5A_256/2016 — Hirschmann II: Persönlichkeitsverletzung durch Medienkampagne; Substantiierung bei Stufenklage; erneute Rückweisung ans HGer ZH (amtl. Publ.)

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Ver­fahren erneut in der causa Hirschmann zu entschei­den. Das BGer hat­te sich bere­its im Urteil 5A_658/2014 vom 6. Mai 2015 mit der Berichter­stat­tung über Carl Hirschmann zu befassen, weshalb man hier auch von ein­er causa Medi­en sprechen kön­nte; wir haben dazu berichtet. Im vor­liegen­den Urteil äussert sich das BGer zu eini­gen grundle­gen­den Fra­gen, was eine etwas aus­führliche Zusam­men­fas­sung hof­fentlich rechtfertigt.

Hin­ter­grund des vor­liegen­den Urteils war eine Klage von Hirschmann gegen u.a. Tame­dia („Tages Anzeiger“), 20 Minuten und Espace Media („Bern­er Zeitung“, „Bund“) vor dem HGer Zürich vom Feb­ru­ar 2011. Das HGer hat­te die Klage zwar teil­weise gut­ge­heis­sen, war in wesentlichen Punk­ten auf die Klage aber nicht einge­treten bzw. hat­te sie abgewiesen, ins­beson­dere auch betr. Gewinnher­aus­gabe und Schaden­er­satz. Das BGer hiess eine Beschw­erde gegen dieses Urteil im genan­nten Entscheid vom Mai 2015 teil­weise gut und wies die Sache an das HGer zurück, u.a. betr. die Ansprüche auf Gewinnher­aus­gabe und auf Genugtuung.

Das Han­dels­gericht hat­te darauf (im Feb­ru­ar 2016) ein neues Urteil gefällt, wobei die Ansprüche Gewinnher­aus­gabe und Schaden­er­satz erneut abgewiesen wur­den. Dage­gen ist Hirschmann nochmals ans BGer gelangt, das die Beschw­erde gutheisst. Ins­beson­dere bejaht es das Vor­liegen ein­er per­sön­lichkeitsver­let­zen­den Medi­enkam­pagne. Zur Beurteilung in diversen Punk­ten — ins­beson­dere zur Frage der Gewinnher­aus­gabe und der Genug­tu­ung — weist es die Sache im Übri­gen — mit ungewöhn­lich schar­fen Worten — nochmals ans HGer ZH zurück, das ins­beson­dere die Höhe des Gewinnher­aus­gabeanspruchs zu beurteilen hat; anson­sten ste­ht dieser Anspruch nun­mehr fest.

In der Sache ging es zunächst um die Frage, ob ein bes­timmter Artikel per­sön­lichkeitsver­let­zend war. Das BGer erin­nert in diesem Zusam­men­hang daran, dass

[…] sich ein Medi­en­haus der Ver­ant­wor­tung für seine Berichter­stat­tung nicht mit dem Hin­weis entziehen kann, bloss die Behaup­tun­gen eines Drit­ten wiedergegeben zu haben […]. Diese Recht­sprechung gilt nicht nur bei der Beurteilung der Frage, ob eine Presseäusserung gegen die Unschuldsver­mu­tung ver­stösst, son­dern ganz all­ge­mein […], also auch hier, wo der Wahrheits­ge­halt der ver­bre­it­eten Pres­sein­halte stre­it­ig ist.

Bei der Frage der Ver­let­zung selb­st spielt es fern­er keine Rolle, ob ein Artikel eine „sub­jek­tiv geschilderte Geschichte“ wiedergibt oder fest­ste­hende Tat­sachen unter­stellt:

Die Per­sön­lichkeit ver­let­zen kön­nen sowohl Tat­sachen­be­haup­tun­gen als auch Mei­n­ungsäusserun­gen, Kom­mentare und Wer­turteile; dabei ist nicht von Belang, ob eine behauptete Tat­sache die Wahrheit richtig oder falsch, unvoll­ständig oder unge­nau wiedergibt bzw. ob die geäusserte Kri­tik fundiert ist. Wie der Beschw­erde­führer richtig betont, genügt es vielmehr, dass die betrof­fene Per­son in den Augen eines durch­schnit­tlichen Betra­chters in ihrem Anse­hen her­abge­set­zt wird […]

Das BGer beurteilt den fraglichen Artikel in 20 Minuten daher abwe­ichend vom HGer als per­sön­lichkeitsver­let­zend. Im Recht­fer­ti­gungspunkt weist das BGer die Sache ans HGer zurück.

