5A_110/2021: Kollokationsklage und Verjährungseintritt einer Urteilsforderung ausländischen Rechts (amtl. Publ.)

  • In diesem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid 5A_110/2021 vom 2. August 2022 set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, ob ein­er im Konkurs ein­er Schweiz­er Gesellschaft eingegebe­nen Forderung, die sich auf ein englis­ches Urteil stützt, die Ver­jährung ent­ge­gen­ste­ht, und welch­es Recht auf die Ver­jährung ein­er Urteilss­chuld nach dem Erken­nt­nisver­fahren anwend­bar ist. Das Bun­des­gericht erwog, dass das Recht des Urteilsstaats anwend­bar ist, und zwar auch im Zusam­men­hang mit der Frage der Unter­brechung bzw. Wahrung der Frist. Im konkreten Fall erwog das Bun­des­gericht, dass bere­its das Recht­söff­nungs­begehren die Ver­jährung nach englis­chem Recht unterbrach.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit Urteil vom 10. Juli 2013 des englis­chen Northamp­ton Coun­ty Court wurde die Schuld­ner­in verpflichtet, der Bank B einen bes­timmten Betrag zu bezahlen.

In Voll­streck­ung dieses Urteils leit­ete die Bank B eine Betrei­bung gegen die Schuld­ner­in ein; gegen den Zahlungs­be­fehl vom 27. August 2018 erhob diese Rechtsvorschlag. Mit Eingabe vom 27. Novem­ber 2018 ver­langte die Bank B die “Aufhe­bung des Rechtsvorschlags nach Art. 79 ff. SchKG”.

Am 3. Sep­tem­ber 2019 eröffnete das Bezirks­gericht Zürich über die Schuld­ner­in den Konkurs.

Mit Forderung­seingabe vom 15. Okto­ber 2019 meldete die Bank B ihre Forderung im Konkurs der Schuld­ner­in an.

Am 15. Jan­u­ar 2020 wurde der Kol­loka­tion­s­plan aufgelegt. Darin wurde A als Gläu­biger mit ein­er Forderung Drit­ter Klasse zuge­lassen. Als weit­ere Gläu­bigerin wurde die Bank B mit ein­er Forderung Drit­ter Klasse gemäss dem englis­chen Urteil zugelassen.

Am 5. Feb­ru­ar 2020 erhob A beim Bezirks­gericht Zürich (neg­a­tive) Kol­loka­tion­sklage gemäss Art. 250 Abs. 2 SchKG gegen die Bank B und ver­langte die Stre­ichung von deren Forderung im Kol­loka­tion­s­plan; dabei machte A gel­tend, dass die Forderung der Bank B ver­jährt sei. Mit Urteil vom 13. Juli 2020 wies das Bezirks­gericht die Kol­loka­tion­sklage ab. Gegen das Urteil erhob A Beru­fung. Mit Urteil vom 30. Dezem­ber 2020 wies das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich (“Vorin­stanz”) die Beru­fung ab.

Gegen den Entscheid des Oberg­erichts erhob A Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.


Anwend­bares Recht auf die Frage der Ver­jährung bei einem aus­ländis­chem Urteil im Rah­men eines Kollokationsverfahrens

Anlass zur Beschw­erde gab die Frage der Ver­jährung ein­er im Konkurs eingegebe­nen Forderung, welche sich auf ein englis­ches Urteil stützt. Die Zulas­sung war Stre­it­ge­gen­stand in einem neg­a­tiv­en Kol­loka­tion­sprozess. Während das Oberg­ericht in Anwen­dung des Rechts des Urteilsstaates (Eng­land) die Ver­jährung der Forderung verneint und die Kol­loka­tion der beklagten Mit­gläu­bigerin bestätigt hat­te, machte A gel­tend, dass die Forderung der Bank B nicht mehr durch­set­zbar sei. Vor der Vorin­stanz und vor Bun­des­gericht rügte A die Nich­tan­wen­dung von englis­chem Recht bzw. eine Ver­let­zung von Art. 96 lit. a BGG (E. 3).

