5A_103/2022: Arrestort, Zuständigkeit für die Vollstreckbarerklärung eines LugÜ Entscheids und Betreibungsort bei einer ungeteilten Erbschaft (amtl. Publ.)

Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_103/2022 vom 31. Oktober 2022 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage des Arrestorts (Art. 52 SchKG), der Zuständigkeit für die Vollstreckbarerklärung eines LugÜ-Entscheids (Art. 39 Abs. 2 LugÜ) und des Betreibungsorts einer geteilten Erbschaft (Art. 49 SchKG) auseinander. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es i.Z.m. Art. 39 Abs. 2 LugÜ genügt, wenn am fraglichen Ort eine Vollstreckung möglich sein könnte. In diesem Zusammenhang schliesst der fehlende Arrestvollzug zu Lebzeiten des Erblassers die Arrestfähigkeit der Erbschaft nicht zwingend aus. Daher kann das Arrestgesuch auch gegen die ungeteilte Erbschaft gerichtet werden (Art. 49 SchKG), wenn die in der Schweiz belegenen Vermögenswerte des Erblassers im Zeitpunkt des Todes mit Arrest belegt und damit ein Betreibungsort (Art. 52 SchKG) hätte geschaffen werden können.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Am 23. Novem­ber 2021 reichte der Gläu­biger beim Bezirks­gericht Zürich ein Arrest­ge­such gegen die Erb­schaft von B selig ein. Sein Brud­er war im Jahr 2021 in U ver­stor­ben. Der Gläu­biger ver­langte für eine Arrest­forderung die Ver­ar­restierung von näher beze­ich­neten, dem Ver­stor­be­nen gehören­den Ver­mö­genswerten bei der Bank C AG und Bank D, bei­de in Zürich, sowie bei der Bank E S.A. in W.

Gle­ichzeit­ig mit dem Arrest­ge­such stellte der Gläu­biger das Gesuch um (teil­weise, d.h. im voll­streck­baren Umfang mögliche) Voll­streck­bar­erk­lärung eines “Lugano”-Urteils (Urteil des Beru­fungs­gerichts X), mit welchem in ein­er Stre­it­sache gegen B im Jahr 2021 (vor seinem Tod) entsch­ieden und veröf­fentlicht wurde.

Mit Urteil vom 6. Dezem­ber 2021 wies das Bezirks­gericht Zürich das Arrest­ge­such ab. In der Begrün­dung erk­lärte das Bezirks­gericht, dass auf das Gesuch auf Voll­streck­bar­erk­lärung des Urteils “nicht einge­treten” werde, da es infolge der Abweisung des Arrest­ge­suchs an einem Rechtss­chutz­in­ter­esse für das Gesuch um Voll­streck­bar­erk­lärung fehle (vgl. auch E.2.1.1).

Gegen das Urteil gelangte der Gläu­biger an das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich, welch­es die Beschw­erde mit Urteil vom 6. Jan­u­ar 2022 abwies. In der Sache erwog das Oberg­ericht, dass gemäss Art. 49 SchKG gegen die ungeteilte Erb­schaft in einem Arrestver­fahren grund­sät­zlich vorge­gan­gen wer­den kann. Allerd­ings ver­langt Art. 49 SchKG, dass der Erblass­er im Zeit­punkt seines Todes “betrieben wer­den kon­nte”. Diese set­zt einen Betrei­bung­sort (Art. 46–52 SchKG) voraus. Das bedeutet im Falle von Art. 52 SchKG (Betrei­bung­sort am Arrestort), dass bere­its zu Lebzeit­en des Erblassers ein Arrest gelegt (vol­l­zo­gen) wurde, denn nur in diesem Fall beste­ht im Zeit­punkt des Todes ein Betrei­bung­sort am Arrestort. Diese Voraus­set­zung erachtete das Oberg­ericht jedoch als nicht erfüllt, weshalb der Gläu­biger gegen den Nach­lass in V bzw. in der Schweiz nicht Arrest leg­en und fol­glich am Arrestort keine Zwangsvoll­streck­ung (Betrei­bung) gegen den Nach­lass durch­führen kon­nte. Das Oberg­ericht gab dessen frühere gegen­teilige Prax­is (ZR 51/1952 Nr. 81) aus­drück­lich auf und bestätigte den Entscheid des Bezirks­gerichts (vgl. E. 2.1.2). Das Oberg­ericht befand, dass der Gläu­biger kein Inter­esse an der Voll­streck­bar­erk­lärung des aus­ländis­chen Urteils wegen der fehlen­den Möglichkeit zum Arrest bzw. zur Zwangsvoll­streck­ung hat, weshalb das Bezirks­gericht zu Recht auf das Gesuch um Voll­streck­bar­erk­lärung nicht einge­treten ist (vgl. E. 2.1.3).

