146 I 105: Verwaltungsverordnungen (Kreisschreiben) als Auslegungsmassstab und Vertrauensgrundlage; Praxisänderungen und Gleichbehandlungsgebot (amt. Publ.)

Im vor­liegen­den Entscheid hat­te sich das Bun­des­gericht mit Ver­rech­nungss­teuer-Rück­er­stat­tungsanträ­gen im Kon­text von Secu­ri­ties Lend­ing-Sachver­hal­ten («col­lat­er­alised financ­ing») gestützt auf Art. 10 Abs. 2 lit. a des Dop­pelbesteuerungsabkom­mens zwis­chen der Schweiz und Lux­em­burg (DBA CH-LUX) zu befassen. Die Rück­er­stat­tung war mit der Begrün­dung ver­weigert wor­den, der Antrag­stel­lerin ste­he das erforder­liche Nutzungsrecht an den Wertschriften nicht zu, vielmehr seien ihr die Wertschriften bloss zwecks Sicherung gewährter Dar­lehen weit­ergegeben (geborgt) worden.

Die Beschw­erde­führerin berief sich zunächst auf das Kreiss­chreiben Nr. 13/2006 (KS 13) der ESTV, wonach aus­ländis­chen Borg­ern von Schweiz­er Aktien in Secu­ri­ties Lend­ing-Geschäften die Rück­er­stat­tung der Ver­rech­nungss­teuer zustehe.

Zunächst rief das Bun­des­gericht die Grund­sätze zu Recht­snatur und ‑wirkun­gen von Ver­wal­tungsverord­nun­gen hin­sichtlich des inner­staatlichen Rechts in Erin­nerung. Hin­sichtlich der Ausle­gung völk­er­rechtlich­er Bes­tim­mungen, wie sie das DBA darstellt, sei hinge­gen zweifel­haft, ob Ver­wal­tungsverord­nun­gen der­selbe Stel­len­wert zukomme wie für die Ausle­gung inner­staatlich­er Vorschriften. Das KS 13 stelle jeden­falls keine überzeu­gende Konkretisierung von Art. 10 Abs. 2 DBA CH-LUX dar (E. 4).

Sodann äusserte sich das Bun­des­gericht zur Frage, ob Ver­wal­tungsverord­nun­gen ganz all­ge­mein und das KS 13 im Konkreten als Ver­trauensgrund­lage mit Blick auf den Grund­satz von Treu und Glauben im Sinn von Art. 5 Abs. 3 und Art 9 BV herange­zo­gen wer­den kön­nten. Dies verneinte es auf­grund des generell-abstrak­ten Charak­ters von Ver­wal­tungsverord­nun­gen, woge­gen nur indi­vidu­ell-konkrete Zusicherung ein schutzwürdi­ges Ver­trauen erweck­en kön­nen (E. 5.1).

Schliesslich beleuchtete das Bun­des­gericht die Sache unter dem Aspekt des Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bots gemäss Art. 8 BV Es stellte fest, zwar müsse sich jede Änderung der Recht­sprechung müsse sich auf ern­sthafte sach­liche Gründe stützen kön­nen, die umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder nicht mehr zeit­gemäss erkan­nte Recht­san­wen­dung für zutr­e­f­fend erachtet wor­den sei. Diese Anforderun­gen stelle das Bun­des­gericht aber in erster Lin­ie an Änderun­gen sein­er eige­nen Recht­sprechung. Demge­genüber beste­he grund­sät­zlich kein Anspruch darauf, dass das Bun­des­gericht die Prax­is ein­er unter­ge­ord­neten Instanz befolge. Dies käme ein­er Bindung des Bun­des­gerichts an die Recht­sauf­fas­sung der unter­ge­ord­neten Instanz gle­ich, die mit der Rolle des Bun­des­gerichts nicht vere­in­bar wäre (E. 5.2).

Ein Anspruch auf Aufrechter­hal­tung ein­er vom Bun­des­gericht als geset­zeswidrig erkan­nten Prax­is ein­er unter­ge­ord­neten Instanz komme im Einzelfall nur aus­nahm­sweise unter den stren­gen Voraus­set­zun­gen in Frage, welche die Recht­sprechung für den Anspruch auf Gle­ich­be­hand­lung im Unrecht aufgestellt habe (E. 5.3).

Es befand, falls die ESTV in der Prax­is auch Borg­ern die Ver­rech­nungss­teuer zurück­er­stat­tet habe, die wie die Beschw­erde­führerin ein­er rechtlichen Verpflich­tung zur Weit­er­leitung der Div­i­dende unter­la­gen und deshalb nicht als Nutzungs­berechtigte einzustufen waren, wäre diese Prax­is rechtswidrig gewe­sen. Aus ein­er solchen rechtswidri­gen Prax­is könne die Beschw­erde­führerin aber nichts zu ihren Gun­sten ableit­en. Denn die ESTV habe vor Bun­des­gericht nicht zu erken­nen gegeben,

«diese gegebe­nen­falls rechtswidrige Prax­is selb­st bei einem ihr wider­sprechen­den Urteil des Bun­des­gerichts beibehal­ten zu wollen. Damit ist gemäss der Recht­sprechung davon auszuge­hen, dass die ESTV spätestens auf­grund des vor­liegen­den Urteils zu ein­er recht­mäs­si­gen Prax­is überge­hen wird.» (E. 5.3.4)

All dies führte zur Abweisung der Beschwerde.