BGE 150 III 1 (BGer 5A_133/2023 vom 19. Juli 2023): Formungültigkeit einer nicht unterzeichneten, handschriftlichen letztwilligen Verfügung mit Namenszug der Erblasserin auf dem Umschlag

In diesem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, unter welchen Voraus­set­zun­gen eine eigen­händi­ge let­ztwillige Ver­fü­gung trotz fehlen­der Unter­schrift gültig ist.

Die Erblasserin hat­te das Doku­ment in einen Umschlag gelegt, diesen mit dem Begriff «Tes­ta­ment», ihrem Vor- und Nach­na­men in Gross­buch­staben sowie dem Errich­tung­sort beschriftet und gle­ichen­tags dem Erb­schaft­samt zur Auf­be­wahrung übergeben.

Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass diese let­ztwillige Ver­fü­gung for­mungültig sei. Damit bestätigt es die bish­erige strenge bun­des­gerichtliche Rechtsprechung.

1. Sachver­halt und Prozessgeschichte

Die Erblasserin hin­ter­liess eine einzige Schwest­er B als geset­zliche Erbin. In der vor­liegend ange­focht­e­nen, eigen­händi­gen let­ztwilli­gen Ver­fü­gung set­zte sie ihre Cou­sine A als Alleinerbin ein und bes­timmte deren Sohn zum Ersatzer­ben (vgl. Art. 487 ZGB).

Ein­lei­t­end schrieb die Erblasserin: «Mein Tes­ta­ment [:] Ich, [Vor- und Nach­name], geboren […], ver­füge hier­mit über meinen Nach­lass let­ztwillig wie fol­gt: […]»

Die Erblasserin unter­liess es, das Doku­ment am Ende des Textes zu unterze­ich­nen. Sie ver­merk­te lediglich den Ort und das Datum auf dem Doku­ment. Dieses legte sie in einen Umschlag, den sie mit «Tes­ta­ment», ihrem Vor- und Nach­na­men (in Gross­buch­staben) sowie ein­er Ort­sangabe beschriftete. Gle­ichen­tags über­gab sie den Umschlag dem Erb­schaft­samt Basel-Stadt zur Aufbewahrung.

Die Schwest­er B erhob eine Ungültigkeit­sklage und obsiegte vor zweit­er Instanz. Gegen diesen Entscheid gelangte die Cou­sine A vor Bun­des­gericht, welch­es ihre Beschw­erde abwies.

2. Generelle Bemerkun­gen des Bun­des­gerichts zu den For­mvorschriften (E. 3.)

Gemäss Art. 505 Abs. 1 ZGB ist die eigen­händi­ge let­ztwillige Ver­fü­gung vom Erblass­er von Anfang bis zu Ende mit Ein­schluss der Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errich­tung von Hand niederzuschreiben sowie mit sein­er Unter­schrift zu versehen.

Zunächst erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass die For­mvorschriften von Art. 505 Abs. 1 ZGB keinen Selb­stzweck ver­fol­gen. Sie haben eine Warn­funk­tion (Solen­nität­szweck bzw. Übereilungss­chutz), stellen Rechtssicher­heit her und erfüllen eine Bewe­is­funk­tion.

Die Unter­schrift als For­mvorschrift sei das äussere Zeichen, mit welchem der Erblass­er gegenüber Drit­ten zu erken­nen gebe, dass seinem Willen eine rechtliche Bedeu­tung zukom­men solle und dass der Inhalt der Urkunde seinen let­zten Willen wiedergebe. Sie doku­men­tiere zweier­lei: Erstens die Iden­tität des Erblassers und zweit­ens die Vol­len­dung der Ver­fü­gung und ihre Inkraft­set­zung auf den Tod des Erblassers hin (Abschluss- bzw. Rekog­ni­tions­funk­tion).

