4A_407/2021: “execution only”-Vertrag; Geschäfte, die von einem Bankangestellten ohne Erlaubnis des Kunden ausgeführt wurden; Klage auf Erfüllung oder auf Haftung

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil ins­beson­dere, dass einem Bankkun­den, der Opfer eines Fehlver­hal­tens eines Bankangestell­ten gewor­den ist, eine Haf­tungsklage im Sinne von Art. 398 Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 101 OR (und nicht eine Klage auf Erfül­lung) zur Ver­fü­gung steht.

Hin­ter­grund war eine “exe­cu­tion only”-Beziehung, welche ein Bankkunde mit ein­er Gen­fer Bank einge­gan­gen war. Es wurde mithin wed­er ein Ver­mö­gensver­wal­tungs- noch ein Anlage­ber­atungs­man­dat erteilt. Der Bankangestellte führte zahlre­iche Transak­tio­nen auf dem Kon­to des Bankkun­den ohne dessen Zus­tim­mung durch. Strit­tig blieben elf Transak­tio­nen in Euro und eine Transak­tion in Pfund Ster­ling. Bei diesen zwölf Transak­tio­nen han­delte es sich um Über­weisun­gen an Dritte ohne Gegen­leis­tung, Über­weisun­gen mit Gegen­leis­tung in Aktien, Aktienkäufe und Forex-Transak­tio­nen. Mit ein­er einzi­gen Aus­nahme führten diese Transak­tio­nen zu Ver­lus­ten für den Kun­den. In der inter­nen Unter­suchung wurde fest­gestellt, dass es zu ille­galen Aktiv­itäten und Betrügereien gekom­men war, wie z.B. die Ver­wen­dung von Kun­den­geldern für per­sön­liche Zwecke des Bankmitarbeiters.

Der Bankkunde klagte daraufhin vor den Gen­fer Gericht­en gegen die Bank. In erster Lin­ie klagte er auf Ver­tragser­fül­lung und forderte die Rück­gabe sein­er Guthaben, und in zweit­er Lin­ie machte er eine Haf­tung für die Nichter­fül­lung des Ver­trags gel­tend und ver­langte Schaden­er­satz. Die Gen­fer Gerichte hiessen die Klage teil­weise gut, unter­schieden sich indessen in der Beurteilung: Während das erstin­stan­zliche Gericht den Fall anhand der Regeln der Haf­tung der Bank prüfte, da ein Fehlver­hal­ten des Bankangestell­ten vor­lag, beurteilte die Beru­fungsin­stanz den Fall als Klage auf Ver­tragser­fül­lung, d.h. auf Rück­gabe der vom Bankkun­den bei der Bank deponierten Ver­mö­genswerte, da es keinen Grund sah, Transak­tio­nen, die ohne Anweisun­gen von einem Bankangestell­ten aus­ge­führt wer­den, anders zu behan­deln als Transak­tio­nen, die ohne Anweisun­gen von einem unbefugten Drit­ten aus­ge­führt werden.

Vor Bun­des­gericht erhob die Beschw­erde führende Bank fol­gende drei Rügen:

Irrtüm­liche Fest­stel­lung ein­er Leis­tungsklage (Ver­stoss gegen Art. 97 OR): Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an seine hin­sichtlich der Qual­i­fika­tion der Bankbeziehung ergan­gene Recht­sprechung (E. 4.1) sowie daran, dass eine Bank, die Bankgeschäfte ohne Weisung oder Zus­tim­mung des Kun­den aus­führt, für den daraus entste­hen­den Schaden des Kun­den nach den Regeln der Geschäfts­führung ohne Auf­trag hafte (Art. 419 ff. OR), während die Nicht- oder Schlechter­fül­lung der vom Kun­den erteil­ten Aufträge zum Kauf oder Verkauf von Wert­pa­pieren den Regeln des Kom­mis­sionsver­trags unter­liege (E. 4.2).

Sodann erwog das Bun­des­gericht, dass bei Verun­treu­un­gen von Kun­denguthaben durch einen Bankangestell­ten, die somit ohne Anweisun­gen und ohne Zus­tim­mung des Kun­den aus­ge­führt wur­den, der Schaden beim Kun­den entste­he und die Bank dafür nach Art. 398 Abs. 2 und Art. 97 ff. OR hafte. In ein­er solchen Sit­u­a­tion kön­nten wed­er die Regeln über die Geschäfts­führung ohne Auf­trag (vol­lkom­men oder unvol­lkom­men) noch die Regeln über den Kom­mis­sionsver­trag direkt angewen­det wer­den. Vielmehr han­dle es sich um uner­laubte Hand­lun­gen im Sinne von Art. 41 OR, die von einem Angestell­ten der Bank began­gen wur­den. Während der Kunde zwar in den Genuss des Zusam­men­wirkens von delik­tis­ch­er und ver­traglich­er Klage komme, hafte die Bank gemäss Art. 101 OR ver­traglich für die Hand­lun­gen ihrer Hil­f­sper­son. Sie hafte, so das Bun­des­gericht weit­er, selb­st dann, wenn die Hand­lun­gen rechtswidrig seien, denn für ein Verur­sachen ein­er Hand­lung der Hil­f­sper­son in Erfül­lung ihrer Arbeit im Sinne von Art. 101 Abs. 1 OR genüge es, dass sie durch einen funk­tionalen Zusam­men­hang in den all­ge­meinen Rah­men der Auf­gaben der Hil­f­sper­son falle. Obwohl die Bege­hung ein­er uner­laubten Hand­lung nie eine eigentliche Auf­gabe eines Arbeit­nehmers sei, beste­he den­noch ein funk­tionaler Zusam­men­hang, sobald die began­gene Hand­lung in den all­ge­meinen Rah­men sein­er Tätigkeit­en falle (E. 4.2).

