5A_925/2021: Keine Anwendbarkeit von Art. 256 Abs. 2 ZPO auf das Verfahren um Anerkennung eines ausländischen Konkursdekrets (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_925/2021 vom 2. März 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob ein Anerkennungsentscheid nach Art. 167 ff. IPRG gestützt auf Art. 256 Abs. 2 ZPO nachträglich aufgehoben werden kann. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass Art. 256 Abs. 2 ZPO in diesem Verfahren nicht anwendbar ist, auch nicht analog.


Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Am 11. August 2020 stellte die A Ltd. (Schuld­ner­in) beim Bezirks­gericht Zürich ein Gesuch um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkurs­dekrets. Das Bezirks­gericht anerkan­nte mit Urteil vom 18. Novem­ber 2020 als aus­ländis­ches Konkurs­dekret eine von der «Riyadh Cham­ber» am 15. April 2020 aus­gestellte und zer­ti­fizierte Urkunde in ara­bis­ch­er Sprache, welche in der deutschen Über­set­zung den Titel «Han­delsmin­is­teri­um, Auflö­sungs­bekan­nt­machung ein­er Gesellschaft» trägt. Nach­dem sich innert der mit dem Schulden­ruf pub­lizierten Eingabefrist keine Gläu­biger mit Wohn­sitz in der Schweiz gemeldet hat­ten, wurde mit Urteil vom 6. Jan­u­ar 2021 auf die Durch­führung eines Hil­f­skonkurs­es verzichtet.

Die D LLP (Gläu­bigerin) beantragte mit Gesuch vom 18. Feb­ru­ar 2021 beim Bezirks­gericht Zürich die Revi­sion, even­tu­aliter die Aufhe­bung gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO des Entschei­ds des Bezirks­gerichts vom 18. Novem­ber 2020.

Das Bezirks­gericht trat auf das Revi­sion­s­ge­such mit Ver­fü­gung vom 29. Juni 2021 nicht ein und stellte fest, dass der Auf­schub der Voll­streck­barkeit des Urteils vom 18. Novem­ber 2020 sowie die entsprechen­den Anweisun­gen dahin­fall­en. Der sich aus der Begrün­dung ergebende Nichtein­tretensentscheid zum Antrag gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO wurde nicht in das Dis­pos­i­tiv des bezirks­gerichtlichen Entschei­ds aufgenommen.

Dage­gen erhob die Gläu­bigerin Beschw­erde beim Oberg­ericht des Kan­tons Zürich und beantragte im Wesentlichen, das Urteil des Bezirks­gerichts Zürich aufzuheben und das (ver­meintliche) Konkurs­dekret nicht anzuerkennen.

Mit Urteil vom 12. Okto­ber 2021 hiess das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich die Beschw­erde gut und hob den Nichtein­tretensentscheid des Bezirks­gerichts Zürich vom 29. Juni 2021 auf. In Gutheis­sung des Antrags um Aufhe­bung des Entschei­ds gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO hob es das Urteil des Bezirks­gerichts Zürich vom 18. Novem­ber 2020 auf und wies das Gesuch um Anerken­nung des aus­ländis­chen Konkurs­dekrets ab.

Gegen dieses Urteil erhob die Schuld­ner­in mit Eingabe vom 8. Novem­ber 2021 Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht und beantragte die Aufhe­bung des Urteils des Oberg­erichts des Kan­tons Zürich vom 12. Okto­ber 2021.

Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde der Schuld­ner­in gut, hob das Urteil des Oberg­erichts Zürich auf und wies die Sache zur neuen Entschei­dung im Sinne der Erwä­gun­gen an das Oberg­ericht zurück.


Prozes­suale Qual­i­fika­tion des Ver­fahrens um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkursdekrets

Das Bun­des­gericht set­zte sich mit der prozes­sualen Qual­i­fika­tion des Ver­fahrens um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkurs­dekrets gemäss Art. 166 ff. IPRG und ins­beson­dere mit der Frage, ob ein Entscheid in einem solchen Ver­fahren gestützt auf Art. 256 Abs. 2 ZPO, der auf Anord­nun­gen der frei­willi­gen Gerichts­barkeit Anwen­dung find­et, nachträglich aufge­hoben wer­den kann, auseinander.