Das Bun­des­gericht erwog zunächst, dass materielle Einre­den (wie Tilgung, Stun­dung oder Ver­jährung) der Voll­streck­bar­erk­lärung nicht ent­ge­gen­ste­hen. Eben­so wenig führen diese zum Dahin­fall­en der Voll­streck­barkeit des aus­ländis­chen Urteils (E. 3.1.2). Der Schuld­ner kann hinge­gen gegen aus­ländis­che, voll­streck­bar erk­lärte Entschei­de u.a. die Einrede der nachträglichen Ver­jährung erheben, und zwar im Rah­men der eigentlichen Zwangsvoll­streck­ung. Das in der Recht­söff­nung gewährte Recht beste­ht auch im Rah­men der Kol­loka­tion: Im neg­a­tiv­en Kol­loka­tion­sprozess kann der Kläger an Stelle der Konkur­sitin Einre­den gestützt auf Tat­sachen gel­tend machen, die nach dem Urteil einge­treten sind, namentlich die Einrede der nachträglichen Tilgung oder der Ver­jährung (3.1.3).

Das Bun­des­gericht befasste sich in der Folge mit der Frage, welche Bes­tim­mungen auf die Ver­jährung ein­er Urteils­forderung anwend­bar sind, die bere­its Gegen­stand eines Erken­nt­nisver­fahrens bildete. In diesem Zusam­men­hang stellte es fest, dass Kol­li­sion­sregeln des IPRG (wie Art. 148 IPRG) typ­is­cher­weise das anwend­bare Recht im Erken­nt­nisver­fahren regeln. Es stellt sich deshalb die Frage, welch­es Recht auf die Frage der Ver­jährung der Wirkun­gen eines Urteils zur Anwen­dung kommt. Unter dieser Art der Ver­jährung ist die Frist zu ver­ste­hen, nach deren Ablauf die Durch­set­zung des Urteils nicht mehr erzwun­gen wer­den kann, wie dies in den meis­ten Rechtssys­te­men vorge­se­hen ist (“Urteils- oder Voll­streck­ungsver­jährung”, E. 3.2.).

In der Folge analysierte das Bun­des­gericht die bun­des­gerichtliche und kan­tonale Recht­sprechung sowie die Lehrmei­n­un­gen zu dieser Frage und bestätigte, dass  sich die Ansicht des Oberg­erichts, das Recht des Urteilsstaates sei auf die Frage der Ver­jährung der Urteils­forderung anwend­bar, mit Bun­desrecht vere­in­baren lässt (E. 3.2.5):

Wenn das Oberg­ericht die Anwend­barkeit von Art. 137 Abs. 2 OR auf aus­ländis­che voll­streck­bare Urteile ver­wor­fen hat, ist es mass­geben­der Prax­is und Lehre gefol­gt, wonach der­ar­tige Fris­ten (Ver­jährung als zeitliche Gren­zen zur Durch­set­zung des Urteils) nicht im Exe­quaturver­fahren, son­dern (…) in der Zwangsvoll­streck­ung vorge­bracht wer­den kön­nen. Die Vorin­stanz hat sodann darauf abgestellt, dass die Beschränkung bzw. der Auss­chluss der Durch­set­zbarkeit ein­er Forderung die Hauptwirkung der Ver­jährung ist, auch wenn die Forderung in einem Urteil fest­gestellt wor­den ist. Die Anwen­dung des Ver­jährungsrechts des Urteilsstaates lässt sich mit guten Grün­den vertreten, weil es sich regelmäs­sig um eine mit Recht­skraft des Urteils ein­tre­tende neue Ver­jährungs­frist han­delt. Diese Anknüp­fung soll dazu beitra­gen, wider­sprechende Anerken­nungs- und Voll­streck­ungsentschei­de zu ver­mei­den (…). Wenn das Oberg­ericht diesem Kri­teri­um auss­chlaggebende Bedeu­tung zugemessen hat, lässt sich dies mit Bun­desrecht vere­in­baren, und das Bun­des­gericht­surteil aus dem Jahre 2006 [5P.344/2006] kann — auch bei willkür­freier Kog­ni­tion — bestätigt werden.”

Sodann rief das Bun­des­gericht die Recht­snatur des Insti­tuts in Erin­nerung: Die Ver­jährung (im Lichte des schweiz­erischen Rechts bzw. von Art. 137 Abs. 2 OR) stellt ein Insti­tut des materiellen Rechts dar und das mass­gebende aus­ländis­che Recht ist unab­hängig davon anwend­bar, ob im betr­e­f­fend­en Recht die Ver­jährung materiell- oder prozess­rechtlich­er Natur ist (notwendi­ge Voraus­set­zung zur Anwen­dung ist jedoch, dass die aus­ländis­che (prozes­suale) Regelung im Wesentlichen diesel­ben Zwecke ver­fol­gt wie entsprechende schweiz­erische Ver­jährungs­fris­ten) (E. 3.3).

