2C_708/2011: Anforderungen an Betriebsstätten im Ausland dürfen “etwas höher gesteckt werden” (amtl. Publ.)

Das BGer hat im Entscheid u.a. fest­ge­hal­ten, dass

  • die uni­lat­eralen Regelun­gen, mit denen ein­seit­ig eine Dop­pelbesteuerung ver­mieden wer­den soll, ten­den­ziell eher zugun­sten des Besteuerungsrechts der Schweiz auszule­gen sind (E. 3.1.2); 
  • für Betrieb­sstät­ten im Aus­land die Anforderun­gen etwas höher gesteckt wer­den dür­fen als für Betrieb­sstät­ten in der Schweiz; jeden­falls mit Blick auf die “Ausübung der Geschäft­stätigkeit” (E. 3.1.2); 
  • [offen­bar] bei einem von der kant. Steuer­be­hörde gewährten Rul­ing betr­e­f­fend direk­te Steuern die Bindungswirkung gegenüber der ESTV fraglich sein kann, wenn diese bei der Gewährung nicht mitein­be­zo­gen wor­den ist (E. 4.3.2).

Im Sachver­halt geht es im Wesentlichen um die Finanzge­sellschaft (Sitz in ZG) ein­er grösseren Gruppe, deren Hauptzweck die “Erbringung von Dien­stleis­tun­gen im Finanzbere­ich an Konz­ernge­sellschaften” ist. Gemäss eigen­er Darstel­lung unter­hält die Finanzge­sellschaft zu diesem Zweck eine Betrieb­sstätte auf den Cay­man Islands; dort gehen vier Teilzeit-Mitar­bei­t­ende (mit je 20 Stel­len­prozent) in gemieteten Büros ihrer Arbeit nach.

Mit einem “Rul­ing” vom 10. August 1999 zwis­chen der Finanzge­sellschaft und der Steuerver­wal­tung des Kan­tons Zug wur­den für den Fall, dass die Finanzierung über eine aus­ländis­che Betrieb­sstätte ein­er Schweiz­er Finanzierungs­ge­sellschaft erfolge, “die der aus­ländis­chen Betrieb­sstätte zuzurech­nen­den Gewinne von der Besteuerung (…) in der Schweiz ausgenom­men”. Bis und mit Steuer­jahr 2004 schied die Steuerver­wal­tung den Net­to­fi­nanz­er­trag der Finanzge­sellschaft aus der Dar­lehens­gewährung gegenüber den Grup­penge­sellschaften voll­ständig zu Gun­sten der Betrieb­stätte auf den Cay­man Islands aus. Im Ver­lauf des Jahres 2004 nahm die kan­tonale Steuerver­wal­tung auf Anweisung der ESTV Abklärun­gen betr­e­f­fend den Bestand der Betrieb­sstätte vor. Im Feb­ru­ar 2005 teilte die kan­tonale Steuerver­wal­tung der Finanzge­sellschaft mit, dass die ESTV der Auf­fas­sung sei, auf den Cay­man Islands werde keine Geschäft­stätigkeit im Sinne ein­er Betrieb­sstätte aus­geübt; entsprechend habe die ESTV die kan­tonale Steuerver­wal­tung aufge­fordert, die inter­na­tionale Steuer­auss­chei­dung im Ver­hält­nis zur Zweignieder­las­sung auf den Cay­man Islands ab 1. Jan­u­ar 2005 zu verweigern.

Strit­tig war also ins­beson­dere, ob die Finanzge­sellschaft auf den Cay­man Islands ihre Geschäft­stätigkeit ausübte.

Aus den Erwä­gun­gen des BGer:

(E. 2.4.1)Vorab ist festzustellen, dass das DBG die Betrieb­sstätte juris­tis­ch­er Per­so­n­en lediglich in ein­er Bes­tim­mung definiert, näm­lich wie bere­its erwäh­nt in DBG 51 II. Ent­ge­gen der Ansicht der Beschw­erde­führerin lässt sich demge­genüber aus DBG 52 III kein Hin­weis auf die Def­i­n­i­tion der Betrieb­sstätte ent­nehmen. Diese Bes­tim­mung regelt vielmehr unter der Mar­gin­alie “Umfang der Steuerpflicht”, wie die Steuer­auss­chei­dung zwis­chen mehreren Steuer­dom­izilen vorzunehmen ist. […] Bere­its daraus ergibt sich, dass dieser Bes­tim­mung keine Regelung für nur ger­ade ein­er der bei­den möglichen Sachver­haltssi­t­u­a­tio­nen, d.h. eine aus­ländis­che Betrieb­sstätte ein­er inländis­chen juris­tis­chen Per­son, ent­nom­men wer­den kann. Hinzu kommt, dass die Inter­pre­ta­tion von DBG 52 III durch die Beschw­erde­führerin auch die Sys­tem­atik der geset­zlichen Regelun­gen mis­sachtet. Das Gesetz definiert zuerst die Begriffe der per­sön­lichen und wirtschaftlichen Zuge­hörigkeit und danach den sich daraus ergeben­den Umfang der Steuerpflicht. Erst als Drittes erfol­gt sodann die Bes­tim­mung, wie die Abgren­zung der Steuerpflicht für ver­schiedene Neben­s­teuer­dom­izile, d.h. die Vor­nahme der Steuer­auss­chei­dung, im Ver­hält­nis zum Aus­land erfol­gen soll.

