Im Urteil 5A_108/2023 vom 20. September 2023 stellt das Bundesgericht klar, dass die beklagte Partei im Rahmen einer Scheidung auf Klage nicht verpflichtet ist, für ihre unbezifferte güterrechtliche Forderung einen Mindeststreitwert anzugeben.
Zusammenfassung
Dem hier besprochenen Fall liegt die Konstellation zugrunde, dass die Ehefrau als beklagte Partei im Rahmen einer Scheidung auf Klage gegenüber dem klagenden Ehemann eine unbezifferte güterrechtliche Forderung erhob. Jedoch gab sie entgegen Art. 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO keinen Mindeststreitwert dafür an. Der Ehemann machte entsprechend geltend, dass die unbezifferte Forderungsklage unzulässig sei. Mit diesem Vorbringen fand er im kantonalen Instanzenzug kein Gehör und erhob daher Beschwerde an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht erwog zusammengefasst, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 ZPO verlange, dass die klagende Partei, die eine unbezifferte Forderungsklage erhebe, einen Mindestwert für die Forderung angebe. Dieser Mindestwert gelte als vorläufiger Streitwert. Dieses Erfordernis habe mehrere Gründe: Es diene in erste Linie dazu, die sachliche Zuständigkeit des Gerichts und die Verfahrensart festzulegen. Weiter könne es notwendig sein, um den Kostenvorschuss und eine allfällige Sicherheitsleistung festzulegen (E. 5.2.1).
Die güterrechtliche Auseinandersetzung in einem Scheidungsklageverfahren sei eine sog. actio duplex. Die beklagte Partei könne in ihrer Klageantwort eigene Anträge stellen, ohne formell Widerklage erheben zu müssen. Sie sei auch befugt, unter den Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 1 ZPO unbezifferte Anträge zu stellen. Es sei jedoch von der beklagten Partei nicht zu verlangen, dass sie einen Mindestwert als vorläufigen Streitwert angebe. Der Streitwert der güterrechtlichen Forderung der beklagten Partei habe nur eine eingeschränkte Tragweite. Weder die sachliche Zuständigkeit noch die anwendbare Verfahrensart sei von der güterrechtlichen Forderung der beklagten Partei abhängig. Sofern die beklagte Partei zu einem Kostenvorschuss verpflichtet werden könne (was umstritten sei), werde die Höhe des Kostenvorschusses oftmals nicht vom Wert der güterrechtlichen Forderung beeinflusst. Zudem könne sich das Gericht darauf beschränken von der beklagten Partei einen Kostenvorschuss für die Erhebung der von ihr beantragten Beweise zu verlangen. Hinzu komme, dass der Mindestwert der güterrechtlichen Forderung auch für die klagende Partei nicht entscheidend sei, um sich gegen die Forderung zu wehren, und die klagende Partei in der Regel in der Lage sei, das Risiko des von ihr selbst angestrengten Prozesses abzuschätzen. Die Rüge des Ehemannes wird daher als unbegründet abgewiesen (E. 5.2.2 und 5.3).
Kommentar
Es ist zu begrüssen, dass das Bundesgericht in der vorliegenden Konstellation auf den gesetzlich geforderten Mindestwert für die unbezifferte Forderungsklage verzichtet. Es käme überspitztem Formalismus gleich, wegen fehlender Angabe eines Mindestwerts auf eine unbezifferte Forderungsklage nicht einzutreten, wenn dem Mindestwert keine prozessuale Bedeutung zukommt.
Weitergehend ist zu überlegen, ob auch die klagende Partei bei unbezifferten güterrechtlichen Forderungen auf die Angabe eines Mindeststreitwerts verzichten darf. Die Verfahrensart bei Scheidungsklagen ist gesetzlich vorgeschrieben und von der Höhe der güterrechtlichen Forderung unabhängig. Je nach kantonalem Recht, so beispielsweise im Kanton Luzern, hat der Wert der güterrechtlichen Forderung auch keinen Einfluss auf die sachliche oder funktionelle Zuständigkeit und keinen (oder nur einen sehr beschränkten) Einfluss auf die Höhe des Gerichtkostenvorschusses (vgl. § 34 Abs. 2 lit. a i.V.m. § 35 Abs. 1 lit. d des Justizgesetzes des Kantons Luzern [SRL Nr. 260] sowie § 8 Abs. 1 und 2 der Justiz-Kostenverordnung des Kantons Luzern [SRL Nr. 265]). In einer solchen Konstellation ist die Angabe eines Mindestwert auch für die klagende Partei entbehrlich bzw. es wäre überspitzt formalistisch, wegen fehlendem Mindestwert nicht auf die Forderung einzutreten (ebenso Bähler, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], ZPO Schweizerische Zivilprozessordnung Kommentar, 2. Aufl. 2016, N 45 zu Art. 288 ZPO; Dorschner, in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2017, N 9 zu Art.85 ZPO; Stalder, Rechtsbegehren in familienrechtlichen Verfahren, in: FamPra.ch 1/2014, S. 56 f.).
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass das besprochene Urteil weitere lesenswerte Erwägungen enthält. So schneidet das Bundesgericht die Frage an, ob die Einreichung schriftlicher Plädoyers in mündlichen Verhandlungen zulässig ist (E. 6).