In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid klärt das Bundesgericht die bisher in der Literatur umstrittene Frage, wer zum Kreis der «Berechtigten» i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB gehört, wenn alle eingesetzten und gesetzlichen Erben die Erbschaft ausschlagen, die anschliessende konkursamtliche Liquidation der Erbschaft aber in einem Überschuss resultiert. Das Bundesgericht stellt klar, dass sämtliche ausschlagenden Erben – d.h. nicht nur die gesetzlichen, sondern auch die eingesetzten Erben – zum Kreis der «Berechtigten» i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB gehören. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass der Überschuss dem testamentarisch eingesetzten Alleinerben zu überlassen ist und nicht an die (nicht pflichtteilsgeschützten) gesetzlichen Erben geht.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall hinterliess der Erblasser einen Bruder, eine Schwester, eine Halbschwester sowie einen Neffen, welchen er testamentarisch als Alleinerben einsetzte. Der Neffe schlug die Erbschaft aus, woraufhin auch sämtliche gesetzlichen Erben – d.h. die beiden Geschwister und die Halbschwester – die Erbschaft ausschlugen (Art. 566 Abs. 1 ZGB, siehe Art. 572 Abs. 2 ZGB). Entsprechend gelangte die Erbschaft zur Liquidation durch das Konkursamt (Art. 573 Abs. 1 ZGB), welche in einem Überschuss von rund CHF 80’000.00 resultierte.
Die erste Instanz teilte den Überschuss unter den gesetzlichen Erben auf, unter Ausschluss des Neffen. Die zweite Instanz schützte diese Auffassung. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Neffen gut, hob das Urteil der Vorinstanz auf und entschied in der Sache insofern neu, als dass der Neffe der einzige Berechtigte betreffend den Liquidationsüberschuss sei.
Erwägungen des Bundesgerichts
Art. 573 Abs. 2 ZGB lautet folgendermassen: «Ergibt sich in der Liquidation nach Deckung der Schulden ein Überschuss, so wird dieser den Berechtigten überlassen, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte.»
Das Bundesgericht ruft zunächst die Grundsätze der Ausschlagung der Erbschaft (Art. 566 ff. ZGB) sowie der Liquidation durch das Konkursamt (Art. 573 ZGB) in Erinnerung (E. 5.1.). Es stellt unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung fest, dass der Anspruch auf Überlassung des Liquidationsüberschusses obligationenrechtlicher und nicht erbrechtlicher Natur sei. Insbesondere bewirke Art. 573 Abs. 2 ZGB nicht, dass die Berechtigten, welche ihre Erbenstellung durch die Ausschlagung verloren haben, diese bei Anwendung von Art. 573 Abs. 2 ZGB wiedererlangen würden (E. 5.2.1).
Sodann setzt sich das Bundesgericht mit den verschiedenen Lehrmeinungen betreffend den Kreis der Berechtigten i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB auseinander. Es folgt der in der Lehre vertretenen Mindermeinung (insbes. vertreten durch Piotet, Häuptli) und stellt fest, dass der klare Wortlaut von Art. 573 Abs. 2 ZGB die Vermutung aufstelle, dass die Ausschlagung aufgrund eines Irrtums unwirksam sei, sofern die konkursamtliche Liquidation der Erbschaft in einem Überschuss resultiere. Damit bestätigt es die z.T. in der Lehre vertretene Ansicht, dass der Grund für die Ausschlagung regelmässig in der befürchteten Überschuldung liege (E. 5.4.; siehe Häuptli, in: Abt/Weibel (Hrsg.), PraxKomm Erbrecht, 5. Aufl. 2023, Art. 573 N 12).
Überdies stellt das Bundesgericht fest, dass es mit dem Prinzip des favor testamenti nicht vereinbar sei, den Liquidationsüberschuss unter den gesetzlichen Erben aufzuteilen, wenn der Erblasser testamentarisch einen Erben eingesetzt habe. Da der Erblasser den Neffen als Alleinerben eingesetzt habe, unter Ausschluss der nicht pflichtteilsberechtigten gesetzlichen Erben, falle der gesamte Liquidationsüberschuss dem Neffen zu. Vorliegend wurde das Testament nicht angefochten bzw. dessen Gültigkeit nicht in Frage gestellt, weshalb die gesetzlichen Erben gemäss BGer im Moment der Ausschlagung ohnehin keine gesicherten erbrechtlichen Ansprüche gehabt hätten (E. 5.4).
Fazit
Zusammenfassend ist im Sinne einer Ausgangslage der Kreis der Berechtigten i.S.v. Art. 573 Abs. 2 ZGB mit dem Kreis der Ausschlagenden (gesetzlichen oder eingesetzten Erben) identisch (vgl. den Wortlaut von Art. 573 Abs. 2 ZGB: “wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte”.) Verbleibt nach der konkursamtlichen Liquidation ein Überschuss, ist bei der Verteilung desselben grundsätzlich die gewillkürte Erbfolge zu beachten, soweit der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen errichtet hat.