Das BGer hatte im vorliegenden Verfahren erneut in der causa Hirschmann zu entscheiden. Das BGer hatte sich bereits im Urteil 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 mit der Berichterstattung über Carl Hirschmann zu befassen, weshalb man hier auch von einer causa Medien sprechen könnte; wir haben dazu berichtet. Im vorliegenden Urteil äussert sich das BGer zu einigen grundlegenden Fragen, was eine etwas ausführliche Zusammenfassung hoffentlich rechtfertigt.
Hintergrund des vorliegenden Urteils war eine Klage von Hirschmann gegen u.a. Tamedia („Tages Anzeiger“), 20 Minuten und Espace Media („Berner Zeitung“, „Bund“) vor dem HGer Zürich vom Februar 2011. Das HGer hatte die Klage zwar teilweise gutgeheissen, war in wesentlichen Punkten auf die Klage aber nicht eingetreten bzw. hatte sie abgewiesen, insbesondere auch betr. Gewinnherausgabe und Schadenersatz. Das BGer hiess eine Beschwerde gegen dieses Urteil im genannten Entscheid vom Mai 2015 teilweise gut und wies die Sache an das HGer zurück, u.a. betr. die Ansprüche auf Gewinnherausgabe und auf Genugtuung.
Das Handelsgericht hatte darauf (im Februar 2016) ein neues Urteil gefällt, wobei die Ansprüche Gewinnherausgabe und Schadenersatz erneut abgewiesen wurden. Dagegen ist Hirschmann nochmals ans BGer gelangt, das die Beschwerde gutheisst. Insbesondere bejaht es das Vorliegen einer persönlichkeitsverletzenden Medienkampagne. Zur Beurteilung in diversen Punkten — insbesondere zur Frage der Gewinnherausgabe und der Genugtuung — weist es die Sache im Übrigen — mit ungewöhnlich scharfen Worten — nochmals ans HGer ZH zurück, das insbesondere die Höhe des Gewinnherausgabeanspruchs zu beurteilen hat; ansonsten steht dieser Anspruch nunmehr fest.
In der Sache ging es zunächst um die Frage, ob ein bestimmter Artikel persönlichkeitsverletzend war. Das BGer erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass
[…] sich ein Medienhaus der Verantwortung für seine Berichterstattung nicht mit dem Hinweis entziehen kann, bloss die Behauptungen eines Dritten wiedergegeben zu haben […]. Diese Rechtsprechung gilt nicht nur bei der Beurteilung der Frage, ob eine Presseäusserung gegen die Unschuldsvermutung verstösst, sondern ganz allgemein […], also auch hier, wo der Wahrheitsgehalt der verbreiteten Presseinhalte streitig ist.
Bei der Frage der Verletzung selbst spielt es ferner keine Rolle, ob ein Artikel eine „subjektiv geschilderte Geschichte“ wiedergibt oder feststehende Tatsachen unterstellt:
Die Persönlichkeit verletzen können sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Meinungsäusserungen, Kommentare und Werturteile; dabei ist nicht von Belang, ob eine behauptete Tatsache die Wahrheit richtig oder falsch, unvollständig oder ungenau wiedergibt bzw. ob die geäusserte Kritik fundiert ist. Wie der Beschwerdeführer richtig betont, genügt es vielmehr, dass die betroffene Person in den Augen eines durchschnittlichen Betrachters in ihrem Ansehen herabgesetzt wird […]
Das BGer beurteilt den fraglichen Artikel in 20 Minuten daher abweichend vom HGer als persönlichkeitsverletzend. Im Rechtfertigungspunkt weist das BGer die Sache ans HGer zurück.
Interessant sind sodann die Ausführungen zur Frage, ob gegen Hirschmann eine persönlichkeitverletzende Medienkampagne geführt wurde. Das HGer hatte hierzu festgehalten, die Medien hätten sich regelrecht auf das Ereignis — Hirschmanns Verhaftung und Untersuchungshaft — gestürzt, und durch die Ausschlachtung und Skandalisierung und die Summe der Einzelberichte bestünde durchaus die Gefahr, dass ein falscher Anschein verursacht werde; im konkreten Fall sei dies jedoch zu verneinen. Das BGer trifft in diesem Zusammenhang einige Feststellungen grundsätzlicher Natur; zunächst zur Bedeutung der Wahrheit der Berichterstattung für die Persönlichkeitsverletzung:
Berühren die von den Medien verbreiteten Presseinhalte diese Individualrechtsgüter, so kann eine Persönlichkeitsverletzung auch dann gegeben sein, wenn die Medien in ihrer Berichterstattung die Wahrheit wiedergeben […]. […]. Vielmehr ist auch hier letztlich ausschlaggebend, ob die Berichte in die Geheim- oder Privatsphäre eingreifen oder die betroffene Person auf unzulässige Weise in ihrem Ansehen herabsetzen. Nicht anders verhält es sich mit der Beachtung der Unschuldsvermutung: […] Jede allein von ihrem Gegenstand her auch erlaubte Presseäusserung findet ihre Grenze im Recht des Einzelnen auf Achtung der Privatsphäre. Der Einzelne braucht sich eine dauernde Beobachtung nicht gefallen zu lassen. Er soll — in gewissen Grenzen — selbst bestimmen dürfen, wer welches Wissen über ihn haben darf […]. Von diesem legitimen Diskretionsbedürfnis können nicht nur Medienberichte erfasst sein, die — beispielsweise wegen unpräziser Äusserungen über den Stand eines Strafverfahrens — das Ansehen einer Person in der Öffentlichkeit beeinträchtigen, sondern Publikationen beliebiger Art, sofern sie einen im Einzelfall zu konkretisierenden schutzwürdigen Bereich des Privaten nicht respektieren […].