Inter­es­sant sind sodann die Aus­führun­gen zur Frage, ob gegen Hirschmann eine per­sön­lichkeitver­let­zende Medi­enkam­pagne geführt wurde. Das HGer hat­te hierzu fest­ge­hal­ten, die Medi­en hät­ten sich regel­recht auf das Ereig­nis — Hirschmanns Ver­haf­tung und Unter­suchung­shaft — gestürzt, und durch die Auss­chlach­tung und Skan­dal­isierung und die Summe der Einzel­berichte bestünde dur­chaus die Gefahr, dass ein falsch­er Anschein verur­sacht werde; im konkreten Fall sei dies jedoch zu verneinen. Das BGer trifft in diesem Zusam­men­hang einige Fest­stel­lun­gen grund­sät­zlich­er Natur; zunächst zur Bedeu­tung der Wahrheit der Berichter­stat­tung für die Per­sön­lichkeitsver­let­zung:

Berühren die von den Medi­en ver­bre­it­eten Pres­sein­halte diese Indi­vid­u­al­rechts­güter, so kann eine Per­sön­lichkeitsver­let­zung auch dann gegeben sein, wenn die Medi­en in ihrer Berichter­stat­tung die Wahrheit wiedergeben […]. […]. Vielmehr ist auch hier let­ztlich auss­chlaggebend, ob die Berichte in die Geheim- oder Pri­vat­sphäre ein­greifen oder die betrof­fene Per­son auf unzuläs­sige Weise in ihrem Anse­hen her­ab­set­zen. Nicht anders ver­hält es sich mit der Beach­tung der Unschuldsver­mu­tung: […] Jede allein von ihrem Gegen­stand her auch erlaubte Presseäusserung find­et ihre Gren­ze im Recht des Einzel­nen auf Achtung der Pri­vat­sphäre. Der Einzelne braucht sich eine dauernde Beobach­tung nicht gefall­en zu lassen. Er soll — in gewis­sen Gren­zen — selb­st bes­tim­men dür­fen, wer welch­es Wis­sen über ihn haben darf  […]. Von diesem legit­i­men Diskre­tions­bedürf­nis kön­nen nicht nur Medi­en­berichte erfasst sein, die — beispiel­sweise wegen unpräzis­er Äusserun­gen über den Stand eines Strafver­fahrens — das Anse­hen ein­er Per­son in der Öffentlichkeit beein­trächti­gen, son­dern Pub­lika­tio­nen beliebiger Art, sofern sie einen im Einzelfall zu konkretisieren­den schutzwürdi­gen Bere­ich des Pri­vat­en nicht respek­tieren […].

Inter­es­san­ter­weise ist das Daten­schutzrecht auch hier — wie bere­its in den früheren Urteilen i.S. Hirschmann — kein The­ma (vgl. dazu das Rück­weisung­surteil 5A_658/2014, E. 6.6), trotz „iura novit curia“, auch nicht die dur­chaus strit­tige Frage, ob und inwieweit das Daten­schutzrecht auf Medi­en­veröf­fentlichun­gen Anwen­dung findet.

Sodann äussert sich das BGer zur Bedeu­tung der Dig­i­tal­isierung auf die Frage, wann die Berichter­stat­tung durch Medi­en die von Art. 28 ZGB geforderte Ein­griff­s­in­ten­sität erre­icht:

[…] ist zu beacht­en, dass die Presseäusserung dank tech­nis­ch­er Mit­tel einen ungle­ich grösseren Per­so­n­enkreis erre­icht als eine pri­vate Äusserung, und dass sie auch später aufs Neue zur Ken­nt­nis genom­men wer­den kann. Wegen dieses tech­nis­chen Vor­sprungs ver­schiebt sich die Gren­ze zwis­chen Gemein- und Pri­vat­bere­ich zugun­sten des von ein­er Presseäusserung Betrof­fe­nen. Diese Erken­nt­nisse aus dem Jahre 1960 (JÄGGI, a.a.O., S. 244a) gel­ten erst recht im heuti­gen Zeital­ter der Dig­i­tal­isierung, in welchem die Medi­en per­so­n­en­be­zo­gene Infor­ma­tio­nen in beliebigem Umfang spe­ich­ern, verknüpfen und repro­duzieren kön­nen, so dass sich auch Infor­ma­tio­nen, die im Prinzip harm­los und ohne Weit­eres der Öffentlichkeitssphäre zuzurech­nen wären, zu schützenswerten Per­sön­lichkeit­spro­filen verdicht­en kön­nen (BGE 138 II 346 E. 8.2 S. 359).

Im konkreten Fall führen diese Über­legun­gen das BGer zum Schluss, dass die Per­sön­lichkeit von Hirschmann durch die Medi­enkam­pagne klar­erweise ver­let­zt wurde.

