4A_263/2023 – Miete, vereinfachtes Verfahren, Zuständigkeit des Handelsgerichts (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht entsch­ied in diesem Urteil, dass das vere­in­fachte Ver­fahren nicht gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO stre­itwer­tun­ab­hängig auf Kla­gen anwend­bar sei, mit denen nach Beendi­gung des Mietver­hält­niss­es und ausser­halb eines Ver­fahrens um Hin­ter­legung von Miet- und Pachtzin­sen, Schutz vor miss­bräuch­lichen Miet- und Pachtzin­sen, Anfech­tung der Kündi­gung oder Erstreck­ung des Miet- oder Pachtver­hält­niss­es finanzielle Forderun­gen gel­tend gemacht wer­den. Dies gilt gemäss Bun­des­gericht ungeachtet davon, ob im Rah­men der Behand­lung der Klage­begehren vor­frageweise zu beurteilen sei, wann und in welch­er Form das Mietver­hält­nis geen­det habe.

Dieses Ver­fahren ste­ht im Zusam­men­hang mit dem medi­al viel beachteten Stre­it zwis­chen der Manor AG als Mieterin und deren ehe­ma­liger Ver­mi­eterin, der Oscar Weber AG. Die Ver­mi­eterin machte vor Han­dels­gericht Zürich gel­tend, die Mieterin schule ihr einen Betrag von rund CHF 45 Mio., entsprechend der Dif­ferenz zwis­chen dem von der Mieterin seit dem Aus­laufen des ursprünglichen Mietver­hält­niss­es ab 1. Feb­ru­ar 2014 bis zum Auszug der Mieterin am 20. Feb­ru­ar 2020 bezahlten Miet­zins und dem mark­tüblichen Ent­gelt für die Verkaufsfläche.

Nach­dem die Mieterin den Antrag stellte, auf die Klage sei nicht einzutreten, da ein­er­seits das Han­dels­gericht für die Beurteilung der Klage sach­lich nicht zuständig sei und ander­er­seits eine abgeurteilte Sache vor­liege, da die Ver­mi­eterin die Anpas­sung des Miet­zins­es bere­its im mit­tler­weile abgeschriebe­nen Erstreck­ungsver­fahren ver­langt hat­te, trat das Han­dels­gericht zunächst auf die Klage nicht ein, da eine abgeurteilte Sache vor­liege. Das Bun­des­gericht ob auf Beschw­erde hin dieses Urteil auf (4A_197/2022) und wies die Sache zur weit­eren Behand­lung an das Han­dels­gericht zurück.

Daraufhin trat das Han­dels­gericht auf die Klage man­gels sach­lich­er Zuständigkeit nicht ein. Zur Begrün­dung führte es zusam­menge­fasst aus, dass die Klage unter die Bes­tim­mungen des vere­in­facht­en Ver­fahrens (Art. 243 ZPO) fall­en würde. Die Begriffe der «Erstreck­ung», des «Kündi­gungss­chutzes» sowie der «Hin­ter­legung von Miet­zin­sen» gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO seien weit zu ver­ste­hen, damit die Norm ihre angestrebte Schutz­funk­tion erfüllen könne und es nicht zu unnöti­gen sowie imprak­tik­ablen Auf­s­pal­tun­gen von Ver­fahren und Ver­fahrens­grund­sätzen komme. Der blosse Umstand, dass die Ver­mi­eterin ihre Forderung nicht im Erstreck­ungsver­fahren gel­tend gemacht habe, son­dern nun nachge­lagert in einem sep­a­rat­en Forderung­sprozess, könne nicht dazu führen, dass eine andere Ver­fahren­sart anzuwen­den sei. Die Frage, welche finanziellen Kon­se­quen­zen eine Erstreck­ung für die Miet­parteien habe, sei sodann eine zen­trale Frage des Erstreck­ungsrechts und damit des sozialen Mieter­schutzes, ohne die das Insti­tut der Erstreck­ung seines Sinns und Zwecks entleert würde (E. 2.4). Die Beschw­erde gegen diesen Beschluss bildete Gegen­stand des Urteils 4A_263/2023.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an seine im Zusam­men­hang mit dem Gel­tungs­bere­ich des vere­in­facht­en Ver­fahrens (Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO) ergan­gene Recht­sprechung (E. 2.2) und wies auf die in der Lehre erfol­gten Reak­tio­nen hin (E. 2.3).

