5A_794/2022: Kognitionsbefugnis der SchKG-Aufsichtsbehörde bei der Prüfung der Bezeichnung des Lead-Betreibungsamts (amtl. Publ.)

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 5A_794/2022 vom 9. Januar 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Bezeichnung des Lead-Betreibungsamtes im Arrestbefehl durch die kantonale Aufsichtsbeschwerde im Rahmen einer SchKG-Beschwerde gegen die Arresturkunde überprüft werden darf. Das Bundesgericht verneinte dies und bestätigte, dass ein vollständiger Arrestbefehl durch das Betreibungsamt zu vollziehen ist. Es obliegt nicht der kantonalen Aufsichtsbehörde, die materiellen Voraussetzungen des Arrests zu prüfen, und zwar selbst wenn eine Arresteinsprache im konkreten Fall aufgrund von Art. 170 Abs. 2 DBG nicht vorgesehen ist.


Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit Arrest­be­fehl vom 1. Juni 2021 wur­den Ver­mö­genswerte des Schuld­ners bezüglich der direk­ten Bun­dess­teuer gestützt auf eine Sich­er­stel­lungsver­fü­gung ver­ar­restiert und das Betrei­bungsamt der Region Mal­o­ja wurde im Arrest­be­fehl als Lead-Betrei­bungsamt beze­ich­net. Gestützt darauf liess das Betrei­bungsamt recht­shil­feweise schweizweit Ver­mö­genswerte des Schuld­ners ver­ar­restieren. Gegen die Arresturkunde erhob der Schuld­ner Beschw­erde, die mit Entscheid vom 13. Sep­tem­ber 2022 von der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde abgewiesen wurde, soweit diese darauf ein­trat. Gegen den Entscheid erhob der Schuld­ner Beschw­erde vor Bun­des­gericht und beantragte die Aufhe­bung des kan­ton­s­gerichtlichen Urteils und die Verpflich­tung der Vorin­stanz, auf seine Anträge betr­e­f­fend die Wahl des Lead-Betrei­bungsamtes einzutreten und diese materiell umfassend zu prüfen. Even­tu­aliter sei festzustellen, dass die Arresturkunde vom 16. Sep­tem­ber 2021 rechtswidrig sei. Demzu­folge sei das Betrei­bungsamt anzuweisen, alle auf der besagten Arresturkunde beruhen­den Arreste unverzüglich aufzuheben bzw. deren Aufhe­bung anzuord­nen. Mit Urteil vom 9. Jan­u­ar 2023 wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.


Kog­ni­tions­befug­nis der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde im Allgemeinen

Zunächst rief das Bun­des­gericht in Erin­nerung, dass es der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde nicht zuste­ht, die Sich­er­stel­lungsver­fü­gung auf ihre materiell­rechtliche Grund­lage zu über­prüfen (E. 2.1.2). Der Vol­lzug eines voll­ständi­gen Arrest­be­fehls durch das Betrei­bungsamt kann nur ver­weigert wer­den, sofern sich der Arrest­be­fehl als nichtig erweist. Die Beurteilung materiellen Ein­wände ste­ht nur dem mit der Arrestein­sprache befassten Gericht zu (E. 2.5).


Kog­ni­tions­befug­nis der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde bei der Über­prü­fung der Beze­ich­nung des Lead-Betrei­bungsamtes im Arrestbefehl 

In der Folge set­zte sich das Bun­des­gericht mit der konkreten Frage auseinan­der, ob die kan­tonale Auf­sichts­be­hörde die Beze­ich­nung des Lead-Betrei­bungsamtes im Arrest­be­fehl über­prüfen kann.

Vor­liegend war die Befug­nis der Arrest­be­hörde, das zuständi­ge Lead-Betrei­bungsamt zu beze­ich­nen, vor Bun­des­gericht nicht mehr umstrit­ten. Hinge­gen bestand der Arrestschuld­ner auf ein­er umfassenden Prü­fung durch die Auf­sichts­be­hörde, ob die Wahl des Lead-Betrei­bungsamtes im konkreten Fall recht­mäs­sig ist; dabei berief er sich auf die Rechtsweg­garantie nach Art. 29a BV (E. 2.3).

Das Bun­des­gericht erwog zunächst, dass die Kom­pe­ten­zen der Auf­sichts­be­hörde – neben der Auf­sichts­funk­tion gemäss Art. 13 SchKG und den speziellen Anord­nun­gen auf Gesuch hin – durch diejeni­gen der Voll­streck­ung­sor­gane bes­timmt und abge­gren­zt wer­den. Erst gegen deren Erlass oder Nicht- oder verzögerten Erlass ein­er Ver­fü­gung kann unter den Voraus­set­zun­gen von Art. 17 SchKG bei der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde Beschw­erde geführt wer­den. Die Rechtsweg­garantie (Art. 29a BV) bedeutet für die Auf­sicht in Schuld­be­trei­bungs- und Konkurssachen, dass die Auf­gaben der oberen oder einzi­gen kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde in den Hän­den eines Gerichts liegen muss (E. 2.3.2).

