Im Entscheid 2D_10/2024 vom 11. November 2025 äussert sich das Bundesgericht zur Thematik der Willkür im Submissionsverfahren.
Sachverhalt und Prozessgeschichte
Die Gemeinde St. Moritz («Vergabebehörde») schrieb am 11. November 2020 für ein Bauvorhaben die Elektroinstallationen Starkstrom im offenen Verfahren aus. Das preisgünstigste von vier eingegangenen Angeboten erhielt mit Verfügung vom 4. Februar 2021 den Zuschlag; Das Angebot der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) B.
Gegen die Zuschlagsverfügung gelangte die Beschwerdeführerin an das Verwaltungsgericht Graubünden. Sie beanstandete unter anderem, ein Mitglied der ARGE habe in der Vergangenheit gegen die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags verstossen. Die ARGE hätte deshalb vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Die Beschwerde wurde mit Urteil vom 24. Juni 2021 abgewiesen. Hiergegen gelangte die Beschwerdeführerin erstmals ans Bundesgericht, welches ihr mit Entscheid vom 11. Mai 2022 Recht gab. Das Bundesgericht begründete seinen Entscheid damit, dass das Verwaltungsgericht trotz Vorliegens von substanziierten und konkreten Anhaltspunkten für Verstösse gegen die massgeblichen Bestimmungen betreffend Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen die Überprüfung unterlassen habe, ob die ARGE die Bestimmungen im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung eingehalten habe.
Nachdem das Verwaltungsgericht daraufhin Unterlagen und Akten von Lohnbuchkontrollverfahren betreffend das Unternehmen D. (Teil der ARGE) sichtete, kam es zum Ergebnis, dass keine Verfehlungen festgestellt wurden. Die Beschwerdeführerin verlangte die Edition weiterer Unterlagen, insbesondere auch der beiden anderen Unternehmen der ARGE. Das Verwaltungsgericht wies diesen Antrag der Beschwerdeführerin und deren Beschwerde mit Urteil vom 26. März 2024 ab. Es erwog, dass es im Zeitpunkt des Zuschlags am 4. Februar 2021 weder einen Verstoss der ARGE B. gegen die massgeblichen Arbeitsbedingungen gemäss dem Gesamtarbeitsvertrag noch eine falsche Selbstdeklaration feststellen könne. Hiergegen gelangte die Beschwerdeführerin mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht.
Erwägungen
Unvollständige Beweisabnahme
Ein Hauptkritikpunkt der Beschwerdeführerin war, dass die Vorinstanz nur die Einhaltung der Eignungskriterien durch das Unternehmen D. geprüft habe – nicht aller Unternehmen, die Teil der ARGE bildeten (und damit den Zuschlag erhielten). Trotz entsprechender Beweisanträge der Beschwerdeführerin habe die Vorinstanz bei der Paritätischen Landeskommission der Schweizerischen Elektrobranche keine weiteren Auskünfte und Dokumente zu den anderen beiden Mitgliedern der ARGE eingeholt. Damit habe die Vorinstanz den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und den Sachverhalt in willkürlicher Weise unvollständig festgestellt.
Das Bundesgericht erwog diesbezüglich, dass aus Art. 29 Abs. 2 BV kein genereller Anspruch auf eine Beweisabnahme resultiere, wenn eine Behörde aufgrund der bereits abgenommenen oder aktenkundigen Beweise ihre Überzeugung gebildet habe und ohne Willkür annehmen könne, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (vgl. BGE 144 II 427 E. 3.1.3; 141 I 60 E. 3.3; 136 I 229 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3).In der vorliegenden Angelegenheit hätten lediglich beim Unternehmen D. konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, die massgeblichen Arbeitsbedingungen möglicherweise nicht eingehalten wurden. Zu den beiden anderen Mitgliedern der ARGE habe die Vorinstanz erwogen, dass die Paritätische Landeskommission der Schweizerischen Elektrobranche bestätigt habe, dass bei der C. auf eine Lohnbuchkontrolle verzichtet worden sei und bei der E. keine Anhaltspunkte für Unregelmässigkeiten bestünden. Die Vorinstanz habe, so das Bundesgericht, vor diesem Hintergrund, ohne in Willkür zu verfallen, in antizipierter Beweiswürdigung auf die Einholung von weiteren Unterlagen verzichten dürfen. Sie habe zudem davon ausgehen dürfen, dass die Angaben in den Selbstdeklarationen der C. und der E. zutreffend seien. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung könne nämlich vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass die Selbstdeklarationen in den Offerten in jedem Detailpunkt verifiziert werden. Vielmehr dürfte sich die Vergabebehörde bis zu einem gewissen Grad darauf verlassen, dass die Anbieterin ihren Pflichten nachkomme und die Angaben der Wahrheit entsprechen, solange kein konkreter gegenteiliger Hinweis besteht (vgl. Urteile 2C_608/2021 vom 11. Mai 2022 E. 4.4.5; 2C_346/2013 vom 20. Januar 2014 E. 1.3.3). Es liege weder eine Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV vor noch sei der Sachverhalt unter Verletzung von verfassungsmässigen Rechten festgestellt worden (E. 4.4).
Willkür
Recht gab das Bundesgericht der Beschwerdeführerin aber betreffend die Frage, ob eine Anbieterin vom Vergabeverfahren auszuschliessen ist, wenn sie massgebliche Arbeitsbedingungen nicht eingehalten hatte – und selbst erst nach Offerteinreichung davon Kenntnis erlangt: Die Vorinstanz hatte erwogen, das Unternehmen D. AG die Selbstdeklaration wahrheitsgemäss ausgefüllt habe, da die Anbieterin erst nach Offerteinreichung von den im Rahmen der Lohnbuchkontrolle festgestellten Verstössen Kenntnis erlangt habe; und sei in der Folge nicht vom Verfahren auszuschliessen. Das Bundesgericht teilte die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass diese vorinstanzliche Erwägung im Ergebnis willkürlich sei.
Das Bundesgericht hielt dazu fest, dass es im Grundsatz der Vergabebehörde obliege zu prüfen, ob im Zeitpunkt des Zuschlagsentscheids die Eignungskriterien erfüllt sind (vgl. BGE 145 II 249 E. 3.3; Urteile 2C_717/2020 vom 11. Januar 2021 E. 1.3.4; 2D_17/2020 vom 30. November 2020 E. 1.2.3 ff.; 2C_111/2018 vom 2. Juli 2019 E. 3.3.1). Ein Angebot werde von der Berücksichtigung insbesondere dann ausgeschlossen, wenn der Anbieter den massgeblichen Bestimmungen betreffend Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen nicht nachkomme. Die Vorinstanz habe somit im zweiten Rechtsgang prüfen müssen, ob die Beschwerdegegnerin im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung die Arbeitsbedingungen eingehalten hatte oder ob die Vergabebehörde die Beschwerdegegnerin vom Vergabeverfahren hätte ausschliessen müssen. Im Lichte der von der Vorinstanz festgestellten Verstösse des Unternehmens erschliesse sich unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots nicht, weshalb die Vorinstanz nicht zum Schluss gelangt sei, dass die Beschwerdeführerin auszuschliessen sei. Der unterbliebene Ausschluss aus dem Vergabeverfahren verstosse gegen das Willkürverbot von Art. 9 BV.
Ergebnis
Im Ergebnis wurde die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gutgeheissen und die Rechtswidrigkeit des Zuschlags vom 4. Februar 2021 festgestellt.