4A_525/2021: materielle Rechtskraft eine Forderungsverfahrens (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht äusserte sich in diesem Urteil zur Präk­lu­sion­swirkung eines Vorver­fahrens. Es entsch­ied, dass keine solche Wirkung mit Ver­wirkungs­folge ein­tritt, wenn in einem nach­fol­gen­den Ver­fahren ein Anspruch gel­tend gemacht wird, der the­ma­tisch der­art eng mit dem im Vorver­fahren beurteilen Anspruch zusam­men­hängt, dass der Anspruch des Zweitver­fahrens als “Vertei­di­gungsmit­tel” in den Erst­prozess hätte einge­bracht wer­den kön­nen.

Hin­ter­grund war die Bankbeziehung zwis­chen der A. Ltd und der Bank B. AG. Da es im Kon­to der A. Ltd zu ein­er Unter­deck­ung kam, erliess die Bank B. AG einen Mar­gin Call (Forderug zusät­zlich­er Sicher­heit­en), welchem die A. Ltd keine Folge leis­tete. Daraufhin kündigte die Bank B. AG die Bankbeziehung, stellte die von der A. Ltd gehal­te­nen Posi­tio­nen glatt und liq­ui­dierte die verbleiben­den Posi­tio­nen. Anschliesslich klage die Bank B. AG gegen die A. Ltd auf Bezahlung des verbleiben­den Neg­a­tivsal­dos. Die A. Ltd liess sich im gesamten Ver­fahren nicht vernehmen, woraufhin sie zur Bezahlung des von der Bank B. AG ver­langten Betrags verurteilt wurde (nach­fol­gend “Erstver­fahren”). Rund ein Jahr später klagte die A. Ltd gegen die Bank B. AG auf Schaden­er­satz aus Ver­tragsver­let­zung (nach­fol­gend “Zweitver­fahren”). Nach­dem die Bank B. AG die Einrede der abgeurteil­ten Sache erhob, trat das Han­dels­gericht Zürich gestützt auf Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO auf die Klage nicht ein. Das Bun­des­gericht hob diesen Entscheid auf und wies die Sache zur weit­eren Behand­lung an die Vorin­stanz zurück.

Nach­dem das Bun­des­gericht zunächst seine im Zusam­men­hang mit der materiellen Recht­skraft sowie der Iden­tität von Stre­it­ge­gen­stän­den ergan­gene Recht­sprechung in Erin­nerung rief (E. 3.2–3.3), ver­warf es die Erwä­gung des Han­dels­gericht (E. 4.1), wonach Klagei­den­tität vor­liege, indem die A. Ltd mit ihrer Klage der Bank B. AG die Ereignisse im Zusam­men­hang mit der Liq­ui­dierung der Posi­tio­nen erneut aufw­erfe. Es liege, so das Bun­des­gericht, keine Klagei­den­tität vor, da im Erstver­fahren die Bank B. AG die Durch­set­zung ihres ver­traglichen Anspruchs auf Aus­gle­ichung der Unter­deck­ung gel­tend gemacht habe, während im Zweitver­fahren die A. Ltd Ersatz des Schadens ver­lange, der ihr daraus ent­standen sei, dass die Bank B. AG in (ange­blich) ver­tragswidriger Weise keine marktgerechten/fairen Preise ange­boten habe (E. 5.1).

Eben­so habe, so das Bun­des­gericht weit­er, der Ein­wand der Bank B. AG, wonach ihr Liq­ui­da­tion­srecht nicht geschützt und ihre Klage abgewiesen wor­den wäre, wenn dies in Ver­let­zung ihrer Ver­tragspflicht­en erfol­gt wäre, nichts mit der Iden­tität der Klageanträge zu tun. Vielmehr gehe es der Bank B. AG darum, dass das von ihr im Erstver­fahren erstrit­tene Urteil nicht dadurch zunichte gemacht werde, indem die A. AG im Zeitver­fahren Angriffs- beziehungsweise Vertei­di­gungsmit­tel vor­bringe, die zum Stre­it­ge­gen­stand des Erstver­fahrens gehört hät­ten (E. 5.2).

