In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_169/2023 vom 12. Januar 2024 hatte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die definitive Nachlassstundung über 12 Monate hinaus gemäss Art. 295b Abs. 1 SchKG verlängert werden darf, wenn die Sachwalter keinen Verlängerungsantrag gestellt haben. Das Bundesgericht erwog, dass eine solche Verlängerung ohne Antrag der Sachwalter ausgeschlossen ist.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die A AG (Schuldnerin), mit Sitz im Kanton St. Gallen, ist eine Tochtergesellschaft der D AG, mit Sitz im Kanton Appenzell Ausserhoden. Die Revisionsstelle beider Gesellschaften benachrichtigte am 20. Mai 2021 infolge offensichtlicher Überschuldung das Kreisgericht Wil/SG und das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden. Mit Verfügung vom 10. Juni 2021 übernahm das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden (gestützt auf Art. 4a Abs. 2 SchKG) das Verfahren betreffend die Schuldnerin.
Mit Verfügung vom 12. Juli 2021 stellte das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden die Überschuldung der Schuldnerin fest, setzte den Entscheid über den Konkurs aus und gewährte der Schuldnerin für die Dauer von vier Monaten die provisorische Nachlassstundung. Am 11. November 2021 wurde die definitive Nachlassstundung für die Dauer von sechs Monaten bewilligt; am 11. Mai 2022 wurde die Stundung auf Antrag der Sachwalter um weitere sechs Monate bis 12. November 2022 verlängert.
Mit Schreiben vom 8. November 2022 stellten die definitiven Sachwalter zusammen mit ihrer Berichterstattung den Antrag auf Widerruf der Nachlassstundung und auf Eröffnung des Konkurses. Am 11. November 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Nachlassgericht statt, wobei die Organe der Schuldnerin die Verlängerung der Nachlassstundung verlangten.
Mit Verfügung vom 14. November 2022 widerrief das Kantonsgericht die Nachlassstundung. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass im Fall der Vollstreckbarkeit der Verfügung über die Schuldnerin der Konkurs eröffnet werde, wobei mittels separater Verfügung die dafür erforderlichen weiteren Vorkehrungen (Zeitpunkt der Konkurseröffnung, Publikation usw.) anzuordnen seien.
Die Beschwerde der Schuldnerin wies das Obergericht mit Urteil vom 24. Februar 2023 ab. Das Obergericht hob die Anordnungen der Vorinstanz auf und eröffnete über die A AG mit Wirkung ab 24. Februar 2023, 14 Uhr, den Konkurs.
Dagegen erhob die Schuldnerin mit Eingabe vom 2. März 2023 und Ergänzung vom 29. März 2023 Beschwerde beim Bundesgericht. Mit Präsidialverfügung vom 23. März 2023 wurde der Beschwerde in dem Sinne aufschiebende Wirkung erteilt, als dass die Konkurseröffnung über die Beschwerdeführerin aufgehoben und die Nachlassstundung für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens verlängert wird, wobei die bisherigen Sachwalter eingesetzt bleiben. Mit instruktionsrichterlicher Verfügung vom 10. November 2023 wurde die aufschiebende Wirkung (gemäss Verfügung vom 23. März 2023) für das weitere bundesgerichtliche Verfahren bestätigt.
Mit Entscheid vom 12. Januar 2024 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat, und setzte das Datum der Konkurseröffnung neu auf 12. Januar 2024, 15 Uhr, fest.
Antragsberechtigung für die Verlängerung der definitiven Stundung gemäss Art. 295b Abs. 1 SchKG
Das Bundesgericht stellte zunächst fest, dass es zur Frage der Verlängerung der definitiven Stundung gemäss Art. 295b Abs. 1 SchKG noch nicht Stellung nehmen musste. Nach der kantonalen Rechtsprechung (Genf und Obergericht Bern) kann einzig der Sachwalter gestützt auf Art. 295b SchKG die Verlängerung der definitiven Nachlassstundung verlangen. Bei Fehlen des entsprechenden Antrages des Sachwalters wird die Möglichkeit der Verlängerung der definitiven Nachlassstundung ausgeschlossen und der Konkurs von Amtes wegen eröffnet (E. 3.3.1).
In diesem Zusammenhang erwog das Bundesgericht, dass die kantonale Praxis im Einklang mit der einhelligen Lehrmeinung steht, wonach einzig der Sachwalter – unter Ausschluss des Schuldners und des Gläubigers – zur Verlängerung nach Art. 295b SchKG antragsberechtigt ist (E. 3.3.2).
