge des ihnen kraft Güter- und Erbrecht zugeflossenen Vermögens sowie von Versicherungszahlungen aus den Säulen 3a und 3b der Versorgerin anzurechnen, nicht jedoch Erträge aus deren eigenem Vermögen (E. 10.2).
Die Vorinstanz erwog, dass die Anrechenbarkeit der Erträge aus dem kraft Güter- und Erbrecht zugeflossenen Vermögen – soweit diese den versorgten Personen die Weiterführung ihres bisherigen Lebensstandards erlaubten – sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ergebe (E. 10.2.1). Unklar bleibe das Verhältnis zur Vorteilsanrechnung: Entstehe dem Geschädigten aus dem Schadenereignis ein konkreter Vorteil, so sei dieser anzurechnen, wenn er eine adäquat-kausale Folge darstelle, doch müsse zwischen dem Schaden und dem Vorteil ein innerer Zusammenhang bzw. Kongruenz bestehen. Die Befürworter einer vollumfänglichen Anrechnung des güter- und erbrechtlichen Vermögensanfalls berücksichtigten denn auch korrespondierend dazu den Verlust der zukünftigen Leistung aus Güter- oder Erbrecht bei der Berechnung des Versorgungssubstrats. Die Rechtsprechung rechne die Erträgnisse aus Vermögensanfall jedoch auch dann an, wenn sie nicht zur Versorgung gedient hätten, da es diesfalls an einer Versorgungsbedürftigkeit fehle. Insofern würden sich die Voraussetzungen nicht mit jenen der Vorteilsanrechnung decken und es werde auf das Kriterium der Kongruenz verzichtet. Zur Anrechenbarkeit der Erträge aus dem eigenen Vermögen der Versorgten erwog die Vorinstanz – nach dem Gedanken der Unterstützungsbedürftigkeit (im Sinne der Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards) der versorgten Personen – wäre diese, wie von der Beklagten verlangt, eigentlich zu bejahen. Die Rechtsprechung erwähne jedoch lediglich die Erträge aus Güter- und Erbrecht. Eine diesbezügliche Anrechnung entfalle somit (E. 10.2.2). Aufgrund von Art. 96 VVG könne der Anspruchsberechtigte Schadenersatz- und Versicherungsleistungen kumulieren. Es sei indessen unklar, ob sich diese Regelung auch auf die aus den zugeflossenen Versicherungsleistungen resultierenden Vermögenserträge beziehe. Es sei aber auch hier davon auszugehen, dass aufgrund der entfallenden Versorgungsbedürftigkeit der Hinterlassenen der Ersatzanspruch um die Vermögenserträge aus diesen Leistungen zu mindern sei (E. 10.2.3).
Das Bundesgericht schützte die Ansicht der Vorinstanz und verneinte hinsichtlich der Rechtsfrage der Anrechenbarkeit von Vermögenserträgen, wenn diese Erträge nicht bereits während bestehendem Versorgungsverhältnis dem Unterhalt dienten, das Vorliegen gewichteter Gründe zur Änderung seiner Rechtsprechung (E. 10.4).
Das Bundesgericht stellte zunächst fest, dass diesbezüglich die Lehre geteilt ist:
- Zahlreiche Autoren bejahen – zum Teil mit unterschiedlicher Begründung – mit dem Bundesgericht die Anrechnung (E. 10.4.1).
- Nach anderer Auffassung sind – wie auch die Klägerinnen geltend machen – solche Vermögenserträge nur anzurechnen, soweit sie auch ohne den Tod des Versorgers zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet worden wären (E. 10.4.2). Sei das nicht der Fall – wäre der betreffende Einkommensteil also gespart worden – wäre das entsprechende Vermögen ohnehin eines Tages der versorgten Person unter Einschluss der zwischenzeitlich entstandenen Zinsen zugefallen. Für diese entstehe somit aus dem vorzeitigen Tod des Versorgers kein Vorteil.
