4A_378/2022: Aberkennungsklage, Fixierungswirkung (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass die Vorin­stanz nicht über den Stre­it­ge­gen­stand des Aberken­nungsver­fahrens hin­aus­ge­gan­gen ist und damit nicht die Dis­po­si­tion­s­maxime ver­let­zt hat, wenn sie das Beste­hen eines Rück­forderungsanspruchs unter sämtlichen möglichen rechtlichen Entste­hungs­grün­den prüfe und auf­grund eines nichti­gen Dar­lehensver­trags den Rück­forderungsanspruch auf die ungerecht­fer­tigte Bere­icherung abstützte.

Hin­ter­grund war ein Stre­it über die Rück­zahlung ein­er als “Dar­lehensver­trag” beze­ich­neten Vere­in­barung, im Zuge dessen es zu zwei Aberken­nungsver­fahren vor dem Han­dels­gericht des Kan­tons Aar­gau kam, welch­es die vere­inigten Kla­gen mehrheitlich abwies. In seinem Urteil erwog das Han­dels­gericht unter anderem, der Dar­lehensver­trag sei nach Art. 26 Abs. 2 lit. a BewG nichtig und führe zu einem Rück­forderungsanspruch der Beklagten gemäss Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG (E. 3.2). Die Klägerin rügte vor Bun­des­gericht eine Ver­let­zung der Dis­po­si­tion­s­maxime, indem sie gel­tend machte, das Han­dels­gericht habe der Beklagten zu Unrecht von Amtes wegen einen bere­icherungsrechtlichen Anspruch gestützt auf Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG zuge­sprochen, ohne dass dies von ein­er Partei beantragt wor­den sei. Der Stre­it­ge­gen­stand des Aberken­nungsver­fahrens beschränke sich auf die in Betrei­bung geset­zte Forderung. Die Vorin­stanz habe daher nur den Bestand der von der Beklagten in Betrei­bung geset­zten Dar­lehens­forderung zu beurteilen gehabt. Die Beklagte habe in ihrem Betrei­bungs­begehren als Forderungs­grund “Sol­de du prêt du 23.10.2015” angegeben (E. 4.1).

Mit ihrer Rüge drang die Klägerin nicht durch. Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die Beson­der­heit der Aberken­nungsklage nach Art. 83 Abs. 2 SchKG, wonach der Stre­it­ge­gen­stand nicht die Fort­set­zung der Voll­streck­ung als solche, son­dern der Bestand und die Fäl­ligkeit der in Betrei­bung geset­zten Forderung zum Zeit­punkt der Ein­leitung der Betrei­bung sei (E. 4.3.1). Im Aberken­nungsver­fahren müsse der Gläu­biger dieselbe Forderung beweisen, die er im Betrei­bungs­begehren beze­ich­net habe. Die Aberken­nungsklage sei somit gutzuheis­sen, wenn die im Aberken­nung­sprozess schein­bar aufrecht erhal­tene Forderung in Wirk­lichkeit neu gel­tend gemacht wor­den und nicht mit der in Betrei­bung geset­zten Forderung iden­tisch sei. Mass­gebend sei allerd­ings nicht, dass der Gläu­biger seine Forderung im Prozess auf einen anderen Rechts­grund als im Betrei­bungs­begehren stütze oder sich auf eine andere Schul­durkunde als im Zahlungs­be­fehl berufe, son­dern dass es sich um eine andere Forderung han­dle als diejenige, die in Betrei­bung geset­zt wor­den sei (E. 4.3.2).

