Hintergrund dieses Urteils bildete ein Ausstandsgesuch einer Klägerin gegen den leitenden Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Winterthur, der als (nebenamtlicher) Ersatzrichter und Referent sämtliche Verfügungen in einem Gerichtsverfahren vor diesem Bezirksgericht erlassen hatte. Die Klägerin verwies dabei auf die kürzlich ergangenen Urteile 1B_420/2022 und 1B_519/2022, in welchen das Bundesgericht erwogen hatte, dass die Einsetzung eines Gerichtsschreibers oder einer Gerichtsschreiberin der entscheidenden Kammer des Obergerichts des Kantons Zürich als Ersatzoberrichter bzw. Ersatzoberrichterin in eben dieser Kammer nicht mit dem Anspruch auf ein unabhängiges Gericht zu vereinbaren sei.
Das Bezirksgericht Winterthur wies das Ausstandsgesuch ab. Gegen diesen Beschluss erhob die Klägerin erfolglos Beschwerde an das Obergericht.
Vor Bundesgericht drang die Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht durch.
Zunächst erinnerte das Bundesgericht an die Rechtsgrundlagen im Zusammenhang mit Ausstandsgesuchen und wies insbesondere darauf hin, dass das Bundesgericht offen gelassen hätte, ob ein unverzügliches Geltendmachung auch mehr als 10 Tage bedeuten könne. Allerdings seien in der Vergangenheit Ausstandssgesuche nach 24 Tagen respektive 40 Tagen als verspätet beurteilt worden (E. 2, insbesondere E. 2.4).
Hinsichtlich der verspäteten Geltendmachung stellte sich die Klägerin auf den Standpunkt, dass sie bis zu den angerufenen Bundesgerichtsentscheiden 1B_420/2022 und 1B_519/2022 angesichts der jahrzehntelang praktizierten Einsetzung von (Leitenden) Gerichtsschreibern als Ersatzrichter an den betroffenen Zürcher Gerichten davon hätte ausgehen dürfen, dass diese Praxis von den Gerichten nicht als Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit beurteilt werden würde. Sie habe daher erst nach Kenntnisnahme des Bundesgerichtsentscheids vom 1. November 2022 die mögliche Gerichtsbesetzung abgeklärt und in der Folge unverzüglich ein Ausstandsgesuch gestellt (E. 3.2).
Diesen Einwand liess das Bundesgericht nicht gelten. Kenntnis des Ausstandsgrunds erfordere, dass einerseits die Mitwirkung der betroffenen Gerichtsperson und andererseits die Umstände, die deren Befangenheit begründen, bekannt seien. Beides habe bereits nach Erhalt der ersten Instruktionsverfügung vom 14. Mai 2021 vorgelegen. Damit habe die Klägerin gewusst, dass ihre Klage vom Leitenden Gerichtsschreiber als Ersatzrichter instruiert werde und dieser am Entscheid als Referent mitwirke. Auch sei ihr bereits zu jenem Zeitpunkt die personalrechtliche Stellung des Leitenden Gerichtsschreibers bekannt gewesen, aus der sie die Befangenheit ableite. Sie hatte damit volle Kenntnis der massgebenden Umstände, um den Ausstandsgrund geltend zu machen. Daran ändere auch nichts, dass die Klägerin zu jenem Zeitpunkt die konkrete Besetzung des gesamten Spruchkörpers noch nicht gekannt hätte, da sie den Einsatz des Leitenden Gerichtsschreibers als Ersatzrichter in grundsätzlicher Hinsicht bestreite, also selbst wenn er als Einzelrichter in ihrem Fall urteilen würde. Zudem stehe der Leitende Gerichtsschreiber nach Meinung der Beschwerdeführerin zu allen ordentlichen Gerichtsmitgliedern in einem Subordinationsverhältnis. Entsprechend wäre er nach Auffassung der Klägerin bei jeder in Frage kommenden Besetzung befangen. Die Klägerin hätte demnach unverzüglich nach Kenntnisnahme, dass der Leitende Gerichtsschreiber im vorliegenden Verfahren als Ersatzrichter eingesetzt wird, dessen Ausstand verlangen müssen (E. 3.3).