Sodann erwog das Bundesgericht, dass sich die Schwierigkeiten der Abgrenzung aus den dogmatisch unklaren Begriffen des Vorteils einerseits und der Versorgungsleistung andererseits ergeben (E. 10.5), und setzte sich mit den Definitionen bzw. Abgrenzungen entsprechend auseinander:
- Der Versorgungsschaden ist ein positiv-rechtlich geregelter Reflexschaden (E. 10.5.1). Zu entschädigen ist der durch die Tötung des Versorgers entstandene Schaden. Auch wenn in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung davon die Rede ist, es solle der bisherige Lebensstandard weiterhin gewährleistet sein, geht es darum, dass die versorgende Person mit ihren bisherigen Leistungen diesen Lebensstandard finanzierte und dieser Ausfall zu ersetzen ist. Entsprechend erfolgt der Hinweis auf den Anspruch auf Gewährleistung der bisherigen Lebensführung im Zusammenhang mit der Bestimmung der Versorgungsquote (Urteil C 509/86 vom 28. April 1987, in: ZWR/RVJ 1989, S. 295 f., E. 2). Formulierungen in früheren Urteilen, namentlich in BGE 95 II 411, wonach kein Bedarf nach Unterstützung bestehe und daher auch kein Versorgungsschaden, soweit das ererbte Vermögen der versorgten Person erlaube, ihren Unterhalt ganz oder teilweise zu bestreiten und eine standesgemässe Lebensführung beizubehalten (BGE 95 II 41, E. 1b), sind missverständlich. Der Blick ist somit nicht auf die versorgte Person und deren Bedarf im Sinn der Unterstützungsbedürftigkeit gerichtet, sondern auf die versorgende Person und deren (ausfallende) Leistungen. Entsprechend kann es gemäss Bundesgericht keine Rolle spielen, dass die versorgte Person zum Erhalt ihres bisherigen Lebensstandards allenfalls gar nicht auf die Leistungen angewiesen ist, weil sie mit den Erträgen aus ihrem eigenen Vermögen (die sie zuvor nicht verwenden musste) den bisherigen Lebensstandard weiterführen kann. In der Lehre wird daher zu Recht gesagt, dem Kriterium der Bedürftigkeit komme keine eigenständige Bedeutung zu.
- Entscheidend ist zunächst, wie weit der Begriff der Versorgungsleistung geht, deren Entfallen abzugelten ist (E. 10.5.2). Es sind verschiedene vermögensrechtliche Nachteile denkbar, die kausale Folgen des Todes der versorgenden Person sind, weshalb eine Abgrenzung erforderlich ist. Dies sollte mit der Feststellung im Urteil C 509/86 ausgedrückt werden, wonach die durch den Tod des Versorgers abgebrochene Vermögensbildung einen nicht relevanten Reflexschaden darstellt (Urteil C 509/86, E. 3a). Es besteht kein sachlicher Grund, hinsichtlich des Begriffs der zu entschädigenden Versorgungsleistung, die Vermögensbildung zufolge Ersparnissen auf dem Einkommen anders zu behandeln als jene zufolge der Äufnung von Vermögenserträgen.
- Auf der Basis des so verstandenen Vorsorgeausfalls ist es – wie im Urteil C 509/86 zutreffend festgehalten wurde – ein Vorteil, wenn die versorgte Person zufolge des vorzeitigen Vermögensanfalls selbst Vermögenserträge erzielen kann (E. 10.5.3). Sowohl die Argumentation der Vorinstanz wie jene der Klägerinnen beruht darauf, dass die Anrechnung eines Vermögensertrags unzulässig ist, wenn nicht gleichzeitig der Ausfall des künftigen Vermögensaufbaus als Versorgungsschaden anerkannt wird. Ist aber anerkannt, wie im vorliegenden Fall in E. 10.5.2 dargelegt, dass der Begriff des Versorgungsschadens nicht so weit geht, eine solche künftig entgehende Vermögensbildung einzubeziehen, dann ist es auch zulässig, den vorzeitigen Anfall der Erbschaft bzw. die Möglichkeit, damit Vermögenserträge zu erwirtschaften, als Vorteil anzurechnen. Um eine Frage der Kongruenz handelt es sich dabei nicht.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der Rechtsprechung daher nicht erfüllt seien, und dass die Vermögenserträge aus dem Vermögenszufluss für den Witwer (vgl. aber E. 10.7) und für die beiden Söhne anzurechnen sind. Aus den bundesgerichtlichen Ausführungen folgt gleichzeitig, dass entgegen der Beklagten die Erträge auf jenem Vermögen, das bereits vor dem Ableben der Versorgerin im Eigentum des Witwers stand, nicht anzurechnen sind.
Behandlung des aus einer Summenversicherung ausbezahlten Kapitals und Zinssatz für den Vermögensertrag
Sodann befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob angesichts der Regelung in Art. 96 VVG das Kapital aus der als Summenversicherung zu qualifizierenden Lebensversicherung dem ertragbringenden Kapital zuzuschlagen ist (E. 10.7) und auf diesem Kapital einen Vermögensertrag von 3.5 % angerechnet werden kann (E. 10.8).
