2D_14/2024 vom 19. Mai 2025: Rechtsfolgen für einen rechtswidrig abgeschlossenen Beschaffungsvertrag

Im Entscheid 2D_14/2024 vom 19. Mai 2025 beurteilt das Bun­des­gericht die Rechts­fol­gen eines rechtswidrig abgeschlosse­nen Beschaffungsvertrags.

Sachver­halt

Die Volkss­chul­ge­meinde Wän­gi (Ver­gabebe­hörde) schrieb Bauleis­tun­gen im offe­nen Ver­fahren aus. In der Auss­chrei­bung auf simap.ch wurde als Frist zur Ein­re­ichung des Ange­bots der 28. Juni 2023, 16.00 Uhr, angegeben. In den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen wurde hinge­gen ohne Uhrzei­tangabe fest­ge­hal­ten, dass Ange­bote bis zum 28. Juni 2023 ein­gere­icht wer­den müssten. Ins­ge­samt fünf Anbi­eter reicht­en eine Offerte ein, darunter auch die Beschw­erde­führerin, welche ihr Ange­bot am 28. Juni 2023 um 21.47 Uhr per­sön­lich in den Briefkas­ten der Ver­gabebe­hörde einge­wor­fen hatte.

Die Beschw­erde­führerin belegte gemäss dem Offer­töff­nung­spro­tokoll den ersten Platz. Sie wurde allerd­ings am 4. August 2023 vom Ver­fahren und der Ver­gabe aus­geschlossen, da sie, so die Ver­gabebe­hörde, die Eingabefrist ver­passt habe. In einem weit­eren Schreiben gle­ichen Datums teilte die Ver­gabebe­hörde der Beschw­erde­führerin mit, dass der Zuschlag ein­er anderen Teil­nehmerin (Zuschlagsempfän­gerin) erteilt werde.  Am 5. Sep­tem­ber 2023 schloss die Ver­gabestelle den Ver­trag mit der Zuschlagsempfän­gerin ab.

Entscheid des Ver­wal­tungs­gerichts des Kan­tons Thurgau

Gegen den Ver­fahren­sauss­chluss gelangte die Beschw­erde­führerin an das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Thur­gau. Dieses hiess die Beschw­erde in dem Sinne gut, als es fest­stellte, dass der Auss­chluss aus dem Ver­gabev­er­fahren rechtswidrig erfol­gt sei, da das Ange­bot am 28. Juni 2023 um 21.47 Uhr frist­gerecht bei der Ver­gabebe­hörde einge­gan­gen sei. Die Ver­gabebe­hörde habe zudem mit dem Abschluss des Ver­trages am 5. Sep­tem­ber 2023 gegen die Still­hal­teregelung gemäss Art. 42 Abs. 1 IVöB ver­stossen. Da sich der Rechtss­chutz bei rechtswidrig abgeschlosse­nen Beschaf­fungsverträ­gen in der Fest­stel­lung der Rechtswidrigkeit (vor­liegend der Auss­chlussver­fü­gung) erschöpfe, so das Ver­wal­tungs­gericht weit­er, müsse die Frage der Recht­mäs­sigkeit des Ver­tragsab­schlusses jedoch nicht abschliessend beurteilt werden.

Gegen diesen Entscheid gelangte die Beschw­erde­führerin an das Bundesgericht.

Entscheid des Bundesgerichts

Das Bun­des­gericht behan­delte die Frage, ob sich der Rechtss­chutz auch bei ver­gaberechtswidrig abgeschlosse­nen Beschaf­fungsverträ­gen in der Fest­stel­lung der Rechtswidrigkeit der Zuschlags- bzw. Auss­chlussver­fü­gung (vgl. Art. 58 Abs. 2 IVöB), gegebe­nen­falls in Kom­bi­na­tion mit der Gel­tend­machung von Schaden­er­satzansprüchen (vgl. Art. 58 Abs. 3 IVöB), erschöpft (so die Vorin­stanz) oder ob darüber hin­aus Kon­se­quen­zen für den Beschaf­fungsver­trag sowie die Zuschlags- bzw. Auss­chlussver­fü­gung resul­tieren (so die Beschwerdeführerin).