Hin­sichtlich der Frage dieser Präk­lu­sion­swirkung des Ersturteils erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass einzig das Dis­pos­i­tiv des Ersturteils in Recht­skraft erwachse, nicht aber Fest­stel­lun­gen zu präjudiziellen Rechtsver­hält­nis­sen und zu son­sti­gen Neben- und Vor­fra­gen sowie weit­ere Rechts­fol­gen, die sich aus dem Inhalt des Ersturteils mit logis­ch­er Notwendigkeit ergeben mögen. Nicht alles, wom­it sich das Gericht im Erst­prozess beschäftigt habe (oder hätte beschäfti­gen sollen), werde materiell recht­skräftig. Damit in Zusam­men­hang ste­he der Dis­po­si­tion­s­grund­satz (Art. 58 Abs. 1 ZPO), der es ver­bi­ete, den Parteien Entschei­dun­gen aufzu­drän­gen, die sie gar nicht ver­langt hät­ten. Ob im Erstver­fahren vor­frageweise und impliz­it “(mit-)entschieden” wor­den wäre, dass sich die Bank B. AG bei der Glattstel­lung der Posi­tio­nen der A. Ltd ver­tragskon­form ver­hal­ten hat­te, sei deshalb nicht rel­e­vant. Die materielle Recht­skraft erstrecke sich nicht auf den “Entscheid” über diese Vor­frage. Eben­so sei die Klage der A. AG nicht unzuläs­sig, wenn die Stre­it­sache “the­ma­tisch” zum Erstver­fahren “passe” und es “im Kern” um Ähn­lich­es gehe. Eine Aus­nahme gelte, so das Bun­des­gericht, einzig im Fall der Ver­rech­nung (E. 5.3.2).

Weit­er erwog das Bun­des­gericht, dass sich grund­sät­zlich keine Partei zur Durch­set­zung eigen­er Ansprüche — sei es ver­rech­nungs- oder widerk­lageweise oder sonst­wie — zwin­gen zu lassen brauche. Vielmehr mache die A. Ltd mit dem eingeklagten Schaden­er­satzanspruch einen eigen­ständi­gen Anspruch gel­tend. Der Ein­wand der Bank B. AG, die behauptete Ver­tragswidrigkeit ihres Ver­hal­tens dürfe im Zweitver­fahren zufolge der Res-iudi­ca­ta-Wirkung nicht gel­tend gemacht wer­den, kön­nte somit höch­stens dann in Betra­cht fall­en, wenn sie, was vor­liegend nicht zutraf, eine neg­a­tive Fest­stel­lungsklage erhoben hätte, dass sie im Zusam­men­hang mit der behaupteten Ver­tragswidrigkeit keine Haf­tung tre­ffe. Zwar bringe die Bank B. AG vor, im Erstver­fahren den Vor­wurf, keine mark­tkon­for­men Preise gestellt zu haben, und fol­glich den im nun eingeklagten Schaden­er­satzanspruch aus­drück­lich zum The­ma gemacht zu haben. Diese Aus­führun­gen — so die damals säu­mige Beschw­erde­führerin darauf reagiert hätte — hät­ten indes, so das Bun­des­gericht, einzig Teil der Urteils­be­grün­dung sein kön­nen. Darauf erstrecke sich die Recht­skraft nicht (E. 5.3.3).

Im Übri­gen set­ze Präk­lu­sion von Tat­sachen voraus, dass sie im Erstver­fahren hät­ten erhe­blich sein kön­nen. Es könne ein­er Partei im Zweit­prozess nicht vorge­hal­ten wer­den, sie hätte eine Tat­sache oder einen Ein­wand im Erst­prozess bei son­stiger Präk­lu­sion ein­brin­gen müssen, wenn das betr­e­f­fende Vertei­di­gungsmit­tel im Erst­prozess nichts zur Sache getan hätte, mithin irrel­e­vant gewe­sen wäre. Die Bank B. AG habe denn auch selb­st aus­ge­führt, dass “einzig entschei­dend” sei, dass die A. Ltd trotz Unter­deck­ung keine weit­ere Deck­ung beige­bracht habe; auf die Ver­tragskon­for­mität des Ver­hal­tens der Bank B. AG betr­e­f­fend das Ange­bot zur Glattstel­lung der Optio­nen komme es mit anderen Worten nicht an. Dementsprechend habe das Han­dels­gericht im Ersturteil darauf mit keinem Wort Bezug genom­men. Der Ein­wand der A. Ltd, die Bank B. AG habe pflichtwidrig Option­spreise gestellt, hätte am Aus­gang des Erst­prozess­es — so selb­st die Bank B. AG im dama­li­gen Ver­fahren — nichts geän­dert, sei doch allein die einge­tretene Unter­deck­ung mass­gebend gewe­sen (E. 5.3.4).