Mit Eingabe vom 9. Feb­ru­ar 2022 erhob der Gläu­biger Beschw­erde in Zivil­sachen. Mit Entscheid vom 31. Okto­ber 2022 hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde gut, hob den Entscheid der Vorin­stanz auf und wies die Sache zu neuer Entschei­dung im Sinne der Erwä­gun­gen an das Bezirks­gericht Zürich zurück, ohne den Entscheid an die Schuld­ner­in zuzustellen.

Arrest­ge­such und Voll­streck­bar­erk­lärung eines LugÜ-Entscheids

Das Bun­des­gericht rief in einem ersten Schritt seine Recht­sprechung zum Arrest­grund von Art.271 Abs.1 Ziff. 6 SchKG und zur Voll­streck­bar­erk­lärung in Erin­nerung. Das Arrest­gericht hat bei Vor­liegen eines defin­i­tiv­en Recht­söff­nungsti­tels (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG) bei einem Urteil, das nach dem Lugano-Übereinkom­men vom 30. Okto­ber 2007 zu voll­streck­en ist, auch über dessen Voll­streck­barkeit zu entschei­den (Art. 271 Abs. 3 SchKG i.V.m. Art. 38 ff. LugÜ) (E. 3.2.1).

Der Richter, welch­er den Arrest gestützt auf ein “Lugano”-Urteil bewil­li­gen will, hat über dessen (anbegehrte) Voll­streck­barkeit zu entschei­den; die Prax­is, über diesen Punkt nur vor­frageweise zu entschei­den, ist mit Bun­desrecht nicht vere­in­bar (BGE 147 III 491, E. 6.2.1). Die Voll­streck­bar­erk­lärung ist Voraus­set­zung und nicht Kon­se­quenz der Arrest­be­wil­li­gung (E. 3.2.2).

Die Frage der Voll­streck­barkeit des LugÜ-Urteils, auf welch­es sich das Arrest­begehren stützt, ist im Rah­men der Beschw­erde nach Art. 327a ZPO zu prüfen, während die arrest­spez­i­fis­chen Ein­wände im Rah­men der Arrestein­sprache zu erheben sind (BGE 147 III 491, E. 6.2.2). Gegen die Abweisung des Arrest­ge­suchs ste­ht dem Gläu­biger die Beschw­erde gemäss Art. 319 ff. (i.V.m. Art. 309 lit. a Ziff. 6) ZPO offen (E. 3.2.3).

Ges­pal­tene Kog­ni­tion des Bun­des­gerichts und zur Ver­fü­gung ste­hende Rechtsmittel

 Das Bun­des­gericht klärte vor­weg seine Kog­ni­tions­befug­nisse bezüglich der Frage des Arrest­ge­suchs ein­er­seits und der Frage der Voll­streck­bar­erk­lärung ander­er­seits (E. 3.3):

 «Mit Blick auf die dem Bun­des­gericht zuste­hende Kog­ni­tion ist zunächst zu klären, in welche Rich­tung die vom Beschw­erde­führer erhobene Kri­tik an der vom Oberg­ericht aus­ge­sproch­enen Ver­weigerung des Arrestes gegen die ungeteilte Erb­schaft geht. Erfasst sie die Anerken­nung und Voll­streck­bar­erk­lärung eines aus­ländis­chen Urteils, ist (…) die Kog­ni­tion des Bun­des­gerichts frei, während­dem arrest­spez­i­fis­che Kri­tik der eingeschränk­ten (Willkür-) Kog­ni­tion unterliegt.» 

Das Bun­des­gericht hielt im Zusam­men­hang mit der Recht­snatur der Rügen fol­gen­des fest (E.3.3.3):

«Wenn das Oberg­ericht eine Voll­streck­ung (Betrei­bung) am Arrestort gegenüber der Erb­schaft aus­geschlossen hat, geht es nicht um die blosse Durch­führung des Arrestes, d.h. eine arrest­spez­i­fis­che Kri­tik, son­dern um die kor­rek­te Anwen­dung der nationalen Zuständigkeit­sregeln im Hin­blick darauf, ob in der Schweiz (Zürich) eine Voll­streck­ung über­haupt möglich sein kön­nte, was das Oberg­ericht verneint hat. Damit erfasst die Kri­tik des Beschw­erde­führers die Anwen­dung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ, d.h. die Zuständigkeit zur Voll­streck­bar­erk­lärung des aus­ländis­chen Urteils, und die Kog­ni­tion des Bun­des­gerichts ist frei.» 