Diese Fälle uner­laubter Hand­lun­gen, welche die ver­tragliche Haf­tung der Bank aus­lösen wür­den, seien von den Fällen zu unter­schei­den, in denen die Bank Ein­zahlun­gen oder Über­weisun­gen vom Kon­to des Kun­den an einen Drit­ten vornehme, weil sie die fehlende Legit­i­ma­tion des Auf­tragge­bers oder das Vorhan­den­sein ein­er Fälschung nicht erkan­nt hätte. Gemäss der Recht­sprechung gehörten Legit­i­ma­tion­s­män­gel oder nicht ent­deck­te Fälschun­gen eben­so wie die Insol­venz des Kun­den zu den Risiken, die dem Bankgeschäft innewohnen (s. hierzu bere­its einen früheren Beitrag). Es han­dle sich hier­bei um Aus­nah­men von der all­ge­meinen Regelung der ver­traglichen Haf­tung in Art. 398 Abs. 2 und Art. 97 ff. OR. Vor­be­hal­ten blieben im Übri­gen der Fall, dass die Parteien in analoger Anwen­dung von Art. 100 und Art. 101 Abs. 3 OR eine Risiko­trans­fer­k­lausel vere­in­bart hät­ten, wonach das Risiko von der Bank auf den Kun­den überge­he, sofern die Bank nicht grob fahrläs­sig gehan­delt habe (E. 4.3).

Vor­liegend haben der Bankangestellte die strit­ti­gen zwölf Transak­tio­nen ohne Anweisun­gen und ohne Zus­tim­mung des Kun­den durchge­führt. Es han­dle sich somit nicht um Ein­zahlun­gen oder Über­weisun­gen, welche die Bank tätigte, weil sie die fehlende Voll­macht des Auf­tragge­bers oder das Vor­liegen ein­er Fälschung nicht erkan­nt hätte, son­dern um eine Ver­let­zung der Sorgfalts- und Treuepflicht durch die Bank, welche durch eine ihrer Hil­f­sper­so­n­en began­gen wor­den sei. Damit ver­füge der kla­gende Kunde nicht über eine Leis­tungsklage, son­dern über eine Haf­tungsklage im Sinne von Art. 398 Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 101 OR (E. 4.4).

Fehler­hafte Fest­stel­lung des Schadens (Ver­stoss gegen Art. 55 ZPO, Art. 8 ZGB und Art. 42 OR): Angesichts der vorste­hen­den Erwä­gun­gen kon­nte sich der Bankkunde vor­liegend nicht, wie bei ein­er Leis­tungsklage, damit beg­nü­gen, die Rück­er­stat­tung der Beträge zu ver­lan­gen, die er selb­st (oder Dritte) auf sein Kon­to eingezahlt hät­ten. Vielmehr müsse er, so dass Bun­des­gericht, seinen Schaden im Sinne der Dif­feren­zthe­o­rie nach­weisen (E. 5.1).

Mit Bezug auf die Transak­tion in Pfund Ster­ling hielt das Bun­des­gericht fest, dass seit­ens der Vorin­stanz — da diese zu Unrecht davon aus­ge­gan­gen sei, dass eine Leis­tungsklage vor­liege und der Bankkunde keinen Schaden nach­weisen müsse — keine Tat­sachen­fest­stel­lun­gen fest­gestellt wor­den wären. Entsprechend könne, so das Bun­des­gericht, über diese Transak­tion nicht entsch­ieden wer­den, son­dern die Sache müsse in diesem Punkt an das kan­tonale Gericht zurück­ver­wiesen wer­den (E. 5.2.1).

Hin­sichtlich der elf strit­ten Euro-Transak­tio­nen hat­te der Bankkunde indessen nicht nur auf Erfül­lung geklagt, son­der hil­f­sweise auch den Ersatz des Schadens gel­tend gemacht, der ihm durch die Nichter­fül­lung des Ver­trags ent­standen sei. Die dies­bezüglichen Rügen der Beschw­erde­führerin wies das Bun­des­gericht alle­samt als unbe­grün­det ab. Da die kan­tonalen Gerichte den Schaden gemäss Art. 42 Abs. 1 OR für jede Transak­tion genau berech­net hat­ten, war ins­beson­dere die Rüge der Ver­let­zung von Art. 42 Abs. 2 OR gegen­stand­s­los (E. 5.2.2).

