Im Urteil 7B_13/2021 vom 5. Februar 2024 entschied das Bundesgericht über die Beschwerde eines Landwirts gegen seine Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung,
Betäubungsmitteldelikten und weiterer Straftaten. Die Vorinstanz hatte den Beschwerdeführer zu 46 Monaten Freiheitsstrafe, einer Geldstrafe und einer Busse verurteilt.
Eine Personengruppe war auf den Hof des Landwirts eingedrungen, wo dieser Hanf anbaute. Der Landwirt versuchte mit Helfern die Eindringlinge zu vertreiben. Einen der Flüchtenden brachte er zu Fall, fesselte ihn und sperrte ihn in den Keller. Als seine Komplizen versuchten, ihren Kollegen zu befreien, lud der Landwirt seine Schusswaffe mit Hasenschrotpatronen. Eine Person stach ihm in der Folge mit einer Mistgabel in die Hand. Als die Eindringlinge die Waffe bemerkten, ergriffen sie die Flucht. Daraufhin gab der Hanfbauer unvermittelt und unkontrolliert einen Schuss auf die Personengruppe ab.
Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren (Art. 15 StGB; “rechtfertigende Notwehr”). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Angriff bereits vorbei oder noch nicht zu erwarten ist (E. 3.3.1).
Ein Fall von Putativnotwehr liegt vor, wenn der Täter einem Sachverhaltsirrtum unterliegt, indem er irrtümlich annimmt, es sei ein rechtswidriger Angriff im Sinne von Art. 15 StGB gegenwärtig oder unmittelbar bevorstehend. Handelt der Täter in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, so beurteilt das Gericht die Tat zugunsten des Täters nach dem Sachverhalt, den sich dieser vorgestellt hat (Art. 13 Abs. 1 StGB) (E. 3.3.2).
Art. 16 StGB regelt die “entschuldbare Notwehr”: Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe (Abs. 1). Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft (Abs. 2).
Die Abwehr in einer Notwehrlage muss nach der Gesamtheit der Umstände verhältnismässig erscheinen. Eine Rolle spielen insbesondere die Schwere des Angriffs, die durch den Angriff und die Abwehr bedrohten Rechtsgüter, die Art des Abwehrmittels und dessen tatsächliche Verwendung. Die Angemessenheit der Abwehr ist anhand jener Situation zu beurteilen, in der sich der rechtswidrig Angegriffene im Zeitpunkt seiner Tat befand. Angemessen ist die Abwehr, wenn der Angriff nicht mit weniger gefährlichen und zumutbaren Mitteln hätte abgewendet werden können, der Täter womöglich gewarnt worden ist und der Abwehrende vor der Benutzung des gefährlichen Werkzeugs das Nötige zur Vermeidung einer übermässigen Schädigung vorgekehrt hat. Auch ist eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter unerlässlich. Doch muss deren Ergebnis für den Angegriffenen, der erfahrungsgemäss rasch handeln muss, mühelos erkennbar sein. Der unvermittelte Gebrauch einer Schusswaffen kann grundsätzlich nur das letzte Verteidigungsmittel sein (E. 3.3.3).
Im konkreten Fall hatte das Eindringen auf den Hof des Landwirts dessen Hausrecht verletzt. Dies stellte für sich allein noch keine Gefahr für Leib und Leben dar. Eine Gefahr bestand zwar beim späteren Angriff mit der Mistgabel – jedoch nicht mehr bei der darauffolgenden Schussabgabe. Die Eindringlinge hatten sich zuvor bereits entfernt und Deckung gesucht. Mit der unvermittelten und unkontrollierten Schussabgabe auf die nur wenige Meter entfernten Personen überschritt der Landwirt sein Recht auf Notwehr erheblich (E. 3.4.2). Zwar war er im fraglichen Zeitpunkt noch emotional aufgewühlt. Die beim Mistgabel-Angriff bestehende Notwehrlage war jedoch bereits beendet (E. 3.5.3). Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Landwirts daher ab (E. 6).