Gemäss Vorinstanz könne der Anspruchsberechtigte aufgrund von Art. 96 VVG Schadenersatz- und Versicherungsleistungen kumulieren. Es sei aber unklar, ob sich diese Bestimmung auch auf die aus zugeflossenen Versicherungsleistungen resultierenden Vermögenserträge beziehe. Die Vorinstanz rechnete diese Vermögenserträge an mit der Begründung, im entsprechenden Umfang entfalle die Versorgungsbedürftigkeit der versorgten Personen (E. 10.7.1).
Im Ergebnis schützte das Bundesgericht die Auffassung der Vorinstanz:
- Gemäss 96 VVG kann der Versicherte bei einer Summenversicherung die Versicherungsleistung beziehen und zusätzlich den vollen Schadenersatz vom Haftpflichtigen verlangen. Weder der eine noch der andere Belangte kann sich darauf berufen, dass der andere Leistungen erbracht habe. Insbesondere kann nicht argumentiert werden, der Schaden habe sich um die Versicherungsleistung reduziert. Lebensversicherungen sind in der Regel Summenversicherungen (E. 10.7.2).
- Ein Teil der Lehre (Brehm et al.) vertritt wie die Vorinstanz die Ansicht, künftige Erträge auf dem ausbezahlten Kapital einer Summenversicherung seien anzurechnen, denn sie reduzierten entsprechend die Versorgungsbedürftigkeit der versorgten Person. Aus 96 VVG könne nichts Gegenteiliges abgeleitet werden, denn diese Bestimmung beziehe sich nur auf die Versicherungskapitalien, und das Kriterium der Versorgungsbedürftigkeit gehe vor. Nach anderer Auffassung ist die Anrechnung ausgeschlossen, jedoch nicht aufgrund von Art. 96 VVG, sondern weil zu den Erträgen aus zugeflossenem Vermögen grundsätzlich keine Anrechnung von Erträgen darauf erfolgen soll. Ebenso wie die getötete Person weiterhin Ersparnisse gebildet hätte, hätte sie auch weiterhin Versicherungsprämien bezahlt und die Erträge aus dem Versicherungskapital wären den versorgten Personen nicht zur Verfügung gestanden. Ein weiterer Teil der Lehre nimmt an, aus Art. 96 VVG folge, dass als Summenversicherung ausgestaltete Lebensversicherungen nicht der Vorteilsausgleichung unterworfen seien, womit auch die Anrechnung von darauf zu erzielenden Vermögenserträgen als Vorteil wegfällt (E. 10.7.2.2).
- Das Bundesgericht hielt fest (E. 10.7.3), dass die erstgenannte Ansicht (Brehm et al.) überzeuge und die Bestimmung von 96 VVG eng auszulegen sei. Sie betreffe lediglich die Anrechnung des Stammkapitals, nicht jedoch die daraus entstehenden Erträge. Der Summenversicherte rechne mit dem für den Versicherungsfall versprochenen Kapital, das er kumulativ zum Schaden erhält. Wenn er auf diesem Kapital zusätzlich einen Ertrag erwirtschaften kann, sei nicht einzusehen, weshalb er diesen nicht für seinen Unterhalt soll verwenden müssen, so dass sich seine Versorgungsbedürftigkeit, die Art. 45 Abs. 3 OR einzig ausgleichen will, vermindert. Des Weiteren bilde die Versicherungsleistung Teil der Erbschaft (Art. 476 ZGB), wenn ein Versicherungsanspruch – wie in casu – nicht zu Lebzeiten zugunsten eines Dritten begründet wird. Deshalb sei es folgerichtig, den Ertrag aus diesem Teil der Erbschaft genauso zu berücksichtigen wie den Ertrag aus der übrigen Erbschaft. Sowohl die Erbschaft wie die auf den Todesfall ausbezahlte Summenversicherung beruhen auf einem besonderen Rechtsgrund, werden aber beide infolge des Todes ausgerichtet und stehen beide in einem inneren Zusammenhang mit dem Wegfall des Versorgers. Es wäre inkonsequent, könnten Erträge aus Erbschaft angerechnet werden, solche aus dem Kapital einer Summenversicherung jedoch nicht. Demzufolge ist der Vorinstanz zu folgen und die Beschwerde auch in diesem Punkt abzuweisen.
Schliesslich setzte sich das Bundesgericht mit dem von der Vorinstanz angewendeten Satz von 3.5% (Satz für die Kapitalisierung von Personenschäden; vgl. auch E. 10.2.4) für den Ertrag auf die Kapitalien auseinander und kam –stark zusammengefasst – zum Schluss, dass die Erwägungen der Vorinstanz nicht zu beanstanden seien (E. 10.8).