Mitver­schulden des Kun­den zu Unrecht verneint: Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an seine Recht­sprechung, wonach das Mitver­schulden des Geschädigten den adäquat­en Kausalzusam­men­hang unter­brechen oder den ihm zuste­hen­den Schaden­er­satz min­dern könne (E. 6.1).

Die Beschw­erde­führerin machte als Mitver­schulden zunächst gel­tend, dass der Bankkunde seine ban­klagern­den Unter­la­gen nicht einge­se­hen habe und sich mit den vom Bankangestell­ten vor­bere­it­eten Zusam­men­fas­sun­gen beg­nügt hätte (E. 6.2). Das Kan­ton­s­gericht erwog dies­bezüglich, dass sich die Bank nicht auf die Rest­bank- und Rekla­ma­tion­sklauseln sowie deren Emp­fangs- und Annah­me­fik­tio­nen berufen kon­nte, ohne ihr Recht zu miss­brauchen, da der Bankangestell­ter die ban­klagernde Klausel und das Ver­trauen des Kun­den aus­genutzt habe, um zu dessen Nachteil zu han­deln, und da der Kunde keinen Grund gehabt habe, damit zu rech­nen, dass seine ban­klagernde Post ungewöhn­liche Ele­mente enthal­ten würde, da die Bankbeziehung vom Typ exe­cu­tion only sei. Zudem erwog das Kan­ton­s­gericht, dass sich die beklagte Bank angesichts der Fehler des Bankangestell­ten und der Ver­säum­nisse der Bank bei der Überwachung ihrer Mitar­beit­er und der Ver­wal­tung der Kun­den­dossiers nicht auf eine man­gel­nde Sorgfalt des Kun­den bei der Ein­sicht in seine Bankko­r­re­spon­denz berufen könne. Schliesslich könne, so das Kan­ton­s­gericht, dem Kun­den nicht vorge­wor­fen wer­den, nicht auf die Lek­türe gefälschter Kon­toauszüge reagiert zu haben, da er keinen Grund gehabt habe, die Erk­lärun­gen, die ihm der Bankangestellte gegeben habe, in Frage zu stellen (E. 6.2.1). Vor Bun­des­gericht drang die Bank mit­tels der von ihr erhobe­nen Willkür­rüge nicht durch (E. 6.2.2).

Sodann sah die Bank ein Mitver­schulden des Bankkun­den darin, dass er im Jahr 2007 den Kauf von Fonds-Anteilen, der ohne seine Genehmi­gung erfol­gt wäre, ent­deckt hätte, und dass jede vernün­ftige Per­son in der gle­ichen Sit­u­a­tion hätte prüfen wollen, ob weit­ere Transak­tio­nen ohne seine Genehmi­gung erfol­gt wären (E. 6.3). Dies­bezüglich kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass das Gen­fer Kan­ton­s­gericht ein­er­seits zum Schluss gekom­men sei, dass der Kunde von den Investi­tio­nen in diesen Fonds durch den Bankangestell­ten ohne Anweisun­gen wusste, und daher seinen Anspruch für diese Investi­tion zurück­weise, es jedoch ander­er­seits fes­thalte, dass der Kunde keinen Grund gehabt hätte, zu erwarten, dass seine ban­klagernde Post so ungewöhn­liche Ele­mente enthal­ten würde, da die Bankbeziehung vom Typ “exe­cu­tion only” war. Indem es das Mitver­schulden des Bankkun­den mit dieser Begrün­dung auss­chliesse, ver­falle das Kan­ton­s­gericht in Willkür. Aus dem Sachver­halt gehe, so das Bun­des­gericht weit­er, her­vor, dass in den fraglichen Fonds mehrfach investiert wor­den wäre. Das Bun­des­gericht könne jedoch anhand des fest­gestell­ten Sachver­halts nicht bes­tim­men, ab welchem Zeit­punkt und unter welchen Umstän­den der Bankkunde gewusst habe oder hätte ver­muten müssen, dass der Bankangestellte ohne seine Anweisun­gen Geschäfte tätigte, und zwar nicht nur in diesem Fonds. Entsprechend könne durch das Bun­des­gericht nicht beurteilt wer­den, ab wann der Bankkunde hätte reagieren kön­nen und müssen, indem er sich direkt bei der Bank erkundigt hätte. Demzu­folge ste­he nicht fest, welche Betrugs­fälle dadurch hät­ten ver­hin­dert wer­den kön­nen. Entsprechend hob das Bun­des­gericht das ange­focht­ene Urteil auch in diesem Punkt auf (E. 6.3.2).