1C_217/2023: Bauvorhaben in einem schutzwürdigen Lebensraum (amtl. Publ.)

Im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid 1C_217/2023 vom 21. Novem­ber 2024 behan­delte das Bun­des­gericht die Voraus­set­zun­gen für die Real­isierung von Bau­vorhaben (vor­liegend einem Fuss- und Wan­der­pro­jekt) in einem schutzwürdi­gen Leben­sraum im Sinne des Natur- und Heimatschutzge­set­zes (NHG).

Voraus­set­zun­gen eines tech­nis­chen Eingriffs 

Das Bun­des­gericht hielt fest, dass die Beein­träch­ti­gung schutzwürdi­ger Leben­sräume durch tech­nis­che Ein­griffe nach Art. 18 Abs. 1ter NHG nur zuläs­sig sei, wenn sich diese unter Abwä­gung aller Inter­essen nicht ver­mei­den liesse. Ein tech­nis­ch­er Ein­griff, der schützenswerte Biotope beein­trächti­gen könne, dürfe nur bewil­ligt wer­den, sofern er stan­dort­ge­bun­den sei und einem über­wiegen­den Bedürf­nis entspreche (Art. 14 Abs. 6 NHV). Ob das Inter­esse an der Real­isierung des Pro­jek­ts im konkreten Fall über­wiege, sei anhand ein­er umfassenden Abwä­gung aller betrof­fe­nen Inter­essen zu prüfen. Erweise sich ein Ein­griff als zuläs­sig, seien nach Art. 18 Abs. 1ter NHG; Art. 14 Abs. 7 NHV best­mögliche Schutz- und Wieder­her­stel­lungs- oder anson­sten angemessene Ersatz­mass­nah­men anzuord­nen (E. 4).

Schutzwürdigkeit des Lebensraums

Das im vor­liegen­den Fall einge­holte Gutacht­en eines Pla­nungs- und Beratungs­büros kam auf­grund des reichen Vogelvorkom­mens im infrageste­hen­den Gebi­et (Tobel zwis­chen Her­rliberg und Meilen ZH) zum Ergeb­nis, dass es sich um ein schutzwürdi­ges Biotop han­dle (E. 5.1). Die Argu­men­ta­tion der Beschw­erde­führer, dass das Gutacht­en schon fünf Jahre als sei und der Brut­nach­weis für ein bes­timmtes Vogel­paar nicht erbracht wor­den sei, stützte das Bun­des­gericht nicht. Es hielt fest, dass es nicht darauf ankomme, ob ein Vorkom­men schützenswert­er oder sel­tener Tier­arten auf der betr­e­f­fend­en Fläche sich­er oder nur sehr wahrschein­lich sei, zumal deren Beobach­tung sehr schwierig sein könne (Urteil 1C_315/2015 vom 24. August 2016; in BGE 142 II 509 nicht pub­lizierte E. 5.4). Vor­liegend sei auf­grund der Beobach­tung eines balzen­den Baum­falken­paares sehr wahrschein­lich, dass dieses in jün­ger­er Zeit im Pro­jek­t­perime­ter gebrütet habe (E. 5.2). Ein schutzwürdi­ger Leben­sraum lag somit vor.

Beein­träch­ti­gung des Leben­sraums und über­wiegende Interessen 

Das Bun­des­gericht gelangte gemein­sam mit dem BAFU zum Ergeb­nis, dass das stre­it­ige Fuss- und Wan­der­pro­jekt diesen schutzwürdi­gen Leben­sraum beein­trächtige (E. 6). Ein über­wiegen­des Inter­esse an der Real­isierung des Vorhabens beste­he ausser­dem nicht: Das infrageste­hende Tobel sei eines der weni­gen, wenn nicht gar das einzige Tobel der Region, das nicht durch einen Fuss- und Wan­der­weg erschlossen sei. Es stelle ein wertvolles Rück­zugs­ge­bi­et für Vögel und Wildtiere in einem von Men­schen inten­siv genutzten Gebi­et dar. Dage­gen erscheine das Inter­esse, noch ein weit­eres Tobel für Erhol­ungssuchende zugänglich zu machen, von unter­ge­ord­neter Bedeu­tung. Das Bau­vorhaben sei daher bun­desrechtswidrig und nicht bewil­li­gungs­fähig (E. 7.3).

Damit erübrigte sich auch die Prü­fung von Schutz‑, Wieder­her­stel­lungs- und Ersatz­mass­nah­men gemäss Art. 18 Abs. 1ter NHG (E. 7.4).

Ver­let­zung der Gemeindeautonomie

Schliesslich werde durch diesen Entscheid die Gemein­deau­tonomie nicht ver­let­zt: Diese werde durch die bun­desrechtlichen Vor­gaben (etwa das NHG) begren­zt. Die Pla­nungsau­tonomie der Gemein­den beste­he nur inner­halb der Gren­zen des über­ge­ord­neten Rechts (E. 8.1).

Entscheid 1C_217/2023 vom 21. Novem­ber 2024