Weit­er rief das Bun­des­gericht in Erin­nerung, dass die Eigen­händigkeit als For­mvorschrift vor allem die Erk­lärung des Testier­wil­lens des Erblassers (ani­mus tes­tan­di) sicht­bar mache. Überdies sei der Grund­satz des favor tes­ta­men­ti auch auf die Ver­fü­gungs­for­men anzuwen­den, soweit Rechts- und Verkehrssicher­heit dies zuliessen. Dies ändere aber nichts daran, dass ein tat­säch­lich fest­gestell­ter let­zter Wille des Erblassers nicht respek­tiert wer­den müsse, wenn er nicht in den erbrechtlich vorgeschriebe­nen For­men zum Aus­druck gebracht werde.

3. Genügt die ein­lei­t­ende Selb­st­be­nen­nung dem Unter­schrift­ser­forder­nis? (E. 4.)

Das Bun­des­gericht ver­warf die Argu­men­ta­tion der Cou­sine A, wonach die ein­lei­t­ende Selb­st­be­nen­nung unter Berück­sich­ti­gung der weit­eren Umstände (Beschrif­tung und Hin­ter­legung des Umschlags beim Erb­schaft­samt) als Unter­schrift genüge.

Das Bun­des­gericht stellte unter Ver­weis auf die bun­des­gerichtliche Recht­sprechung (ins­bes. BGE 135 III 206 mit rechtsver­gle­ichen­der Analyse) und den über­wiegen­den Teil der Lehre (a.M. ins­bes. BSK ZGB II-Bre­itschmid (2023), Art. 505 N 6) fest, dass die Nen­nung des Vor- und Nach­na­mens am Anfang des Doku­ments die Rekog­ni­tions­funk­tion nicht erfülle. Die Unter­schrift befinde sich i.d.R. am Ende resp. unter dem Text. Ins­beson­dere sei zum Zeit­punkt der Selb­st­be­nen­nung unklar, ob die Erblasserin die Ver­fü­gung tat­säch­lich abschließen werde (E. 4.3). Überdies habe die Vorin­stanz zu Recht erwogen, dass der Ersatz der Unter­schrift durch eine ein­lei­t­ende Selb­st­be­nen­nung nicht verkehrsüblich sei (E. 4.4).

4. Ist das Unter­schrift­ser­forder­nis durch die Beschrif­tung des Umschlags erfüllt? (E. 5.)

Das Bun­des­gericht set­zte sich detail­liert mit der bish­eri­gen bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung (BGE 40 II 190, BGE 51 II 370) sowie diversen in- und aus­ländis­chen Lehrmei­n­un­gen auseinan­der. Dem­nach müsse ein «ein­deutiger Zusam­men­hang» zwis­chen Tes­ta­ment und Umschlag beste­hen, der sich aus dem Inhalt jedes dieser Blät­ter ergebe (siehe BGE 40 II 190, E. 3.: “lien évi­dent”). Äussere Umstände kön­nten zum Beweis dieses Zusam­men­hangs nicht beige­zo­gen wer­den. Eine Unter­schrift auf einem Umschlag qual­i­fiziere nur dann als Unter­schrift i.S.v. Art. 505 Abs. 1 ZGB, wenn der Umschlag als Teil des Tes­ta­ments selb­st erscheine. Dies sei der Fall, wenn das Tes­ta­ment lediglich als Beginn und der Umschlag als dessen Fort­set­zung und Ende ange­se­hen wer­den könne. Entsprechend sei selb­st ein zum Zweck der amtlichen Auf­be­wahrung ver­schlossen­er Umschlag per se kein wesentlich­er Bestandteil der darin enthal­te­nen let­ztwilli­gen Ver­fü­gung (siehe BGE 51 II 370, 372–374).

Vor diesem Hin­ter­grund erwog das Bun­des­gericht, dass die Rekog­ni­tions­funk­tion nur dann erfüllt wer­den könne, wenn die Unter­schrift den Abschluss der let­ztwilli­gen Ver­fü­gung darstelle. Daran ändere auch der Grund­satz des favor tes­ta­men­ti nichts. Die For­mvorschriften dürften nicht ihres Sinnes entleert wer­den, indem die Rekog­ni­tion anders als mit der Unter­schrift, d.h. ins­beson­dere durch die Hin­ter­legung beim Erb­schaft­samt fest­gestellt wer­den kön­nte (E. 5.2.5.).

