6B_821/2021: Verwertung von Beweismitteln aus unzulässiger Beweisausforschung

Im Urteil 6B_821/2021 vom 6. Sep­tem­ber 2023 hat­te das Bun­des­gericht die Frage zu klären, ob es sich bei ein­er Haus­durch­suchung um eine unzuläs­sige Beweisaus­forschung (sog. “fish­ing expe­di­tion”) han­delte, oder ob die ent­deck­ten Videos einen Zufalls­fund darstellten.

Die Polizei hat­te einen Motor­rad­fahrer in fla­granti auf ein­er Raser­fahrt ange­hal­ten und ver­haftet. Die straf­bare Geschwindigkeit­süber­schre­itung hat­te sie mit­tels Laser­mes­sung fest­gestellt. An der darauf fol­gen­den Haus­durch­suchung hat­te die Polizei dann eine GoProKam­era mit SD-Karte beschlagnahmt. Die Kam­era enthielt Videos, die den Vater des ver­hafteten Rasers bei der Bege­hung von diversen, teil­weise gravieren­den, Strassen­verkehrs­de­lik­ten mit einem Motor­rad zeigten.

Bei ein­er Durch­suchung zufäl­lig ent­deck­te Gegen­stände, die mit der abzuk­lären­den Straftat nicht in Zusam­men­hang ste­hen, aber auf eine andere Straftat hin­weisen, wer­den gemäss Art. 243 Abs. 1 StPO sichergestellt. Als Zufalls­funde nach Art. 243 StPO gel­ten die bei der Durch­führung von Zwangs­mass­nah­men all­ge­mein und bei Durch­suchun­gen und Unter­suchun­gen im Beson­deren zufäl­lig ent­deck­ten Beweis­mit­tel, Spuren, Gegen­stände oder Ver­mö­genswerte, die mit der abzuk­lären­den Straftat in keinem direk­ten Zusam­men­hang ste­hen und den ursprünglichen Ver­dacht wed­er erhärten noch wider­legen, aber auf eine weit­ere Straftat hin­weisen. Zufalls­funde kön­nen ohne Ein­schränkun­gen Anlass zur Eröff­nung eines neuen Strafver­fahrens geben und in diesem als Beweis­mit­tel ver­wen­det wer­den, soweit die ursprüngliche Mass­nahme recht­mäs­sig war (E. 1.3.1).

Abzu­gren­zen ist ein Zufalls­fund von ein­er unzuläs­si­gen Beweisaus­forschung. Eine solche beste­ht, wenn ein­er Zwangs­mass­nahme kein genü­gen­der Tatver­dacht zugrunde liegt, son­dern plan­los Beweisauf­nah­men getätigt wer­den. Aus Beweisaus­forschun­gen resul­tierende Ergeb­nisse sind grund­sät­zlich nicht ver­w­ert­bar (E. 1.3.1). Für die Vor­nahme von Durch­suchun­gen sind daher genü­gende tat­säch­liche Anhalt­spunk­te voraus­ge­set­zt, die auf­grund beson­der­er Erken­nt­nisse und Erfahrun­gen den Wahrschein­lichkeitss­chluss erlauben, dass ein Delikt verübt wor­den sein kön­nte (E. 1.3.2).

Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass es sich im konkreten Fall um eine unzuläs­sige Beweisaus­forschung im Sinne ein­er “fish­ing expe­di­tion” han­delte (E. 1.4.2). Es erachtete die Haus­durch­suchung angesichts der bere­its hin­re­ichend doku­men­tierten Straftat wed­er als für die Aufk­lärung der Straftat geeignet noch erforder­lich. Namentlich bestanden im Zeit­punkt der Haus­durch­suchung keine Hin­weise darauf, dass bei der Raser­fahrt Aufze­ich­nungs­geräte ver­wen­det wor­den waren oder eine Direk­tüber­tra­gung stattge­fun­den hat­te. Auch mit anderen Strassen­verkehrs­de­lik­ten kon­nte die Haus­durch­suchung nicht gerecht­fer­tigt wer­den (E. 1.4.2). Im nachträglich schriftlich bestätigten Durch­suchungs­be­fehl liess die Staat­san­waltschaft (einzig) nach “Beweis­mit­teln für mut­masslich weit­ere SVG-Wider­hand­lun­gen des Beschuldigten, namentlich Spe­icher­me­di­en, Kam­eras wie GoPro und der­gle­ichen” suchen (E. 1.4.1). Die Haus­durch­suchung sowie die Beschlagnahme der GoProKam­era und SD-Karte waren somit unzulässig.

Nach Art. 141 Abs. 2 StPO dür­fen Beweise, die Straf­be­hör­den in straf­bar­er Weise oder unter Ver­let­zung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, nicht ver­w­ertet wer­den, es sei denn, ihre Ver­w­er­tung sei zur Aufk­lärung schw­er­er Straftat­en uner­lässlich. Art. 141 Abs. 2 StPO bein­hal­tet eine Inter­essen­ab­wä­gung. Je schw­er­er die zu beurteilende Straftat ist, umso eher über­wiegt das öffentliche Inter­esse an der Wahrheits­find­ung das pri­vate Inter­esse der beschuldigten Per­son daran, dass der fragliche Beweis unver­w­ertet bleibt (E. 1.5.1).

Gestützt auf diese Inter­essen­ab­wä­gung bejahte das Bun­des­gericht die Ver­w­ert­barkeit der unzuläs­sig erlangten Beweis­mit­tel für jene Delik­te, die auf­grund der konkreten Sachver­halt­se­le­mente schwere Straftat­en im Sinne dieser Recht­snorm darstellen. Mithin über­wog dabei das öffentliche Inter­esse an der Aufk­lärung der unter Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. b und c SVG fal­l­en­den Delik­te das pri­vate Inter­esse des Beschw­erde­führers an der Unver­w­ert­barkeit der fraglichen Videoaufze­ich­nun­gen (E. 1.5.3).

Im Ergeb­nis erwies sich die Ver­w­er­tung der Videoauf­nah­men in Bezug auf die mehrfache qual­i­fiziert grobe Ver­let­zung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. b und c SVG, die mehrfache grobe Ver­let­zung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG hin­sichtlich des vorschriftswidri­gen Über­holens und des Fahrens auf der Gegen­fahrbahn an ein­er unüber­sichtlichen Stelle sowie auf das Fahren ohne Berech­ti­gung nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG als zuläs­sig. In Bezug auf die übrige mehrfache grobe Ver­let­zung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG durften die Videoauf­nah­men sowie die daraus erhobe­nen Fol­ge­be­weise allerd­ings nicht herange­zo­gen wer­den (E. 1.6).