Weiter weist das Bundesgericht darauf hin, dass die rechtliche Beurteilung, die das Gericht vornehme, grundsätzlich nicht als fristauslösendes Moment zu betrachten sei. Allerdings räumt es ein, dass vorliegend eine Besonderheit bestehe, da der Einsatz von Gerichtsschreibern als Ersatzrichter in der gleichen Kammer des Obergerichts sich erst aufgrund der rechtlichen Beurteilung des Bundesgerichts im Präjudiz vom 9. September 2022 als Einbruch in die richterliche Unabhängigkeit herausgestellt hätte, während dies zuvor während vieler Jahre toleriert worden wäre. In dieser speziellen Situation könne sich deshalb, so das Bundesgericht, die Frage stellen, ob die Kenntnisnahme vom Präjudiz vom 9. September 2022 als fristauslösend im Sinne von Art. 49 Abs. 1 ZPO zu betrachten sei. Allerdings sei nicht nachvollziehbar, weshalb erst die Kenntnisnahme vom zweiten Urteil vom 1. November 2022 massgebend sein soll, da die vom Bundesgericht verpönte Situation als solche bereits im ersten Präjudiz als Verstoss gegen die richterliche Unabhängigkeit gewertet worden wäre und im zweiten Urteil lediglich übernommen worden sei. Unabhängig von dieser Frage sei indessen das am 12. Dezember 2022 gestellte Ausstandsgesuch als verspätet zu betrachten (E. 3.4).
Schliesslich wies das Bundesgericht darauf hin, dass die betroffene Gerichtsperson vorliegend nicht von sich aus hätte in den Ausstand treten müssen. Eine solche Pflicht bestehe nur, wenn die Umstände, die den Anschein der Befangenheit bewirken würden, derart offensichtlich wären, dass der Richter von sich aus hätte in den Ausstand treten müssen (E. 4.1). Dies könne vorliegend nicht gesagt werden, zumal den beiden Bundesgerichtsentscheiden zum Beizug von Obergerichtsschreibern als Ersatzoberrichter in der gleichen Kammer bei der Entscheidung von Haftbeschwerden nicht exakt die gleiche Konstellation zugrunde gelegen sei, wie sie vorliegend betreffend die Mitwirkung des Leitenden Gerichtsschreibers am Bezirksgericht Winterthur in einem Zivilprozess beanstandet werde (E. 4.3). Sodann könne der Ausstand immer nur im konkreten Einzelfall verlangt werden. Dies gelte auch, wenn der Ausstandsgrund einzig auf einer gerichtsorganisatorischen Regelung beruhe. In solchen Fällen entfalte das Bundesgerichtsurteil allerdings in dem Sinn Appellwirkung, dass der kantonale Gesetzgeber bzw. die betroffenen Gerichte angesprochen seien, die erforderlichen Abhilfemassnahmen zu treffen, um die Bundesgerichtsrechtsprechung generell umzusetzen. Auch mit Blick auf diese Gegebenheit, dass der vom Bundesgericht beanstandete Anschein der Befangenheit einzig in einer gerichtsorganisatorischen Institution gründe, welcher vorab durch organisationsrechtliche Massnahmen abzuhelfen sei, könne dem Leitenden Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Winterthur nicht zum Vorwurf gereichen, dass er im Nachgang zu den erwähnten Bundesgerichtsurteilen nicht von sich aus im hängigen Zivilprozess in den Ausstand getreten wäre. Offensichtlichkeit im Sinne der zitierten Rechtsprechung könne bei dieser Situation nicht angenommen werden. Damit sei aber, so das Bundesgericht nicht gesagt, dass Entsprechendes auch dann noch gelte, wenn bei Ausbleiben der erforderlichen organisationsrechtlichen Massnahmen die gerügten Doppelfunktionen weiterhin auftreten sollten (E. 4.5).