(E. 2.4.2) Abge­se­hen von der sys­tem­a­tis­chen Einord­nung der Begriff­sum­schrei­bung sind kein­er­lei Anhalt­spunk­te dafür ersichtlich, dass der Geset­zge­ber den Begriff der Betrieb­sstätte unter­schiedlich fes­tle­gen wollte, je nach­dem ob sich die Betrieb­sstätte im In- oder Aus­land befind­et. Den Mate­ri­alien lässt sich nichts Der­ar­tiges ent­nehmen. […] Vielmehr ist mit der über­wiegen­den Lehre festzustellen, dass die geset­zliche Einord­nung des Betrieb­sstät­ten­be­griffes unter DBG 51 (wirtschaftliche Zuge­hörigkeit) zwar unglück­lich gewählt wurde, sich daraus jedoch kein­er­lei weit­erge­hende Schlüsse ziehen lassen.

Dass die Finanzge­sellschaft eine Betrieb­sstätte auf den Cay­man Islands unter­hielt, war nicht streitig.

(E. 3.1.2) Umstrit­ten ist dage­gen, ob die Beschw­erdegeg­ner­in in diesen Ein­rich­tun­gen teil­weise ihre Geschäft­stätigkeit, im Sinne der in Art. 51 Abs. 2 DBG definierten Regelung, aus­geübt hat. [… ] Unter der Wen­dung “in der die Geschäft­stätigkeit […] ganz oder teil­weise aus­geübt wird” lassen sich grund­sät­zlich sämtliche mit der Erfül­lung des statu­tarischen Zweck­es im weitesten Sinn in Zusam­men­hang ste­hende Aktiv­itäten sub­sum­ieren ungeachtet ihrer Bedeu­tung inner­halb der Gesam­tun­ternehmung. Diese unter­schiedlichen Zielset­zun­gen der uni­lat­eralen Regelung sind ins­beson­dere auch im Zusam­men­hang mit den dop­pelbesteuerungsrechtlichen Regelun­gen zu beacht­en, die sich — wenn auch nicht im vor­liegen­den Fall, jedoch sehr häu­fig — auf­grund der Zuweisung von Besteuerungs­befug­nis­sen durch Dop­pelbesteuerungsabkom­men ergeben. Daraus ergibt sich, dass die uni­lat­eralen Regelun­gen, mit denen ein­seit­ig eine Dop­pelbesteuerung ver­mieden wer­den soll, ten­den­ziell eher zugun­sten des Besteuerungsrechts der Schweiz auszule­gen sind, greift doch bei ein­er zu starken Aus­dehnung dieses Besteuerungsrechts im All­ge­meinen — d.h. soweit ein Abkom­men Anwen­dung find­et — die abkom­men­srechtliche Regelung kor­rigierend ein (vgl. DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 120). Die sich daraus ergebende Dif­feren­zierung, je nach­dem ob das Vor­liegen ein­er Betrieb­sstätte im Inland oder ein­er solchen im Aus­land zu beurteilen ist, ergibt sich dem­nach aus tele­ol­o­gis­chen Über­legun­gen: Es soll mit uni­lat­eralen Mass­nah­men zwar eine Regelung getrof­fen wer­den, welche die Gefahr ein­er dop­pel­ten Besteuerung ver­min­dert, dabei soll jedoch nach Möglichkeit ver­hin­dert wer­den, dass auf­grund dieser Regelung eine dop­pelte Nichtbesteuerung resul­tiert, wird doch Let­zteres durch bilat­erale Dop­pelbesteuerungsabkom­men, denen keineswegs all­ge­mein der Gedanke zugrunde liegt, dop­pelte Nichtbesteuerung zu ver­mei­den, höch­stens in bes­timmten Kon­stel­la­tio­nen aus­geschlossen (vgl. MICHAEL LANG, Dou­ble non-tax­a­tion, Gen­er­al­bericht, in: cahi­er de droit fis­cal inter­na­tion­al, Vol 89a 2004). In Bezug auf die Betrieb­sstät­ten­de­f­i­n­i­tion ergibt sich daraus, dass für Betrieb­sstät­ten im Aus­land die Anforderun­gen etwas höher gesteckt wer­den dür­fen als für Betrieb­sstät­ten in der Schweiz. Betrieb­sstät­ten im Aus­land sind daher in zweifel­haften Fällen auf­grund der unbeschränk­ten Steuerpflicht in der Schweiz ten­den­ziell der Steuerpflicht in der Schweiz zu unter­w­er­fen und ein­er allen­falls dro­hen­den Dop­pelbesteuerung ist in solchen Fällen mit­tels Her­anziehung entsprechen­der DBA ent­ge­gen­zutreten, soweit solche beste­hen.

Zur Bindungswirkung des Rul­ings im konkreten Fall hielt das BGer u.a. fest

(E. 4.3) So ist etwa unklar, ob die ESTV für die Erteilung der Steuer­auskun­ft mitein­be­zo­gen wor­den ist, was eine direk­te Wirkung des Ver­trauenss­chutzes des Steuerpflichti­gen auch gegenüber der ESTV ent­fal­ten würde (SCHREIBER/JAUN/KOBIERSKI, a.a.O., S. 331). Aus den Akten ergibt sich einzig, dass das Steuer­rul­ing von der kan­tonalen Steuerver­wal­tung genehmigt und unterze­ich­net wor­den ist, soweit ersichtlich jedoch nicht von der ESTV.

Die Frage wurde vom BGer aber offen gelassen, weil in tat­säch­lich­er Hin­sicht nicht klar war, inwiefern die ESTV mit Bezug auf das Rul­ing ein­be­zo­gen wor­den war.