BGE 149 III 345 (BGer 5A_961/2022 vom 11. Mai 2023): Kreis der Berechtigten am Liquidationsüberschuss einer Erbschaft

In diesem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid klärt das Bun­des­gericht die bish­er in der Lit­er­atur umstrit­tene Frage, wer zum Kreis der «Berechtigten» i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB gehört, wenn alle einge­set­zten und geset­zlichen Erben die Erb­schaft auss­chla­gen, die anschliessende konkur­samtliche Liq­ui­da­tion der Erb­schaft aber in einem Über­schuss resul­tiert. Das Bun­des­gericht stellt klar, dass sämtliche auss­chla­gen­den Erben – d.h. nicht nur die geset­zlichen, son­dern auch die einge­set­zten Erben – zum Kreis der «Berechtigten» i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB gehören. Dies bedeutet im vor­liegen­den Fall, dass der Über­schuss dem tes­ta­men­tarisch einge­set­zten Alleiner­ben zu über­lassen ist und nicht an die (nicht pflicht­teils­geschützten) geset­zlichen Erben geht.


Sachver­halt 

Im vor­liegen­den Fall hin­ter­liess der Erblass­er einen Brud­er, eine Schwest­er, eine Halb­schwest­er sowie einen Nef­fen, welchen er tes­ta­men­tarisch als Alleiner­ben ein­set­zte. Der Neffe schlug die Erb­schaft aus, woraufhin auch sämtliche geset­zlichen Erben – d.h. die bei­den Geschwis­ter und die Halb­schwest­er – die Erb­schaft auss­chlu­gen (Art. 566 Abs. 1 ZGB, siehe Art. 572 Abs. 2 ZGB). Entsprechend gelangte die Erb­schaft zur Liq­ui­da­tion durch das Konkur­samt (Art. 573 Abs. 1 ZGB), welche in einem Über­schuss von rund CHF 80’000.00 resultierte.

Die erste Instanz teilte den Über­schuss unter den geset­zlichen Erben auf, unter Auss­chluss des Nef­fen. Die zweite Instanz schützte diese Auf­fas­sung. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde des Nef­fen gut, hob das Urteil der Vorin­stanz auf und entsch­ied in der Sache insofern neu, als dass der Neffe der einzige Berechtigte betr­e­f­fend den Liq­ui­da­tion­süber­schuss sei.


Erwä­gun­gen des Bundesgerichts

Art. 573 Abs. 2 ZGB lautet fol­gen­der­massen: «Ergibt sich in der Liq­ui­da­tion nach Deck­ung der Schulden ein Über­schuss, so wird dieser den Berechtigten über­lassen, wie wenn keine Auss­chla­gung stattge­fun­den hätte

Das Bun­des­gericht ruft zunächst die Grund­sätze der Auss­chla­gung der Erb­schaft (Art. 566 ff. ZGB) sowie der Liq­ui­da­tion durch das Konkur­samt (Art. 573 ZGB) in Erin­nerung (E. 5.1.). Es stellt unter Ver­weis auf die bun­des­gerichtliche Recht­sprechung fest, dass der Anspruch auf Über­las­sung des Liq­ui­da­tion­süber­schuss­es oblig­a­tio­nen­rechtlich­er und nicht erbrechtlich­er Natur sei. Ins­beson­dere bewirke Art. 573 Abs. 2 ZGB nicht, dass die Berechtigten, welche ihre Erben­stel­lung durch die Auss­chla­gung ver­loren haben, diese bei Anwen­dung von Art. 573 Abs. 2 ZGB wieder­erlan­gen wür­den (E. 5.2.1).

Sodann set­zt sich das Bun­des­gericht mit den ver­schiede­nen Lehrmei­n­un­gen betr­e­f­fend den Kreis der Berechtigten i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB auseinan­der. Es fol­gt der in der Lehre vertrete­nen Min­der­mei­n­ung (ins­bes. vertreten durch Piotet, Häuptli) und stellt fest, dass der klare Wort­laut von Art. 573 Abs. 2 ZGB die Ver­mu­tung auf­stelle, dass die Auss­chla­gung auf­grund eines Irrtums unwirk­sam sei, sofern die konkur­samtliche Liq­ui­da­tion der Erb­schaft in einem Über­schuss resul­tiere. Damit bestätigt es die z.T. in der Lehre vertretene Ansicht, dass der Grund für die Auss­chla­gung regelmäs­sig in der befürchteten Über­schul­dung liege (E. 5.4.; siehe Häuptli, in: Abt/Weibel (Hrsg.), PraxKomm Erbrecht, 5. Aufl. 2023, Art. 573 N 12).

Überdies stellt das Bun­des­gericht fest, dass es mit dem Prinzip des favor tes­ta­men­ti nicht vere­in­bar sei, den Liq­ui­da­tion­süber­schuss unter den geset­zlichen Erben aufzuteilen, wenn der Erblass­er tes­ta­men­tarisch einen Erben einge­set­zt habe. Da der Erblass­er den Nef­fen als Alleiner­ben einge­set­zt habe, unter Auss­chluss der nicht pflicht­teils­berechtigten geset­zlichen Erben, falle der gesamte Liq­ui­da­tion­süber­schuss dem Nef­fen zu. Vor­liegend wurde das Tes­ta­ment nicht ange­focht­en bzw. dessen Gültigkeit nicht in Frage gestellt, weshalb die geset­zlichen Erben gemäss BGer im Moment der Auss­chla­gung ohne­hin keine gesicherten erbrechtlichen Ansprüche gehabt hät­ten (E. 5.4).


Faz­it

Zusam­men­fassend ist im Sinne ein­er Aus­gangslage der Kreis der Berechtigten i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB mit dem Kreis der Auss­chla­gen­den (geset­zlichen oder einge­set­zten Erben) iden­tisch (vgl. den Wort­laut von Art. 573 Abs. 2 ZGB: “wie wenn keine Auss­chla­gung stattge­fun­den hätte”.) Verbleibt nach der konkur­samtlichen Liq­ui­da­tion ein Über­schuss, ist bei der Verteilung des­sel­ben grund­sät­zlich die gewil­lkürte Erb­folge zu beacht­en, soweit der Erblass­er eine Ver­fü­gung von Todes wegen errichtet hat.