Anord­nun­gen der frei­willi­gen Gerichtsbarkeit

Zunächst rief das Bun­des­gericht den Zweck von Art. 256 Abs. 2 ZPO in Erin­nerung (E. 3.1.1):

«Gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO kön­nen Anord­nun­gen der frei­willi­gen Gerichts­barkeit von Amtes wegen oder auf Antrag aufge­hoben oder abgeän­dert wer­den, wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweisen und das Gesetz oder die Rechtssicher­heit nicht ent­ge­gen­ste­hen (…). Diese erle­ichterte Kor­rek­tur­möglichkeit entspricht einem prak­tis­chen Bedürf­nis, das auf dem ver­wal­tungsrechtlichen Charak­ter der Anord­nung der frei­willi­gen Gerichts­barkeit beruht (…).»

Sodann set­zte sich das Bun­des­gericht mit den Wesens­merk­malen der Anord­nun­gen der frei­willi­gen Gerichts­barkeit auseinan­der. Nach bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung bein­hal­ten gerichtliche Anord­nun­gen der frei­willi­gen Gerichts­barkeit die Begrün­dung, Änderung oder Aufhe­bung von Pri­va­trechtsver­hält­nis­sen. Das Vor­liegen eines Ein- oder Mehrparteien­ver­fahrens ist nicht das auss­chlaggebende Abgren­zungskri­teri­um zwis­chen den bei­den Ver­fahren. Eine stre­it­ige Zivil­sache gilt als ein kon­tradik­torisches Ver­fahren zwis­chen min­destens zwei Parteien, das auf die endgültige, dauernde Regelung zivil­rechtlich­er Ver­hält­nisse im Sinne ein­er res iudi­ca­ta abzielt (E. 3.1.2).

Die Frage, ob es sich bei einem Ver­fahren um eine Angele­gen­heit der frei­willi­gen Gerichts­barkeit oder um eine stre­it­ige Zivil­sache han­delt, richtet sich nach dem materiellen Recht; dies gilt auch im Hin­blick auf die Anwen­dung der vere­in­facht­en Kor­rek­tur des Entschei­ds gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO (E. 3.2).


Parteis­tel­lung im Ver­fahren um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkursdekrets

Das Ver­fahren um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkurs­dekrets wird durch einen Antrag ein­geleit­et. Antrags­berechtigt sind gemäss Art. 166 Abs. 1 IPRG die aus­ländis­che Konkursver­wal­tung, der Gemein­schuld­ner oder ein Konkurs­gläu­biger. Zur Frage, ob und welche Gesuchs­geg­n­er ins Recht zu fassen sind, äussern sich Art. 166 ff. IPRG nicht aus­drück­lich. Nach Art. 29 Abs. 2 IPRG, auf den Art. 167 Abs. 1 IPRG sin­ngemäss ver­weist, sind die Parteien, die sich dem Begehren wider­set­zen, im Anerken­nungsver­fahren anzuhören, wobei sich die Parteis­tel­lung ana­log nach Art. 6 i.V.m. Art. 48 VwVG bes­timmt. Das Bun­des­gericht präzisierte jedoch, dass es nicht erforder­lich ist, sämtliche Per­so­n­en, denen poten­tiell Parteis­tel­lung zukom­men kön­nte, vor Erlass des Anerken­nungsentschei­des vorzu­laden und anzuhören (E. 3.2.1):

«Es ist gemäss bun­des­gerichtlich­er Recht­sprechung mit Art. 29 Abs. 2 IPRG vere­in­bar, wenn poten­tiell legit­imierte Per­so­n­en durch die in Art. 169 Abs. 1 IPRG vorge­se­hene Pub­lika­tion des Anerken­nungsentschei­ds informiert wer­den und sie Gele­gen­heit erhal­ten, ein Rechtsmit­tel dage­gen zu erheben (…).»


Die Bindungswirkung des Entschei­ds um Anerken­nung nach Art. 167 ff. IPRG ste­ht der Anwen­dung von Art. 256 Abs. 2 ZPO entgegen

Das Bun­des­gericht stellte fest, dass wed­er die Lehre noch das Bun­des­gericht eine aus­drück­liche Zuord­nung des Ver­fahrens um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkurs­dekrets zum – im Einzel­nen umstrit­te­nen – Kat­a­log der Angele­gen­heit­en der frei­willi­gen Gerichts­barkeit vornehmen; ins­beson­dere hat das Bun­des­gericht die Qual­i­fika­tion des Ver­fahrens in BGE 142 III 110, in welchem im Hin­blick auf die Kosten­verteilung nach Art. 106 ff. ZPO im zweitin­stan­zlichen Ver­fahren eine gewisse Nähe des Ver­fahrens um Anerken­nung eines aus­ländis­chen Konkurs­dekrets zu den Angele­gen­heit­en der frei­willi­gen Gerichts­barkeit fest­gestellt wurde, offen­ge­lassen (E. 3.4.1).

