1C_581/2023: Belastende positive Vorwirkung im Baubewilligungsverfahren

Im Entscheid 1C_581/2023 vom 5. Dezem­ber 2024 wid­mete sich das Bun­des­gericht der Vor­wirkung eines aufgelegten Nutzungs­plans (intertem­po­rales Recht). 

Die Gemeinde Bal­sthal erteilte dem Beschw­erde­führer im August 2020 die Bewil­li­gung für den Bau von zwei Mehrfam­i­lien­häusern. Diese waren nach dem im Bewil­li­gungszeit­punkt in Kraft ste­hen­den kom­mu­nalen Bau­re­gle­ment zuläs­sig. Das Bau- und Jus­tizde­parte­ments des Kan­tons Solothurn (BJD) wies eine dage­gen erhobene Ein­sprache ab. Das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Solothurn hiess die Beschw­erde gegen den Entscheid BJD wiederum gut und hob die Baube­wil­li­gung auf. Es begrün­dete seinen Entscheid damit, dass Mehrfam­i­lien­häuser nach dem neuen Bau­re­gle­ment – das zu diesem Zeit­punkt noch nicht in Kraft, aber aufgelegt war – unzuläs­sig seien. Hier­bei stützte sich das Ver­wal­tungs­gericht auf § 15 Abs. 2 PBG/SO. Dieser sieht vor, dass Baube­wil­li­gun­gen ab Beginn der Planau­flage nur noch für Bau­vorhaben erteilt wer­den dür­fen, welche auch dem neuen Plan entsprechen.

Vor Bun­des­gericht war ins­beson­dere stre­it­ig, ob das Ver­wal­tungs­gericht das im Zeit­punkt des Urteils des vom BJD am 6. Jan­u­ar 2023 aufgelegte neue Regle­ment anzuwen­den hat­te, obwohl dieses im Zeit­punkt der Baube­wil­li­gungserteilung durch die Gemeinde am 12. August 2020 noch nicht bekan­nt und im Zeit­punkt des vorin­stan­zlichen Urteils nicht in Kraft war.

Das Bun­des­gericht hielt fest, dass es sich bei der vor­liegen­den Auflage von Nutzungsplä­nen um eine Recht­sän­derung während des Ver­fahrens han­dle. Aus dem Wort­laut von § 15 Abs. 2 PBG/SO ergebe sich nicht ein­deutig, ob diese Bes­tim­mung auch im Rechtsmit­telver­fahren Anwen­dung finde. Sie sei somit auslegungsbedürftig.

Nach der neueren bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung sei die Recht­mäs­sigkeit von Ver­wal­tungsak­ten (man­gels ein­er speziellen über­gangsrechtlichen Regelung) grund­sät­zlich nach der Recht­slage im Zeit­punkt ihres Erge­hens zur beurteilen. Später einge­tretene Recht­sän­derun­gen seien nur aus­nahm­sweise zu berück­sichti­gen, wenn zwin­gende Gründe (d.h. erhe­bliche öffentliche Inter­essen) für die sofor­tige Anwen­dung des neuen Rechts sprächen (141 II 393 E. 2.4 ; 139 II 243 E. 11.1; je mit Hin­weisen). Zwin­gende Gründe für eine sofor­tige Anwen­dung des neuen Rechts habe das Bun­des­gericht ins­beson­dere im Bere­ich des Gewässer‑, Natur‑, Heimat- und Umweltschutzrechts als gegeben erachtet (139 II 243 E. 11.1; 135 II 384 E. 2.3). Vor­liegend bilde § 15 Abs. 2 PBG/SO keine hin­re­ichende Über­gangsregelung, da er nicht aus­drück­lich fes­thalte, dass er auch in Rechtsmit­telver­fahren zur Anwen­dung gelange (E. 4.4.3). Zu diesem Ergeb­nis gelangte auch eine sys­tem­a­tis­che Ausle­gung der Norm (E. 4.5).

Schliesslich sei der Bauab­schlag vor Ver­wal­tungs­gericht mit Blick auf eine kün­ftige Regelung erfol­gt, bevor bekan­nt gewe­sen sei, ob der neue Plan über­haupt gel­tendes Recht werde — was er zumin­d­est im Zeit­punkt des Entschei­ds der Vorin­stanz nicht gewe­sen sei. Dies komme ein­er belas­ten­den pos­i­tiv­en Vor­wirkung gle­ich, welche das Legal­ität­sprinzip ver­let­ze und grund­sät­zlich unzuläs­sig sei, selb­st wenn sie in einem Gesetz vorge­se­hen sei (E. 4.5.3 m.H. a. BGE 136 I 142 E. 3.2; 125 II 278 E. 3c).

Im Ergeb­nis hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde mit dem Ver­wies darauf gut, dass die vorin­stan­zliche Ausle­gung von § 15 Abs. 2 PBG/SO in Wider­spruch zur aktuellen Lehre und Prax­is zu den Grund­sätzen des intertem­po­ralen Rechts stehe.

1C_581/2023