Nicht unter die Auf­gaben der Auf­sichts­be­hör­den fällt die Beauf­sich­ti­gung der gerichtlichen Behör­den wie z.B. des Arrest­gerichts; diese gehören seit jeher nicht zum Kreis der Beauf­sichtigten. Für die in Frage ste­hen­den direk­ten Bun­dess­teuern gilt allerd­ings eine Son­der­regelung (Art. 170 DBG), wonach die kan­tonale Ver­wal­tung für gefährdete Steuer­forderun­gen jed­erzeit und ohne ein Gericht anrufen zu müssen, eine Sich­er­stel­lungsver­fü­gung erlassen kann, die als Arrest­be­fehl gemäss Art. 274 SchKG gilt. Oft wird in der Prax­is jedoch ein zusät­zlich­er Arrest­be­fehl aus­gestellt, der die zu ver­ar­restieren­den Ver­mö­genswerte beze­ich­net und alle (weit­eren) für die Arrestle­gung notwendi­gen Angaben enthält. Zu erörtern ist damit, ob die Kri­tik des Arrestschuld­ners an der Beze­ich­nung des Lead-Betrei­bungsamtes im Arrest­be­fehl über die SchKG-Beschw­erde vor der kan­tonalen Auf­sichts­be­hörde – die zur Prü­fung des Vol­lzugs des Arrests zuständig ist – vorge­bracht wer­den kann (E. 2.3.3).

Im vor­liegen­den Fall erliess die Steuer­be­hörde – zusät­zlich zur Sich­er­stel­lungsver­fü­gung – einen Arrest­be­fehl, aus dem neben den üblichen Angaben (Art. 274 Abs. 2 SchKG) nicht nur die einzel­nen zu ver­ar­restieren­den Gegen­stände des Schuld­ners und deren genauer Stan­dort präzise her­vorge­hen, son­dern auch das jew­eils zuständi­ge Betrei­bungsamt beze­ich­net und das Betrei­bungsamt der Region Mal­o­ja als Lead-Betrei­bungsamt beauf­tragt wird, den Arrest recht­shil­feweise zu vol­lziehen. Damit genügte der Arrest­be­fehl – ein­schliesslich des Vol­lzugsauf­trages (Art. 271 Abs. 1 SchKG) – den inhaltlichen Anforderun­gen, welche es dem Lead-Betrei­bungsamt erlaubten, den Arrest kor­rekt zu vol­lziehen (E. 2.4).

Fol­glich musste das Betrei­bungsamt den Arrest­be­fehl, der sich als voll­ständig erwies, vol­lziehen und den Auf­trag des Arrest­gerichts befol­gen, ohne die materiellen Voraus­set­zun­gen des Arrestes zu prüfen (E. 2.5). Die kan­tonale Auf­sichts­be­hörde ist für die Beurteilung der Kri­tik an der Beze­ich­nung des Lead-Betrei­bungsamtes nicht zuständig.

Das Bun­des­gericht erwog schliesslich, dass es zwar zutrifft, dass auf­grund der steuer­rechtlichen Son­der­regelung die Arrestein­sprachemöglichkeit gemäss Art. 278 SchKG gegen den Arrest­be­fehl fehlt (Art. 170 Abs. 2 DBG). Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Arrest­be­fehl nicht auf dem ver­wal­tungs­gerichtlichen Weg über­prüft wer­den kann, wie in der Lehre betr­e­f­fend die Anord­nung des Lead-Betrei­bungsamtes aus­ge­führt wird (E. 2.5.1.). Das Bun­des­gericht befand jedoch, dass es über diese Frage nicht zu befind­en hat (E. 2.5.4):

«Auf jeden Fall kann der betr­e­f­fende Nichtein­tretensentscheid des Zürcher Ver­wal­tungs­gerichts auf einen Rekurs in Steuer­sachen keine geset­zliche Verpflich­tung der Vorin­stanz als kan­tonaler Auf­sichts­be­hörde schaf­fen, auf die hier ange­hobene Beschw­erde gemäss Art. 17 SchKG einzutreten und die durch die Arrest­be­hörde vorgenommene Bes­tim­mung des Lead-Betrei­bungsamtes auf seine Recht­mäs­sigkeit zu über­prüfen. Die Vorin­stanz hat zutr­e­f­fend fest­ge­hal­ten, dass die Bes­tim­mung des Lead-Betrei­bungsamtes — unab­hängig davon, ob sie in der Sich­er­stel­lungsver­fü­gung oder im Arrest­be­fehl erfol­gt — eine Anord­nung der Steuer­be­hörde darstellt, welche als Arrest­be­hörde fungiert. Daran ändert die Anrufung der Rechtsweg­garantie nichts.»