Fix­iert werde, so das Bun­des­gericht weit­er, der Stre­it­ge­gen­stand im Betrei­bungsver­fahren durch den Zahlungs­be­fehl, der gestützt auf das Betrei­bungs­begehren erlassen werde, wo unter anderem die Forderung­surkunde oder der Forderungs­grund anzugeben sei. Die Angabe des Forderungs­grunds diene vor allem der Indi­vid­u­al­isierung der in Betrei­bung geset­zten Forderung, wodurch der Betriebene davon Ken­nt­nis erlange, für welche Forderung er betrieben werde. Entsprechend genüge auch jegliche Beze­ich­nung des Forderungs­grunds, die es dem Betriebe­nen erlaube, gemein­sam mit den übri­gen Angaben des Zahlungs­be­fehls die Natur der in Betrei­bung geset­zten Forderung zu erken­nen (E. 4.3.3). Aus der alleini­gen Angabe des Rechts­grun­des im Betrei­bungs­begehren bzw. im Zahlungs­be­fehl könne daher nicht geschlossen wer­den, dass sich die Betrei­bung auf diesen Rechts­grund beschränke. Selb­st wenn daher im Zahlungs­be­fehl ein ver­traglich­er Anspruch genan­nt werde, dürften Ansprüche nicht aus­geschlossen wer­den, die sich bere­icherungsrechtlich, qua­si-ver­traglich oder delik­tisch begrün­den liessen. Dies sei auch im Hin­blick auf die Ori­en­tierungs­funk­tion des Zahlungs­be­fehls gerecht­fer­tigt. Solange für den Betriebe­nen erkennbar bleibe, um welche Forderung es sich han­dle, solle es keine Rolle spie­len, ob diese gestützt auf den im Betrei­bungs­begehren angegebe­nen oder auf einen anderen Rechts­grund zuge­sprochen werde. Es wäre ein über­trieben­er und durch kein schutzwürdi­ges Inter­esse des Schuld­ners gedeck­ter For­mal­is­mus, wenn die Durch­set­zung des materiellen Anspruchs wegen der unge­nauen Angabe des Forderungs­grun­des im Betrei­bungs­begehren scheit­ern würde, obwohl der Iden­titäts­be­weis geleis­tet sei und auch der Schuld­ner nicht zweifeln könne, welch­er Anspruch gemeint sei (E. 4.3.4).

Vor­liegend habe, so das Bun­des­gericht, die Beklagte den Rest­be­trag des Dar­lehens zuzüglich Verzugszins und Dar­lehen­szins gefordert. Die Klägerin sei damit im Zahlungs­be­fehl darüber ori­en­tiert wor­den, dass die Beklagte den gewährten Dar­lehens­be­trag zurück­fordere. Aus diesen Angaben könne allerd­ings nicht geschlossen wer­den, dass die Beklagte auss­chliesslich einen ver­traglichen Anspruch gel­tend mache. Vielmehr fordere die Beklagte die Rück­zahlung des gewährten Dar­lehens­be­trages zuzüglich Verzugszinse und Dar­lehen­szinse unter welchem Recht­sti­tel auch immer. Sowohl der Rück­zahlungsanspruch aus dem Dar­lehensver­trag als auch der Rück­forderungsanspruch gestützt auf Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG wür­den dem­sel­ben Lebensvor­gang, der Gewährung der Dar­lehenssumme an die Klägerin gestützt auf den (nichti­gen) Dar­lehensver­trag und die anschliessende Rück­forderung der­sel­ben durch die Beklagte, entsprin­gen. Ob dies gestützt auf einen wirk­samen Dar­lehensver­trag oder gestützt auf einen bere­icherungsrechtlichen Anspruch erfolge, spiele für die Forderungsi­den­tität keine Rolle. Es wäre auf­grund des Rechts­begehrens zu prüfen, ob auf­grund der Gewährung der Dar­lehenssumme gestützt auf den (nichti­gen) Dar­lehensver­trag ein Rück­forderungsanspruch zugun­sten der Beschw­erdegeg­ner­in in der Höhe der in Betrei­bung geset­zten Forderung bestanden hätte. Dies hätte unter Berück­sich­ti­gung des im Aberken­nungsver­fahren vor­ge­tra­ge­nen Lebenssachver­halts zu erfol­gen. Die Klägerin habe in ihrer Aberken­nungsklage sämtliche Umstände dargelegt, welche die Nichtigkeit des Dar­lehensver­trages begrün­de­ten. Die Vorin­stanz hätte daher im Rah­men des Aberken­nungsver­fahrens über das Beste­hen des fraglichen Rück­forderungsanspruchs unter Berück­sich­ti­gung der Umstände des nichti­gen Zus­tandekom­mens des Dar­lehensver­trages zu entschei­den gehabt. Dem­nach hätte sie nach dem Grund­satz von iura novit curia (Art. 57 ZPO) das Beste­hen des Rück­forderungsanspruchs unter sämtlichen möglichen rechtlichen Entste­hungs­grün­den zu prüfen gehabt. In  Übere­in­stim­mung damit habe sie den Rück­forderungsanspruch gestützt auf Art. 26 Abs. 4 lit. b BewG bejaht. Damit sei nicht eine andere als die in Betrei­bung geset­zte Forderung zuge­sprochen wor­den, son­dern nur die Forderung mit einem anderen Rechts­grund als im Zahlungs­be­fehl ver­merkt, zuerkan­nt wor­den (E. 4.3.6).