Dabei präzisierte das Bun­des­gericht, dass in diesem Fall zwar  auf das Begehren um Voll­streck­bar­erk­lärung gemäss Art. 38 ff. LugÜ nicht einge­treten (oder dieses abgewiesen) wurde, dem Gläu­biger aber die Beschw­erde gemäss Art. 327a ZPO weit­er­hin offen­ste­ht. Dass der Gläu­biger vor­liegend die (nor­male) Beschw­erde gemäss Art. 319 ff. ZPO ergrif­f­en hat, hin­dert nicht, die Anwen­dung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ zu über­prüfen. Ob nach nationalem Recht eine Zwangsvoll­streck­ung und damit ein Vorge­hen nach Art. 39 Abs. 2 LugÜ möglich ist, bleibt im Fol­gen­den zu erörtern (E. 3.3.4).

Zuständigkeit für die Beurteilung des Antrags auf Voll­streck­bar­erk­lärung nach Art. 39 Abs. 2 LugÜ 

In einem weit­eren Schritt wieder­holte das Bun­des­gericht die Grund­sätze i.Z.m. der Zuständigkeit für den Antrag auf Voll­streck­bar­erk­lärung. Gemäss Art. 39 Abs. 2 LugÜ bes­timmt sich die Zuständigkeit der Schweiz für den Antrag auf Voll­streck­bar­erk­lärung durch den Wohn­sitz des Schuld­ners oder durch den Ort, an dem die Zwangsvoll­streck­ung durchge­führt wer­den soll, wobei das nationale Recht bes­timmt, wo die Zwangsvoll­streck­ung durchge­führt wer­den kann. Die Anwen­dung von Art. 39 Abs. 2 LugÜ unter­liegt freier bun­des­gerichtlich­er Prü­fung (E. 3.3.1).

Unter dem Blick­winkel von Art. 39 Abs. 2 LugÜ genügt es, dass am entsprechen­den Ort eine Voll­streck­ung möglich sein kön­nte, um auf den Antrag auf Voll­streck­bar­erk­lärung ein­treten zu kön­nen; aus­re­ichend ist, wenn das Vorge­hen zum Exe­quatur nach den Zuständigkeit­sregeln kor­rekt ist. Häu­fig­ster Voll­streck­ung­sort (Betrei­bung­sort) für Schuld­ner im Aus­land ist der Arrestort (Art. 52 SchKG), auch wenn noch keine Ver­mö­genswerte ver­ar­restiert wor­den sind (E. 3.3.2).

 Zuständigkeit gemäss Art. 39 Abs. 2 LugÜ am Arrestort (Art. 52 SchKG) bei ein­er ungeteil­ten Erb­schaft (Art. 49 SchKG)

In der Folge prüfte das Bun­des­gericht die Zuständigkeit für die Voll­streck­bar­erk­lärung im Zusam­men­hang mit dem Arrestort als Betrei­bung­sort bei ein­er ungeteil­ten Erb­schaft (E. 3.4 und E.3.4.1).

«3.4 Gemäss Art. 52 SchKG kann im Fall, dass ein Arrest gelegt ist, die Betrei­bung dort ein­geleit­et wer­den, wo sich der Arrest­ge­gen­stand befind­et. Gemäss Art. 49 SchKG kann eine Erb­schaft, solange die Teilung noch nicht erfol­gt, eine ver­tragliche Gemein­der­schaft nicht ange­ord­net, eine amtliche Liq­ui­da­tion nicht ange­ord­net ist, in der auf den Ver­stor­be­nen anwend­baren Betrei­bungsart an dem Ort betrieben wer­den, wo der Erblass­er zur Zeit seines Todes betrieben wer­den kon­nte. Betrieben wer­den kann die unverteilte Erb­schaft für Schulden des Erblassers und Erb­gangss­chulden (…). Unstrit­tig hat­te der im Aus­land und Dom­izil­staat ver­stor­bene Erblass­er im vor­liegen­den Fall keinen ordentlichen Betrei­bung­sort (Art. 46 SchKG) und ste­ht von den beson­deren Betrei­bung­sorten nur der Betrei­bung­sort des Arrestes nach Art. 52 SchKG in Frage. 

3.4.1. Der Betrei­bung­sort des Arrestes (Art. 52 SchKG) wird durch den vol­l­zo­ge­nen Arrest begrün­det (…). Stre­it­punkt ist, ob gegen die unverteilte Erb­schaft durch Arrest nur dann ein Voll­streck­ung­sort (Betrei­bung­sort) beste­hen kann, wenn der Arrest gegen den Erblass­er bere­its zur Zeit seines Todes vol­l­zo­gen wurde, oder ob — was die Vorin­stanz verneint hat — eine Betrei­bung auch am Ort des Arrestes gegen die unverteilte Erb­schaft möglich ist.»