Interessanterweise ist das Datenschutzrecht auch hier — wie bereits in den früheren Urteilen i.S. Hirschmann — kein Thema (vgl. dazu das Rückweisungsurteil 5A_658/2014, E. 6.6), trotz „iura novit curia“, auch nicht die durchaus strittige Frage, ob und inwieweit das Datenschutzrecht auf Medienveröffentlichungen Anwendung findet.
Sodann äussert sich das BGer zur Bedeutung der Digitalisierung auf die Frage, wann die Berichterstattung durch Medien die von Art. 28 ZGB geforderte Eingriffsintensität erreicht:
[…] ist zu beachten, dass die Presseäusserung dank technischer Mittel einen ungleich grösseren Personenkreis erreicht als eine private Äusserung, und dass sie auch später aufs Neue zur Kenntnis genommen werden kann. Wegen dieses technischen Vorsprungs verschiebt sich die Grenze zwischen Gemein- und Privatbereich zugunsten des von einer Presseäusserung Betroffenen. Diese Erkenntnisse aus dem Jahre 1960 (JÄGGI, a.a.O., S. 244a) gelten erst recht im heutigen Zeitalter der Digitalisierung, in welchem die Medien personenbezogene Informationen in beliebigem Umfang speichern, verknüpfen und reproduzieren können, so dass sich auch Informationen, die im Prinzip harmlos und ohne Weiteres der Öffentlichkeitssphäre zuzurechnen wären, zu schützenswerten Persönlichkeitsprofilen verdichten können (BGE 138 II 346 E. 8.2 S. 359).
Im konkreten Fall führen diese Überlegungen das BGer zum Schluss, dass die Persönlichkeit von Hirschmann durch die Medienkampagne klarerweise verletzt wurde.
Mit Bezug auf die Rechtfertigung prüft das BGer zunächst die Frage eines öffentlichen Interesses; genauer:
Was die Rechtfertigung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse betrifft, geht es im Kern um die Frage, ob darunter auch die kollektive Klatschsucht fällt, welche die Medienkampagne bedient
Zwar führt das BGer die Rechtsprechung fort, dass es keine strikte Unterscheidung zwischen der gerechtfertigten Unterhaltung einerseits und allenfalls gerechtfertigter informativer Berichterstattung gibt. Allerdings:
Je weiter die reine Unterhaltung als von den Medien bedientes Bedürfnis in den Vordergrund rückt, desto schwerer fällt es, ein (überwiegendes) öffentliches Interesse anzunehmen […].
Im konkreten Fall vermag das BGer kein nennenswertes Informationsbedürfnis zu erkennen:
Wie sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen ergibt, konzentrierten sich die Beschwerdegegnerinnen in der Medienkampagne nicht darauf, dem Publikum Klarheit über den Fortgang des Strafverfahrens zu verschaffen […]. Stattdessen beteiligten sie sich am Medienrummel rund um den Beschwerdeführer, indem sie eine Vielzahl von Berichten veröffentlichten, die sich immer um dasselbe Thema drehten. Um den Schwung dieses medialen Karussells aufrechtzuerhalten, bauschten sie die Berichte mit weiteren (angeblichen) Episoden aus dem Leben des Beschwerdeführers von untergeordneter Bedeutung auf.
Im Ergebnis blieb es daher bei einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung.
In der Folge ging es u.a. um den Anspruch auf Gewinnherausgabe, wobei sich hier v.a. prozessuale Fragen stellten. Das HGer hatte einen solchen Anspruch abgewiesen, weil die Klage den Anspruch trotz OR 42 II nicht substantiiert habe und das Editionsbegehren zur Abschätzung des Gewinns nicht ausreichend bestimmt sei.
