Im Urteil 6B_938/2020 vom 12. November 2021 thematisierte das Bundesgericht die Verjährung und die Strafzumessung bei mehrfacher Einfuhrsteuerhinterziehung. Hintergrund des Entscheids war die mangelnde bzw. falsche Anmeldung zahlreicher Kunstgegenstände eines Beschuldigten bei der Einfuhr in die Schweiz, weswegen die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) ihm eine Busse von Fr. 4 Mio. auferlegt hatte, gegen die der Beschuldigte Einsprache erhob.
Das Mehrwertsteuergesetz unterscheidet bei der Strafverfolgungsverjährung zwischen der Einleitungsverjährung und der Durchführungsverjährung. Die siebenjährige Frist von Art. 105 Abs. 1 lit. c MWSTG bezieht sich auf das Recht, eine Strafuntersuchung einzuleiten. Ab Einleitung der Strafuntersuchung bis zur Strafverfügung bzw. zum erstinstanzlichen Urteil darf das Verfahren dann gemäss Art. 105 Abs. 4 MWSTG höchstens fünf Jahre dauern (E. 3.3). Zusätzlich bestimmt Art. 11 Abs. 3 VStrR, dass die Verjährung bei Vergehen und Übertretungen während der Dauer eines Einsprache‑, Beschwerde- oder gerichtlichen Verfahrens über die Leistungs- oder Rückleistungspflicht oder über eine andere nach dem einzelnen Verwaltungsgesetz zu beurteilende Vorfrage ruht oder solange der Täter im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüsst. Ein Ruhen der Durchführungsverjährung ist in Art. 105 Abs. 4 MWSTG demgegenüber nur für die Zeit vorgesehen, in der sich die beschuldigte Person im Ausland befindet (E. 3.4).
Vorliegend war die Verjährung gewahrt worden, indem die Strafuntersuchung rechtzeitig innert der Frist von sieben Jahren eingeleitet (Art. 105 Abs. 1 lit. c MWSTG) und das Verfahren danach innert fünf Jahren mittels Strafverfügung im Sinne von Art. 70 VStrR erledigt worden war (Art. 105 Abs. 2 und 4 MWSTG; E. 3.3).
Im Verwaltungsstrafrecht gilt bei der Strafzumessung grundsätzlich das Kumulationsprinzip (Art. 9 VStR; E. 4.5.1). Der explizite Ausschluss von Art. 9 VStrR in Art. 101 Abs. 1 MWSTG führt jedoch zur Anwendbarkeit des in Art. 49 StGB verankerten Asperationsprinzips, das im Bereich der Mehrwertsteuer aber wiederum auf die in Art. 101 Abs. 4 (Zuständigkeitsbereich der EZV) und Abs. 5 (Zuständigkeitsbereich der ESTV) MWSTG geregelten Fälle beschränkt ist (E. 4.5.4). Eine strikte Anwendung des Asperationsprinzips auf in Realkonkurrenz begangene Mehrwertsteuerhinterziehungen hätte zur Folge, dass der Täter, der gleichzeitig eine grössere Menge einer Ware ohne Deklaration der Mehrwertsteuer in die Schweiz einführt, eine höhere Busse bis zum Doppelten des gesamten Steuervorteils riskiert (vgl. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 MWSTG), als wenn er die gleiche Ware unterteilt in mehrere Teillieferungen an mehreren Tagen und/oder Orten ohne Deklaration eingeführt hätte (E. 4.5.5).
Vorliegend war weder ein Anwendungsfall von Art. 101 Abs. 4 MWSTG noch von Art. 101 Abs. 5 MWSTG betroffen. Die Strafverfolgung obliegt bei der Einfuhrsteuer der EZV (Art. 103 Abs. 2 MWSTG), weshalb Art. 101 Abs. 5 MWSTG nicht zur Anwendung gelangte. Art. 101 Abs. 4 MWSTG sieht ein Abweichen vom Kumulationsprinzip und eine angemessene Straferhöhung wie dargelegt nur für in Idealkonkurrenz begangene Straftaten im Zuständigkeitsbereich der EZV vor. Für in Realkonkurrenz begangene Straftaten, d.h. durch Nichtanmeldung von Waren bei deren Einfuhr in die Schweiz zu unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. an unterschiedlichen Orten, gilt daher das in Art. 9 VStrR verankerte Kumulationsprinzip (E. 4.7).
Das Bundesgericht liess offen, nach welchen Grundsätzen die Busse im Rahmen von Art. 101 Abs. 4 und 5 MWSTG zu bemessen ist. Es hob jedoch hervor, dass sich die Gesamtstrafenbildung nach Art. 49 Abs. 1 StGB nicht unbesehen auf das Steuerstrafrecht übertragen lässt. Das Mehrwertsteuergesetz kennt im Anwendungsbereich von Art. 97 Abs. 1 Satz 2 MWSTG keinen abstrakten oberen Bussenrahmen, sondern lediglich eine Maximalbusse für den konkret zu beurteilenden Einzelfall, die sich am Betrag der hinterzogenen Steuern orientiert. Aufgrund dessen kann der Bussenrahmen von Art. 97 Abs. 1 Satz 2 MWSTG nicht mit dem “Höchstmass der angedrohten Strafe” im Sinne von Art. 49 Abs. 1 Satz 2 StGB gleichgesetzt werden. Die Busse nach Art. 97 Abs. 1 Satz 2 MWSTG ist nach dem Gesetzeswortlaut um die Busse für die weiteren Straftaten im Sinne des Asperationsprinzips aber “angemessen” (d.h. unterproportional) zu erhöhen (4.8).