5A_847/2021: Erstmalige Bezifferung der güterrechtlichen Forderung im Schlussvortrag

Im Urteil 5A_847/2021 vom 10. Jan­u­ar 2023 stellt das Bun­des­gericht klar, dass es im Rah­men ein­er unbez­if­fer­ten Forderungsklage zuläs­sig ist, eine güter­rechtliche Forderung erst­mals im Schlussvor­trag zu bez­if­fern. Die Parteien sind bei ein­er unbez­if­fer­ten Forderungsklage nicht verpflichtet, ihre Begehren laufend dem aktuellen Beweis­ergeb­nis anzupassen.

Zusam­men­fas­sung

Dem hier besproch­enen Urteil liegt im wesentlichen fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die Ehe­frau reichte am 18. Okto­ber 2013 eine Schei­dungsklage ein, in der sie beantragte, das Gericht solle die Parteien güter­rechtlich auseinan­der­set­zen. Erst­mals in ihrem Schlussvor­trag vom 13. Dezem­ber 2019 bez­if­ferte sie ihre güter­rechtliche Forderung und beantragte, der Ehe­mann habe ihr Fr. 124’521’191.50 zzgl. 5 % Zins ab Urteils­da­tum zu bezahlen. Vor Bun­des­gericht rügte der Ehe­mann, die Voraus­set­zun­gen der unbez­if­fer­ten Forderungsklage seien nicht erfüllt, und selb­st wenn, habe die Ehe­frau ihre Forderung zu spät bez­if­fert. Sie hätte ihr Begehren laufend dem Beweis­ergeb­nis anpassen und innert 30 Tagen nach Abschluss des Beweisver­fahrens defin­i­tiv bez­if­fern müssen.

Das Bun­des­gericht bejahte mit der Vorin­stanz die Voraus­set­zun­gen für eine unbez­if­ferte Forderungsklage und wandte sich sodann der Frage zu, ob die Ehe­frau ihre Forderung rechtzeit­ig bez­if­fert hat­te. Es erwog, Art. 85 Abs. 2 ZPO sehe vor, dass die Partei, die eine unbez­if­ferte Forderungsklage ein­re­iche, ihre Forderung zu bez­if­fern habe, sobald sie nach Abschluss des Beweisver­fahrens oder nach Auskun­ft­serteilung durch die beklagte Partei dazu in der Lage sei. Die Bes­tim­mung lasse jedoch offen, welche Frist einzuhal­ten sei. In der Lehre werde die Auf­fas­sung vertreten, dass die Bez­if­fer­ung vor Abschluss des Beweisver­fahrens erfol­gen müsse, wenn alle erforder­lichen Infor­ma­tio­nen vor­lä­gen, anson­sten bei Abschluss des Beweisver­fahrens, spätestens jedoch im Schlussvor­trag, und zwar auch dann, wenn die kla­gende Partei dannzu­mal der Ansicht sei, noch nicht über alle erforder­lichen Infor­ma­tio­nen zu ver­fü­gen. Ein Grossteil der Lehre gehe weit­er und bringe vor, es sei Sache des Gerichts, die kla­gende Partei aufzu­fordern oder ihr eine Frist anzuset­zen, ihre Forderung nach Erhalt der erforder­lichen Infor­ma­tio­nen zu bez­if­fern (E. 4.2.2).

Die Auf­fas­sung des Ehe­manns, wonach das Begehren laufend dem Beweis­ergeb­nis anzu­passen sei, finde wed­er in der Recht­sprechung noch in der Lehre eine Stütze und wider­spreche der Prozessökonomie. Dass sich die Parteien in ihren Schlussvorträ­gen zum Beweis­ergeb­nis äussern müssten, deute darauf hin, dass dies für den Geset­zge­ber die erste prozes­suale Möglichkeit sei, die direkt an das Beweisver­fahren anschliesse. Wenn die kla­gende Partei von der Aus­nahme des Art. 85 Abs. 1 ZPO prof­i­tiere, weil sie Beweis­ab­nah­men benötige, um ihre Forderung zu bez­if­fern, könne von ihr nicht ver­langt wer­den, dass sie die Bez­if­fer­ung vornehme, bevor sie sich zum Beweis­ergeb­nis äussern müsse. Da auch ein Grossteil der Lehre davon aus­ge­he, dass die kla­gende Partei ihre Forderung spätestens im Schlussvor­trag bez­if­fern müsse und andern­falls vom Gericht zur Nachbesserung aufzu­fordern sei, sei es nicht zu bean­standen, dass die Ehe­frau ihre Forderung erst im Schlussvor­trag und nicht innert 30 Tagen nach der let­zten Beweis­ab­nahme bez­if­fert habe (E 4.3).

Das Bun­des­gericht befasste sich sodann mit der Rüge des Ehe­mannes, die erst­ma­lige Bez­if­fer­ung der Forderung im Schlussvor­trag stelle eine Klageän­derung dar, die nach Art. 230 Abs. 1 lit. b ZPO nur zuläs­sig sei, wenn sie auf neuen Tat­sachen oder Beweis­mit­teln beruhe. Das Bun­des­gericht hält dazu nach einem Überblick der ver­schiede­nen Lehrmei­n­un­gen fest, dass das ursprüngliche Rechts­begehren der Ehe­frau auf Vor­nahme der güter­rechtlichen Auseinan­der­set­zung unverän­dert geblieben sei. Sie habe in ihrem Schlussvor­trag das Rechts­begehren lei­dglich bez­if­fert. Es han­dle sich daher nicht um eine Klageän­derung (E. 5.3).

Die Rügen des Ehe­mannes wur­den daher als unbe­grün­det abgewiesen.

Kom­men­tar

Der Anspruch auf güter­rechtliche Aus­gle­ich­szahlung ist ein klas­sis­ch­er Anwen­dungs­fall der unbez­if­fer­ten Forderungsklage, da die Ehe­gat­ten zu Beginn des Ver­fahrens die Ver­mö­gensver­hält­nisse des anderen oft nicht im Detail ken­nen und zudem zur Ermit­tlung des Verkehr­swerts von Ver­mö­gens­ge­gen­stän­den oft Gutacht­en notwendig sind. Entsprechend ist das vor­liegende Urteil für die fam­i­lien­rechtliche Prax­is von gross­er Bedeutung.

Die vom Bun­des­gericht gewählte Lösung, wonach es genügt, die unbez­if­ferte Forderungsklage erst­mals im Schlussvor­trag zu bez­if­fern, ist ein­fach hand­hab­bar und prag­ma­tisch. Für die beklagte Partei hat sie allerd­ings den Nachteil, dass sie bis zur let­zten Eingabe der Gegen­partei über die gegen sie erhobene Forderung im Ungewis­sen bleibt. Dementsprechend wird sich für die beklagte Partei oft­mals eine Rep­lik auf den Schlussvor­trag aufdrängen. 

Zu beacht­en ist, dass auch im Rah­men ein­er unbez­if­fer­ten Forderungsklage die Even­tual­maxime gilt. Die Tat­sachen­grund­la­gen für die Bez­if­fer­ung der Forderung sind vor dem Schlussvor­trag zu schaf­fen. Im Schlussvor­trag sind neue Tat­sachen­be­haup­tun­gen nur noch unter den stren­gen Voraus­set­zun­gen von Art. 229 Abs. 1 ZPO zulässig.

Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass das Urteil weit­ere lesenswerte Erwä­gun­gen zum Güter­recht enthält, etwa zur Frage der Verzin­sung der güter­rechtlichen Aus­gle­ich­szahlung (E. 9).