Zieht ein Ehegatte aus der ehelichen Liegenschaft aus, darf gemäss in BGer-Urteil 5A_934/2023 vom 5. Juni 2024 bestätigter Rechtsprechung nicht leichtfertig angenommen werden, dass die eheliche Liegenschaft ihren Charakter als eheliche Wohnung verliert bzw. der Ehegatte auf die Zuweisung der ehelichen Liegenschaft verzichtet bzw.
Zusammenfassung
Umstritten war im hier besprochenen Fall die Zuweisung des im Miteigentum der Ehegatten stehenden Bauernhauses (400 m²) mit grossem Umschwung (1’600 m2). Diese Liegenschaft wurde vor der Trennung als eheliche Wohnung genutzt, wobei ein Teil der Räume (150 m²) seit über zehn Jahren dem Ehemann und seinen Mitarbeitenden zum Betrieb seiner Unternehmensberatung zur Verfügung standen. Die Vorinstanzen wiesen die Liegenschaft im Rahmen des Eheschutzverfahrens dem Ehemann zu, mit der hauptsächlichen Begründung, dieser ziehe aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit einen grösseren Nutzen aus der Liegenschaft. Dagegen wehrte sich die Ehefrau vor Bundesgericht und brachte unter anderem vor, das Haus habe seinen Charakter als eheliche Wohnung verloren, als der Ehemann vor rund 2 Jahren aus der ehelichen Liegenschaft ausgezogen sei.
Das Bundesgericht erwog, eine Liegenschaft verliere ihren Charakter als eheliche Wohnung lediglich dann, wenn ein Ehegatte sie endgültig verlasse und sich nicht mehr für ihr Schicksal interessiere. Der blosse Umstand, dass ein Ehegatte die eheliche Wohnung verlasse, sei nicht als Verzicht auf die Zuweisung derselben zu werten. Wer den Verlust des ehelichen Charakters einer Liegenschaft behaupte, habe den Beweis dafür zu erbringen. Ein endgültiger Auszug dürfe nur gestützt auf ernsthafte Indizien angenommen werden.
Vorliegend schützte das Bundesgericht die Würdigung der Vorinstanz, wonach die Liegenschaft ihren Charakter als eheliche Wohnung trotz Auszugs des Ehemannes nicht verloren hatte bzw. kein Verzicht auf die Zuweisung vorliege. Dabei berücksichtigte es folgende Umstände:
- Der Ehemann verliess die eheliche Liegenschaft wegen erheblicher familiärer Probleme, welche seine Gesundheit beeinträchtigten.
- Die Raumverhältnisse der neuen Wohnung (3.5‑Zimmer) waren unter Berücksichtigung der ehelichen Verhältnisse und der beruflichen Bedürfnisse des Ehemannes zu knapp, als dass man die neue Wohnung als dauerhafte Lösung ansehen konnte.
- Der Ehemann hatte die Ehefrau nach seinem Auszug mit Nachdruck aufgefordert, die eheliche Liegenschaft zu verlassen, damit er wieder dort einziehen und einen Teil der Räumlichkeiten für seine berufliche Tätigkeit nützen könne.
- Die Ehefrau bestätigte dem Ehemann rund ein Jahr nach dem Auszug, dass sie sich verpflichtet habe, eine neue Wohnung zu suchen.
- Die Parteien hatten in einem nicht unterzeichneten Vereinbarungsentwurf vor Einleitung des Eheschutzverfahrens vorgesehen, dass der Ehemann in die eheliche Liegenschaft zurückziehen und einen Teil des Gebäudes für seine geschäftlichen Tätigkeiten nutzen würde.
Weiter schützte das Bundesgericht die vorinstanzliche Zuweisung der Liegenschaft an den Ehemann und wies die Beschwerde der Ehefrau ab.
Kommentar
Die Stossrichtung des Urteils ist zu begrüssen. An den Verlust des ehelichen Charakters einer Wohnung bzw. an einen Verzicht auf die Zuweisung der ehelichen Wohnung wegen Auszugs eines Ehegattens sind hohe Anforderungen zu stellen. Es wäre dem Rechtsfrieden abträglich, wenn ein Ehegatte in konfliktgeladenen Situationen in der ehelichen Wohnung verbleiben müsste, um den Anspruch auf Zuweisung der ehelichen Wohnung zu wahren. Die hohen Anforderungen an einen Verzicht auf die Zuweisung dienen zudem einem effektiven Schutz gegen häusliche Gewalt. Es erlaubt gewaltbetroffenen Ehegatten, ohne Angst vor Rechtsverlust Zuflucht an einem sicheren Ort zu suchen.