In der Folge nahm das Bundesgericht eine Auslegung von Art. 295b Abs. 1 SchKG vor und bestätigte im Ergebnis, dass eine Verlängerung der Stundung gemäss Art. 295b Abs. 1 SchKG einen Antrag der Sachwalter voraussetzt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass es sich nicht um eine Lücke handelt, dass der Schuldner und Gläubiger in Art. 295b SchKG nicht aufgeführt werden; dies war auch vor der Revision des Sanierungsrechts im Jahre 2013 der Fall (E. 3.4.1–3.5.2).
Unterschied zwischen Art. 293a Abs. 1, Art. 294 und Art. 295b SchKG
Ferner verneinte das Bundesgericht eine planwidrige Unvollständigkeit in Art. 295b SchKG im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen zur Regelung der Stundungsdauer. Es rief in Erinnerung, dass sich die Verlängerung der provisorischen Stundung von derjenigen der definitiven Stundung unterscheidet:
Im Unterschied zur definitiven Stundung kann die provisorische Stundung, die lediglich der Vorbereitung des Entscheides über die definitive Stundung bzw. der Klärung der Frage dient, ob überhaupt Aussicht auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrages besteht (Art. 294 Abs. 1 SchKG), “auf Antrag” (Art. 293a Abs. 1 SchKG) bis auf vier Monate, “auf Antrag des Sachwalters oder, wenn kein solcher eingesetzt worden ist, des Schuldners” weiter um vier Monate verlängert werden (Art. 293a Abs. 2 SchKG) (E. 3.6.1).
Die definitive Stundung wird vom Nachlassgericht für die begrenzte Dauer von vier bis sechs Monaten bewilligt (Art. 294 Abs. 1 SchKG) (E. 3.6.2):
- Wenn das Nachlassgericht eine definitive Stundung von weniger als sechs Monaten bewilligt hat und sich dies als nicht ausreichend erweist, so richtet sich das Verfahren nach 294 SchKG. Ist die Dauer der definitiven Stundung von sechs Monaten noch nicht ausgeschöpft, so können Antragssteller zur Verlängerung der Schuldner und gegebenenfalls der Gläubiger sein; der Sachwalter muss den Antrag nicht selber stellen. Während dieses Zeitraums geht es primär um die Korrektur des Entscheides des Nachlassgerichts nach Art. 294 SchKG über die erstmalige definitive Stundungsdauer, die mit dem Zeitdruck von sechs Monaten verbunden ist.
- Wenn eine definitive Stundung über sechs bzw. zwölf Monate hinaus dauern soll, kommt Art. 295b SchKG zur Anwendung. Ein Antrag des Sachwalters zur Verlängerung der definitiven Stundung ist insofern erforderlich, weil sich der gewollte Zeitdruck, den das Gesetz mit der Begrenzung auf sechs Monate festgelegt hat, als unwirksam erwiesen hat.
Keine Verlängerung ohne Antrag trotz Offizial- und Untersuchungsmaxime
Schliesslich bestätigte das Bundesgericht, dass die Verlängerung gemäss Art. 295b Abs. 1 SchKG nur auf Antrag der Sachwalter mit den verfahrensrechtlichen Grundsätzen übereinstimmt. Es trifft zwar zu, dass das gerichtliche Nachlassverfahren als Verfahren bezeichnet wird, welches weitgehend der Offizialmaxime unterliegt. Diverse Bestimmungen sehen ausdrücklich Anordnungen des Nachlassgerichts “von Amtes wegen” vor, d.h. auch ohne Antrag (Art. 293a Abs. 1 und 3 SchKG; Art. 294 Abs. 1 und Abs. 3 SchKG). Das Gesetz macht allerding bestimmte Entscheide des Nachlassgerichts von einem Antrag abhängig, insbesondere wenn es um die Verlängerung der (provisorischen bzw. definitiven) Stundung geht (Art. 293a Abs. 1 SchKG; Art. 293a Abs. 2 SchKG; Art. 295b Abs. 1 SchKG) (E. 3.7.1).
Frage nach den Wirkungen des nicht rechtzeitig gestellten Antrags implizit offen gelassen
Das Bundesgericht liess die Frage implizit offen, ob ein nicht rechtzeitig (vor Ablauf der Stundungsdauer) gestellter Antrag zu den gleichen Wirkungen wie ein fehlender Antrag der Sachwalter führt (E. 4).
Neue Ansetzung des Zeitpunkts der Konkurseröffnung
Aus diesen Gründen wies das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Da der Beschwerde an das Bundesgericht die aufschiebende Wirkung erteilt wurde, hatte das Bundesgericht den Zeitpunkt der Konkurseröffnung neu festzusetzen (E. 5).