Das Bun­des­gericht erwog, dass die Mass­nah­men des Voll­streck­ungsrechts auch dann ihren strit­ti­gen Charak­ter behal­ten und nicht der frei­willi­gen Gerichts­barkeit zugerech­net wer­den, wenn nur eine Partei in das Ver­fahren ein­be­zo­gen wurde (E. 3.4.2) Zudem ste­hen die Rechtswirkun­gen des Anerken­nungsentschei­ds gemäss Art. 167 ff. IPRG der Anwen­dung von Art. 256 Abs. 2 ZPO ent­ge­gen (E. 3.4.3):

«Die Anerken­nung des aus­ländis­chen Konkurs­dekrets zieht grund­sät­zlich für das in der Schweiz gele­gene Ver­mö­gen des Schuld­ners die konkursrechtlichen Fol­gen des schweiz­erischen Rechts nach sich (Art. 170 Abs. 1 IPRG). Wie Entschei­de über die Konkurs­eröff­nung ist auch der Entscheid über die Anerken­nung aus­ländis­ch­er Konkurs­dekrete ein Gestal­tungsentscheid, der sich gegenüber allen Gläu­bigern erstreckt (…). Der Entscheid auf Anerken­nung eines sein­er­seits endgülti­gen aus­ländis­chen Konkurs­dekrets zielt damit auf eine dauernde Regelung der zivil­rechtlichen Ver­hält­nisse im Sinne ein­er res iudi­ca­ta ab (…). Die Gestal­tungswirkun­gen des Anerken­nungsentschei­ds lassen sich nicht mit der nachträglichen Abän­der­barkeit von Amtes wegen oder auf Antrag gemäss Art. 256 Abs. 2 ZPO vere­in­baren, da dieser Rechts­be­helf ein­er endgülti­gen und dauer­haften Regelung eines zivil­rechtlichen Ver­hält­niss­es ent­ge­gen­ste­ht (…). Das Gericht kann in diesen Ver­fahren nicht auf den Anerken­nungsentscheid zurück­kom­men bzw. diesen als Vor­frage nochmals umfassend über­prüfen. Die Bindungswirkung des Anerken­nungsentschei­des ste­ht der Anwen­dung von Art. 256 Abs. 2 ZPO entgegen.»

Das Bun­des­gericht präzisierte, dass der Anspruch auf Wahrung des rechtlichen Gehörs in diesem Fall durch die Pub­lika­tion des Entschei­ds mit dem Hin­weis auf die Beschw­erdemöglichkeit erfüllt wäre (E. 3.4.4):

«Eine zusät­zliche Gele­gen­heit zur nachträglichen Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs zugun­sten betrof­fen­er Per­so­n­en im Gefäss von Art. 256 Abs. 2 ZPO kann die Vorin­stanz auch nicht damit recht­fer­ti­gen, dass dies in Angele­gen­heit­en der frei­willi­gen Gerichts­barkeit nicht untyp­isch sei und dabei als Beispiel auf die Möglichkeit der Ein­sprache gegen gerichtliche Ver­bote ver­weist. Eine dop­pelte Möglichkeit, sich im Anerken­nungsver­fahren Gehör zu ver­schaf­fen, lässt sich nicht mit dem Anspruch nach einem ein­fachen und prak­tik­ablen Ver­fahrens­gang vere­in­baren, der ger­ade der Recht­sprechung hin­sichtlich der nachträglichen Gewährung des Rechtss­chutzes zugrunde liegt (…).»

Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass es im Ergeb­nis nicht mit Bun­desrecht vere­in­bar ist, dass die Vorin­stanz auf den Antrag auf Aufhe­bung des Anerken­nungsentschei­ds des aus­ländis­chen Konkurs­dekrets gestützt auf Art. 256 Abs. 2 ZPO einge­treten ist (E. 3.5). Hin­sichtlich des Revi­sion­s­ge­suchs, das die Gläu­bigerin vor dem Bezirks­gericht nach Art. 328 Abs. 1 ZPO ein­gere­icht hat, wies das Bun­des­gericht die Sache man­gels Tat­sachen­fun­da­ments zur Neuentschei­dung an die Vorin­stanz zurück, um zu prüfen, ob und welche für den Aus­gang des Anerken­nungsver­fahren erhe­blichen Beweis­mit­tel die Beschw­erdegeg­ner­in zur Revi­sion ermächti­gen, wobei zu berück­sichti­gen ist, dass im Ver­gle­ich zum Rechts­be­helf von Art. 256 Abs. 2 ZPO im Revi­sionsver­fahren keine unbeschränk­te Rechts- und Tat­sachenüber­prü­fung vorzunehmen ist (E. 4.2).