In diesem Zusam­men­hang befasste sich das Bun­des­gericht mit der kan­tonalen und bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung sowie mit der Lehre (E. 3.4.2 und E. 3.4.3) und nahm die Gele­gen­heit zum Anlass, den Rechtssinn von Art. 49 SchKG zu klären (E. 3.5). Es erwog, dass die Erb­schaft am Ort, “[w]o der Erblass­er betrieben wer­den kon­nte”, sich auf die örtliche Anknüp­fung beziehen kann, im Sinne des Ortes, wo der Erblass­er im Todeszeit­punkt u.a. seinen Wohn­sitz hat­te (vgl. Art. 46 SchKG), wo der Erblass­er seine Geschäft­snieder­las­sung hat­te (Art. 50 SchKG), oder wo sich die zu ver­ar­restieren­den Ver­mö­gens­ge­gen­stände befan­den (vgl. Art. 52 SchKG) (E. 3.5.1). Damit stellt sich die Frage, ob das Gesetz der ungeteil­ten Erb­schaft nur die pas­sive Betreibungs‑, nicht aber Arrest­fähigkeit zugesteht.

Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass der fehlende Arrestvol­lzug zu Lebzeit­en des Erblassers die Arrest­fähigkeit der Erb­schaft nicht zwin­gend auss­chliesst (E. 3.5.2, E. 3.5.3 und E. 3.5.4):

 «3.5.4. Nach der Recht­sprechung bringt die Vorschrift von Art. 49 SchGK unab­hängig vom auf den Nach­lass anwend­baren Recht (…) eine Sach­haf­tung aller Erben zur Anwen­dung, solange die Teilung des Nach­lass­es bzw. eine amtliche Liq­ui­da­tion — unter Berück­sich­ti­gung aus­ländis­chen Rechts (…) — nicht vorgenom­men wor­den ist. Zweck der Bes­tim­mung ist, dem Gläu­biger in beschränk­tem Rah­men ein Vorge­hen zu ermöglichen, wenn noch unklar ist, wer Erbe ist oder wenn die Erben auswärts wohnen und der Nach­lass nach der Teilung in alle Winde ver­we­ht wird (…). Vor diesem Hin­ter­grund hat die Vorin­stanz keinen Grund, die (eigene) kan­tonale Recht­sprechung (ZR 51/1952 Nr. 81 S. 139) aufzugeben und auszuschliessen, dass das Arrest­ge­such (auch) gegen die ungeteilte Erb­schaft gerichtet wer­den kann, wenn die in der Schweiz bele­ge­nen Ver­mö­genswerte des Erblassers im Zeit­punkt des Todes mit Arrest belegt und damit ein Betrei­bung­sort (Art. 52 SchKG) hätte geschaf­fen wer­den können.» 

Das Bun­des­gericht präzisierte dabei, dass das Ergeb­nis sein­er Ausle­gung in Ein­klang mit BGE 120 III 39 ste­ht bzw. mit dieser Recht­sprechung zu vere­in­baren ist (E. 3.5.5).

Aus all diesen Grün­den kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass das Oberg­ericht zu Unrecht angenom­men hat, dass in der Schweiz gegen die ungeteilte Erb­schaft keine Betrei­bung am Ort des Arrestes (Art. 52 SchKG) durchge­führt wer­den könne, weshalb die Beschw­erde begrün­det und das ange­focht­ene Urteil aufzuheben ist (E. 3.6).

Zustel­lung des Entschei­ds und Pub­lika­tion auf Internet

Schliesslich befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, ob der Entscheid auf­grund des super­pro­vi­sorischen Charak­ters des Arrest- und LugÜ-Voll­streck­bar­erk­lärungs­ge­suchs dem Schuld­ner zugestellt wer­den muss und inwiefern der Entscheid im Inter­net veröf­fentlicht wer­den darf (E. 4):

«Das vor­liegende Urteil wird der Gegen­partei nicht zugestellt (…); der entsprechende Antrag des Beschw­erde­führers ist gegen­stand­s­los. Die Veröf­fentlichung des Urteils im Inter­net erfol­gt von Amtes wegen nach Art. 27 Abs. 2 BGG und in anonymisiert­er Form (Art. 57 Abs. 1 lit. b, Art. 59 BGG; …), weshalb für die vom Beschw­erde­führer beantragten Vor­gaben kein Grund besteht.»