Vor diesem Hin­ter­grund bestätigte das Bun­des­gericht, dass das englis­che Recht vor­liegend anwend­bar ist und dass die Ver­jährungs­frist im konkreten Fall 6 Jahre beträgt (sec. 24(1) des englis­chen Lim­i­ta­tion ACt 1980 sowie R. 82.3 [3.a] der englis­chen Civ­il Pro­ce­dure Rules 1998 (CPR)) (E. 3.3.1 und E. 3.3.2). Gemäss Bun­des­gericht ist — wie von der Vorin­stanz fest­ge­hal­ten — der Umstand, dass sich die Zwangsvoll­streck­ung in der Schweiz nach der lex fori richtet, kein Hin­der­nis zur Anwen­dung des englis­chen Ver­jährungsrechts: Ein­wen­dun­gen wie die nachträglich einge­tretene Ver­jährung kön­nen in der schweiz­erischen Zwangsvoll­streck­ung vorge­bracht wer­den (E. 3.3.3).


Frage der Unter­brechung bzw. Wahrung der Frist

Das Bun­des­gericht befasste sich in der Folge mit der Frage der Anforderun­gen an die Unter­brechung bzw. Wahrung der Ver­jährungs­frist. Es erwog, dass  sich nach dem aus­ländis­chen Ver­jährungsstatut entschei­det, ob die in der Schweiz vorgenomme­nen Hand­lun­gen den Anforderun­gen an die Unter­brechung bzw. Wahrung der Frist genü­gen. Dabei stellt die Prü­fung der Gle­ich­w­er­tigkeit mit der entsprechen­den Hand­lung des Ver­jährungsstatuts einen reinen Ausle­gungsvor­gang inner­halb des mass­geben­den Sachrechts dar und bedeutet insoweit die Anwen­dung des aus­ländis­chen Rechts des Urteilsstaates (E. 4.1).

 

Vor diesem Hin­ter­grund prüfte das Bun­des­gericht, ob das Begehren um Recht­söff­nung die Ver­jährungs­frist nach englis­chem Recht unter­brechen kon­nte, und bestätigte dabei den Entscheid der Vorin­stanz, welche diese Frage bejaht hatte:

  • Im englis­chen Recht bricht die gerichtliche Klage die Ver­jährung gemäss Lim­i­ta­tion Act 1980 ab. Dabei genügt zur Wahrung der Klage­frist die Erhe­bung ein­er Klage (E. 4.2.2).
  • Das Oberg­ericht befand, dass die in den CPR vorge­se­hene Begren­zungs­frist für die Durch­set­zung der Forderung durch Zwangsvoll­streck­ung nicht über­schrit­ten sei, weil in der Schweiz die Betrei­bung rechtzeit­ig ange­hoben und Recht­söff­nung ver­langt wor­den sei (E. 4.3).
  • A brachte vor Bun­des­gericht vor, das Oberg­ericht hätte auss­chliesslich auf die (nach Ablauf der sech­sjähri­gen Frist) erfol­gte Konkur­seingabe (vom 15. Okto­ber 2019) abstellen müssen. Beim schweiz­erischen Konkursver­fahren han­dle sich um ein “eigen­ständi­ges, neues Ver­fahren” (E. 4.3.1). Das Vor­brin­gen von A ver­warf das Bun­des­gericht mit fol­gen­der Begrün­dung (E. 4.3.2):

Wenn die Vorin­stanz von einem “andauern­den” Zwangsvoll­streck­ungsver­fahren gesprochen hat, wird damit erwogen, dass die Beschw­erdegeg­ner­in (nach Konkurs­eröff­nung und Dahin­fall­en der ein­geleit­eten Betrei­bung; Art. 206 Abs. 1 SchKG) durch die Konkur­seingabe lediglich das Notwendi­ge unter­nom­men hat­te, um die Durch­set­zung ihrer Forderung weit­erzuführen bzw. aufrechtzuer­hal­ten. Wie die Zwangsvoll­streck­ung bei Konkurs­eröff­nung weit­erzuführen ist, bes­timmt sich jeden­falls nach schweiz­erischem Recht. Inwiefern das Oberg­ericht bei der Gle­ich­w­er­tigkeit­sprü­fung, um den im Urteil zuge­sproch­enen Forderungs­be­trag voll­streck­ungsmäs­sig durchzuset­zen, in Willkür ver­fall­en sei, wenn es frist­wahren­des Han­deln durch die weit­erge­führte Voll­streck­ung erachtet hat, ist nicht ersichtlich.”