Das BGer hält hierzu entgegen dem HGer fest, dass die Anforderungen nach OR 42 II an die Substanziierung des Hauptsacheanspruchs (hier des Gewinnherausgabeanspruchs) nicht in gleicher Weise auch für die Substanziierung des Nebenanspruchs auf Auskunft und Rechnungslegung gelten.
Wie oben ausgeführt, ist die Stufenklage (bloss) ein prozessualer Modus. Das materielle Recht, nach dem allein sich die Substanziierung eines Anspruchs richtet, wird dadurch nicht beeinflusst. Nun beschlagen die Substanziierungsanforderungen, an denen die Vorinstanz die Klage scheitern lässt, aber nicht den Anspruch auf Herausgabe der relevanten Unterlagen […], sondern offensichtlich […] die nach Art. 42 Abs. 2 OR vorzunehmende Schätzung des herausverlangten Gewinns. […]
Schon für den Informationsanspruch die Substanziierung des Hauptanspruchs zu verlangen, ist aber nicht sachgerecht, dient doch der erstgenannte Anspruch gerade der Konkretisierung des Letzteren […]
Mithin vermengt das Handelsgericht den Haupt- und den Nebenanspruch bzw. die jeweiligen Anforderungen an die Substanziierung dieser Ansprüche in einer Weise, die es dem Beschwerdeführer verunmöglicht, den ihm grundsätzlich zustehenden Anspruch auf Gewinnherausgabe gerichtlich durchzusetzen.
Für die Konkretisierung des Editionsanspruchs hält das BGer sodann folgendes fest:
Da der Kläger noch gar nicht weiss, was genau der Inhalt der ihm zustehenden Informationen ist, kann von ihm nicht verlangt werden, jeden verlangten Beleg einzeln zu bezeichnen. Vielmehr muss es genügen, wenn er mit seinem Antrag Klarheit darüber schafft, zu welchem Zweck er worüber Auskunft oder Rechnungslegung verlangt und für welchen Zeitraum und in welcher Form er dies begehrt […]. Lautet die Klage auf Rechnungslegung, braucht er nicht anzugeben, wie die Rechnung zu lauten habe, soll ihm doch die Rechnungslegung erst Kenntnis von den Abrechnungsverhältnissen verschaffen (BGE 116 II 215 E. 4a S. 219 f. mit Hinweis). Verlangt er mit Blick auf einen konkreten Zweck nicht genau bestimmte Unterlagen, so ist es es Sache des Beklagten, die Auswahl der Belege vorzunehmen […]. Ist das Informationsbegehren zwar klar, aber zu umfassend formuliert, hat der Richter es in geeigneter Weise einzugrenzen und den Antrag im Übrigen abzuweisen.
Das BGer heisst die Beschwerde daher auch in diesen Punkt gut. Das HGer hat den Anspruch auf Gewinnherausgabe daher gutzuheissen und dessen Höhe ggf. unter Anwendung von OR 42 II zu bestimmen.
Schliesslich setzt sich das BGer mit dem Genugtuungsanspruch von Hirschmann auseinander. Hier hat das HGer das Recht Hirschmanns auf Beweis verletzt, indem es von vornherein offenliess, ob eine seelische Unbill vorlag, weil sich eine solche nicht allein durch eine Parteibefragung beweisen lasse, sondern zusätzliche Beweise erfordere, die zu beantragen der Beschwerdeführer versäumt habe. Es sei unzulässig, wie hier Beweismittel von vornherein zu verwerfen, ohne sich im Einzelfall ein Urteil darüber zu bilden, ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht den im Rahmen der Parteibefragung gewonnenen Aussagen ein Beweiswert zukommt.
Ferner hat das HGer zunächst überspitzt formalistisch gehandelt, als es eine Beweisofferte nur auf die Frage der immateriellen Unbill bezog, aber nicht auch auf die Frage der natürlichen Kausalität zwischen der Medienkampagne und einer seelischen Unbill. Weshalb für letzteres ein gesonderter Beweisantrag erforderlich sein soll, sei nicht ersichtlich.
Mithin überspannt das Handelsgericht die Anforderungen an die Zergliederung des Tatsachenvortrags […] und der dazugehörigen Beweisanträge in der Klageschrift. Damit versperrt das Handelsgericht dem Beschwerdeführer den Rechtsweg auf unzulässige Weise und verstösst so gegen das Verbot des überspitzten Formalismus […].
Das HGer wird daher zum drittem Mal entscheiden und dabei den — vermutlich nicht unerheblichen — Anspruch auf Gewinnherausgabe und den Anspruch auf Genugtuung materiell beurteilen müssen, im Einklang mit dem Vorgaben des BGer in diesem Urteil.