Das Bun­des­gericht kam — ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Vorin­stanz — zum Ergeb­nis, dass rechtswidrige Abschlüsse von Beschaffugnsverträ­gen für diese sehr wohl Kon­se­quen­zen haben könnten:

Vor­liegend sei der Ver­tragsab­schluss am 5. Sep­tem­ber 2023 um 10.00 Uhr, d.h. am Mor­gen des ersten Tages nach Ablauf der Beschw­erde­frist, zu früh erfol­gt, was einen klaren Ver­stoss gegen Art. 42 Abs. 1 IVöB begründe (E. 5.3.1). Art. 58 Abs. 2 IVöB, der im Falle bere­its abgeschlossen­er Verträge den Sekundär­rechtss­chutz bei begrün­de­ten Beschw­er­den regelt, erfasse indes nur ver­gaberecht­skon­form abgeschlossene Beschaf­fungsverträge; was hier nicht der Fall sei (E. 5.4.1). Für diesen Fall des rechtswidri­gen Ver­tragsab­schlusses sehe die Muster­botschaft andere Rechts­fol­gen vor:

«Wurde der Ver­trag ver­früht geschlossen […], kann das Gericht den Auf­tragge­ber unter Umstän­den anweisen, den Ver­trag auf den näch­sten ver­traglich zuläs­si­gen Zeit­punkt hin zu kündi­gen und den Beschaf­fungs­ge­gen­stand ordentlich dem Wet­tbe­werb zu unter­stellen, sofern die Leis­tun­gen nicht mit inter­nen Ressourcen des Auf­tragge­bers erbracht wer­den» (Muster­botschaft IVöB, S. 100 zu Art. 58 Abs. 2 IVöB).

Aus diesen Grün­den erscheine es offen­sichtlich unhalt­bar – sprich willkür­lich – den Rechtss­chutz bei während laufend­er Still­hal­te­frist (Art. 42 Abs. 1 IVöB) abgeschlosse­nen Beschaf­fungsverträ­gen auf die Fest­stel­lung der Rechtswidrigkeit (und allen­falls die Gel­tend­machung von Schaden­er­satz) zu beschränken. Vielmehr seien Sank­tio­nen des Primär­rechtss­chutzes angezeigt; Art. 58 Abs. 2 IVöB finde in solchen Fällen grund­sät­zlich keine Anwen­dung (E. 5.4.5). Betr­e­f­fend die Form, in welch­er der Primär­rechtss­chutz konkret zum Tra­gen komme, seien ver­schiedene Lösungsan­sätze denkbar (E. 6). Die Voraus­set­zun­gen der Nichtigkeit (Art. 20 Abs. 1 OR), seien vor­liegend eher nicht erfüllt (E. 6.2.2). Die Beschw­erde­in­stanz könne die Ver­gabebe­hörde aber etwa gerichtlich anweisen, einen ver­früht abgeschlosse­nen Ver­trag im Rah­men der beste­hen­den ver­traglichen Möglichkeit­en aufzulösen oder zu verän­dern, um eine (möglichst) ver­gaberecht­skon­forme Lage der Dinge herzustellen (E. 6.3.2).

Die Vorin­stanz hätte daher die Möglichkeit gehabt, einen effek­tiv­en Primär­rechtss­chutz zu gewährleis­ten. Die Beschränkung des Rechtss­chutzes auf die sub­sidiären Instru­mente gemäss Art. 58 Abs. 2 IVöB sei im Ergeb­nis unhalt­bar. Damit habe die Vorin­stanz ihre Kog­ni­tion, welche es unter den gegebe­nen Umstän­den erlaubte bzw. ger­adezu erforderte, die Möglichkeit der Gewährung von Primär­rechtss­chutz zu prüfen, in willkür­lich­er Weise nicht aus­geschöpft und der konkreten Inter­essen­lage keine Rech­nung getra­gen (E. 7). Die Vorin­stanz habe im ange­focht­e­nen Entscheid in willkür­lich­er Art und Weise nicht geprüft, ob im vor­liegen­den Fall Primär­rechtss­chutz gewährt wer­den kann – was sie nachzu­holen habe (E. 8).

Faz­it

Die Beschw­erde erwies sich als begrün­det und wurde gut­ge­heis­sen. Die Sache wurde im Sinne der Erwä­gun­gen zu neuer Entschei­dung an das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Thur­gau zurückgewiesen.