Die Beschrif­tung des Umschlags stelle zwar einen gewis­sen physis­chen Zusam­men­hang her, der durch das Ver­schliessen des Umschlags noch ver­stärkt werde. Dies genüge für sich allein aber nicht, um den erforder­lichen Zusam­men­hang zwis­chen Namen­szug und dem Inhalt des Umschlags herzustellen (E. 5.3.1.1.). Schliesslich erwog das Bun­des­gericht, dass das Vor­liegen ein­er Unter­schrift bei einem Namen­szug in Gross­buch­staben nicht ver­mutet werde (E. 5.3.1.2.) und auf dem Doku­ment genü­gend Platz für eine Unter­schrift vorhan­den gewe­sen sei (E. 5.3.1.3.). Der Namen­szug auf dem Umschlag erscheine als reine Inhalt­sangabe, um die Auf­be­wahrung des Doku­ments beim Erb­schaft­samt zu erle­ichtern (E. 5.3.1.3.).

5. Faz­it

Mit diesem Entscheid bestätigte das Bun­des­gericht seine bish­erige Recht­sprechung, wonach sich der geforderte Zusam­men­hang zwis­chen ein­er nicht unterze­ich­neten, eigen­händi­gen let­ztwilli­gen Ver­fü­gung und einem unterze­ich­neten Umschlag aus diesen Doku­menten selb­st ergeben müsse, unter Auss­chluss der Berück­sich­ti­gung extern­er Umstände (wie dies von einzel­nen Autoren gefordert wird, siehe E. 5.4). Konkret muss die Auf­schrift auf dem Umschlag eine Fort­set­zung bzw. Teil der let­ztwilli­gen Ver­fü­gung darstellen. Angesichts der stren­gen bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung ist die Unter­schrift bei ein­er eigen­händi­gen let­ztwilli­gen Ver­fü­gung weit­er­hin unbe­d­ingt am Ende des Textes (neben Errich­tungs­da­tum und ‑ort) anzubringen.

6. Kom­men­tar

M.E. wer­fen die Erwä­gun­gen des Bun­des­gerichts einige Fra­gen auf: Ist es nicht eine ger­adezu lebens­fremde Vorstel­lung, dass eine Erblasserin eine let­ztwillige Ver­fü­gung auf einem Blatt Papi­er begin­nt und auf dem Umschlag — anders als durch Beze­ich­nung des Doku­ments mit “Tes­ta­ment” und Unter­schrift — “fort­führt” (vgl. E. 5.2.1.2)? Müsste die Erblasserin auch auf dem Umschlag über ihren Nach­lass ver­fü­gen oder einen in der let­ztwilli­gen Ver­fü­gung ange­fan­genen Satz auf dem Umschlag been­den, um diesem Kri­teri­um zu genü­gen? Die Verkehrsüblichkeit scheint für das Bun­des­gericht dies­bezüglich nicht von Rel­e­vanz zu sein (vgl. E. 4.4).

Wenn eine Selb­st­be­nen­nung am Anfang ein­er let­ztwilli­gen Ver­fü­gung ungenü­gend ist, weil unklar ist, ob diese Ver­fü­gung tat­säch­lich abgeschlossen wird (siehe E. 4.3): Warum stellt dann eine nach der Nieder­schrift erfol­gte Unterze­ich­nung (sowie allfäl­lige Ver­siegelung) des Umschlags keinen “Abschluss” der Ver­fü­gung i.S. der Rekog­ni­tions­funk­tion dar (vgl. E. 5.2.5)? Um in dieser Kon­stel­la­tion eine for­mgültig errichtete let­ztwillige Ver­fü­gung zu erblick­en, müsste man sich nicht ein­mal auf externe Umstände (Hin­ter­legung beim Erb­schaft­samt) stützen, son­dern kön­nte alleine auf die Blät­ter (let­ztwillige Ver­fü­gung und Umschlag) abstellen (E. 5.2.1.1; vgl. BGE 40 II 190, E. 3).