7B_155/2024: Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr (amtl. Publ.)

Im 7B_155/2024 vom 5. März 2024 beurteilte das Bun­des­gericht die Beschw­erde gegen einen Haft­prü­fungsentscheid. Der Beschw­erde­führer befand sich im Rah­men ein­er Stra­fun­ter­suchung wegen vorsät­zlich­er Tötung und weit­er­er Delik­te in Unter­suchung­shaft. Sein Haf­tent­las­sungs­ge­such hat­te das Zwangs­mass­nah­men­gericht wegen qual­i­fiziert­er Wieder­hol­ungs­ge­fahr bis (läng­stens) zur Anklageer­he­bung abgewiesen, was vom Oberg­ericht bestätigt wurde.

Dem Beschuldigten wird im Wesentlichen vorge­wor­fen, eine Per­son im Ver­lauf ein­er kurzen Diskus­sion mit mehreren Messer­stichen in den Oberkör­p­er sowie am Hals niedergestochen zu haben, woraufhin das Opfer diesen Stichver­let­zun­gen noch vor Ort erlegen sei.

Unter­suchungs- und Sicher­heit­shaft sind aus­nahm­sweise zuläs­sig, wenn: (a.) die beschuldigte Per­son drin­gend verdächtig ist, durch ein Ver­brechen oder ein schw­eres Verge­hen die physis­che, psy­chis­che oder sex­uelle Integrität ein­er Per­son schw­er beein­trächtigt zu haben; und (b.) die ern­sthafte und unmit­tel­bare Gefahr beste­ht, die beschuldigte Per­son werde ein gle­ichar­tiges, schw­eres Ver­brechen verüben (Art. 221 Abs. 1bis StPO).

Art. 221 Abs. 1bis lit. a StPO set­zt zunächst eine unter­suchte qual­i­fizierte Anlas­stat voraus, näm­lich den drin­gen­den Ver­dacht, dass die beschuldigte Per­son durch ein Ver­brechen oder ein schw­eres Verge­hen die physis­che, psy­chis­che oder sex­uelle Integrität ein­er Per­son schw­er beein­trächtigt hat. Diese geset­zliche Voraus­set­zung war im vor­liegen­den Fall unbe­strit­ten. Weit­er ver­langt der Haft­grund der qual­i­fizierten Wieder­hol­ungs­ge­fahr als Prog­noseele­ment die ern­sthafte und unmit­tel­bare Gefahr, dass die beschuldigte Per­son ein gle­ichar­tiges “schw­eres Ver­brechen” verüben werde. Zwar wurde in der bish­eri­gen Bun­des­gericht­sprax­is nicht wörtlich vom Erforder­nis ein­er “ern­sthaften und unmit­tel­baren” Gefahr (von neuen Schw­erver­brechen) gesprochen. Es bestand aber in diesem Sinne schon altrechtlich eine restrik­tive Haft­prax­is, indem das Bun­des­gericht aus­drück­lich betonte, qual­i­fizierte Wieder­hol­ungs­ge­fahr komme nur in Frage, wenn das Risiko von neuen Schw­erver­brechen als “untrag­bar hoch” erschiene. Bei der konkreten Prog­noses­tel­lung wird im Übri­gen weit­er­hin dem Umstand Rech­nung zu tra­gen sein, dass bei qual­i­fiziert­er Wieder­hol­ungs­ge­fahr Schw­erver­brechen dro­hen. Bei ein­fach­er und qual­i­fiziert­er Wieder­hol­ungs­ge­fahr geht die Bun­des­gericht­sprax­is von ein­er sog. “umgekehrten Pro­por­tion­al­ität” aus zwis­chen Delik­tss­chwere und Ein­tretenswahrschein­lichkeit. Bei ern­sthaft dro­hen­den schw­eren Gewaltver­brechen kann auch nach neuem Recht keine sehr hohe Ein­tretenswahrschein­lichkeit ver­langt wer­den. Die richter­liche Prog­nose­beurteilung stützt sich dabei auf die konkreten Umstände des Einzelfalls (E. 3.6.2).

Im vor­liegen­den Fall war eine aus­re­ichend erhe­bliche (ern­sthafte und unmit­tel­bare) Wahrschein­lichkeit für neue schwere Gewaltver­brechen zu beja­hen. Die Vorin­stanz durfte damit namentlich der im psy­chi­a­trischen Gutacht­en fest­gestell­ten “mit­tel­gr­a­di­gen” Rück­fall­ge­fahr, der gutachter­lich diag­nos­tizierten psy­chis­chen Auf­fäl­ligkeit und Unberechen­barkeit des Beschw­erde­führers, der beson­deren (gewal­texzes­siv­en) Bru­tal­ität des von ihm unbe­strit­ten­er­massen verübten Tötungs­de­lik­ts, sein­er auf­fäl­li­gen Vor­liebe für Waf­fen, der von ihm in Inter­net-Chats geäusserten weit­eren Gewalt­bere­itschaft, sein­er Affinität für sadis­tis­che Darstel­lun­gen von bru­taler Gewalt oder auch den dargelegten Anze­ichen für eine mas­sive Sucht­mit­tel­prob­lematik Rech­nung tra­gen (E. 3.6.3). Das Bun­des­gericht bestätigte damit den Haft­grund der qual­i­fizierten Wieder­hol­ungs­ge­fahr, weshalb es die Beschw­erde abwies (E. 3.8).