Gestützt darauf erachtete das Bun­des­gericht die Beschw­erde als begrün­det. Es erwog, dass die Fälle, in denen die weite Ausle­gung des Begriffs des Kündi­gungss­chutzes gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO vertreten wurde, aus­nahm­s­los Ver­fahren betrof­fen hätte, in denen die Klage­begehren — direkt oder indi­rekt — auf die Frage abgezielt hät­ten, ob und gegebe­nen­falls bis wann ein beste­hen­des Mietver­hält­nis gelte bzw. wann es früh­estens ende. Vor­liegend gehe es allerd­ings nicht mehr darum, bis wann das Mietver­hält­nis dauere, da die Mieterin das Mieto­b­jekt längt ver­lassen hätte. Die Ver­mi­eterin hätte erst mehr als ein Jahr nach der Rück­gabe des Mieto­b­jek­ts vor dem Han­dels­gericht eine Klage gegen die Mieterin ein­gere­icht, mit der sie eine finanzielle Forderung gel­tend mache. Dieser Anspruch betr­e­ffe nicht den Kündi­gungss­chutz bzw. die Erstreck­ung im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO gemäss der dargestell­ten Recht­sprechung. Vielmehr fehle es regelmäs­sig an dem für den Bere­ich des Kündi­gungss­chutzes typ­is­chen Macht­ge­fälle zwis­chen den Ver­tragsparteien und an der zeitlichen Dringlichkeit der richter­lichen Beurteilung, falls auss­chliesslich finanzielle Ansprüche aus einem schon been­de­ten Mietver­hält­nis zu beurteilen seien, welche die (stre­itwer­tun­ab­hängige) Anwend­barkeit des — raschen und laien­fre­undlichen — vere­in­facht­en Ver­fahrens erforder­lich machen wür­den. Es sei sodann, so das Bun­des­gericht weit­er, unprak­tik­a­bel, in welchem Ver­hält­nis diese Forderun­gen zur Beendi­gung des Mietver­hält­niss­es ste­hen würde, da dies zur Folge hätte, dass bere­its im Rah­men der Bes­tim­mung der Zuständigkeit und der Ver­fahren­sart über Fra­gen zu befind­en wäre, die kaum von der Beurteilung in der Sache getren­nt wer­den kön­nten. So hätte das Han­dels­gericht erwogen, dass es sich «um eine Stre­it­igkeit über die finanziellen Kon­se­quen­zen ein­er Erstreck­ung» han­dle und dass jeden­falls «ein enger Zusam­men­hang zwis­chen dem vor­liegen­den Stre­it­ge­gen­stand und dem Erstreck­ungsver­fahren» beste­he. Ob dies zutr­e­ffe — was die Ver­mi­eterin bestre­ite -, sei nicht auf der Zuständigkeit­sebene (respek­tive bei der Prü­fung der anwend­baren Ver­fahren­sart) zu beurteilen, son­dern — soweit erforder­lich — im Rah­men der materiellen Anspruch­sprü­fung. Eben­so sei in diesem Rah­men zu prüfen, ob auf den stre­it­ge­gen­ständlichen Anspruch Art. 272c OR zur Anwen­dung gelange und ob der Rück­zug im Erstreck­ungsver­fahren Bindungswirkung zeit­ige (E. 2.5).

Gestützt auf diese Erwä­gun­gen kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass das Han­dels­gericht für die Beurteilung der Klage sach­lich zuständig ist und wies die Sache zur weit­eren Behand­lung zurück.