Mit Bezug auf die Recht­fer­ti­gung prüft das BGer zunächst die Frage eines öffentlichen Inter­ess­es; genauer:

Was die Recht­fer­ti­gung durch ein über­wiegen­des öffentlich­es Inter­esse bet­rifft, geht es im Kern um die Frage, ob darunter auch die kollek­tive Klatschsucht fällt, welche die Medi­enkam­pagne bedient

Zwar führt das BGer die Recht­sprechung fort, dass es keine strik­te Unter­schei­dung zwis­chen der gerecht­fer­tigten Unter­hal­tung ein­er­seits und allen­falls gerecht­fer­tigter infor­ma­tiv­er Berichter­stat­tung gibt. Allerdings:

Je weit­er die reine Unter­hal­tung als von den Medi­en bedi­entes Bedürf­nis in den Vorder­grund rückt, desto schw­er­er fällt es, ein (über­wiegen­des) öffentlich­es Inter­esse anzunehmen […].

Im konkreten Fall ver­mag das BGer kein nen­nenswertes Infor­ma­tions­bedürf­nis zu erken­nen:

Wie sich aus den vorin­stan­zlichen Fest­stel­lun­gen ergibt, konzen­tri­erten sich die Beschw­erdegeg­ner­in­nen in der Medi­enkam­pagne nicht darauf, dem Pub­likum Klarheit über den Fort­gang des Strafver­fahrens zu ver­schaf­fen […]. Stattdessen beteiligten sie sich am Medi­en­rum­mel rund um den Beschw­erde­führer, indem sie eine Vielzahl von Bericht­en veröf­fentlicht­en, die sich immer um das­selbe The­ma dreht­en. Um den Schwung dieses medi­alen Karus­sells aufrechtzuer­hal­ten, bauscht­en sie die Berichte mit weit­eren (ange­blichen) Episo­den aus dem Leben des Beschw­erde­führers von unter­ge­ord­neter Bedeu­tung auf.

Im Ergeb­nis blieb es daher bei ein­er wider­rechtlichen Persönlichkeitsverletzung.

In der Folge ging es u.a. um den Anspruch auf Gewinnher­aus­gabe, wobei sich hier v.a. prozes­suale Fra­gen stell­ten. Das HGer hat­te einen solchen Anspruch abgewiesen, weil die Klage den Anspruch trotz OR 42 II nicht sub­stan­ti­iert habe und das Edi­tions­begehren zur Abschätzung des Gewinns nicht aus­re­ichend bes­timmt sei.

Das BGer hält hierzu ent­ge­gen dem HGer fest, dass die Anforderun­gen nach OR 42 II an die Sub­stanzi­ierung des Haupt­sacheanspruchs (hier des Gewinnher­aus­gabeanspruchs) nicht in gle­ich­er Weise auch für die Sub­stanzi­ierung des Nebe­nanspruchs auf Auskun­ft und Rech­nungsle­gung gelten.

Wie oben aus­ge­führt, ist die Stufen­klage (bloss) ein prozes­sualer Modus. Das materielle Recht, nach dem allein sich die Sub­stanzi­ierung eines Anspruchs richtet, wird dadurch nicht bee­in­flusst. Nun beschla­gen die Sub­stanzi­ierungsan­forderun­gen, an denen die Vorin­stanz die Klage scheit­ern lässt, aber nicht den Anspruch auf Her­aus­gabe der rel­e­van­ten Unter­la­gen […], son­dern offen­sichtlich […] die nach Art. 42 Abs. 2 OR vorzunehmende Schätzung des her­ausver­langten Gewinns. […]

Schon für den Infor­ma­tion­sanspruch die Sub­stanzi­ierung des Haup­tanspruchs zu ver­lan­gen, ist aber nicht sachgerecht, dient doch der erst­ge­nan­nte Anspruch ger­ade der Konkretisierung des Letzteren […]

Mithin ver­mengt das Han­dels­gericht den Haupt- und den Nebe­nanspruch bzw. die jew­eili­gen Anforderun­gen an die Sub­stanzi­ierung dieser Ansprüche in ein­er Weise, die es dem Beschw­erde­führer verun­möglicht, den ihm grund­sät­zlich zuste­hen­den Anspruch auf Gewinnher­aus­gabe gerichtlich durchzusetzen.

Für die Konkretisierung des Edi­tion­sanspruchs hält das BGer sodann fol­gen­des fest:

Da der Kläger noch gar nicht weiss, was genau der Inhalt der ihm zuste­hen­den Infor­ma­tio­nen ist, kann von ihm nicht ver­langt wer­den, jeden ver­langten Beleg einzeln zu beze­ich­nen. Vielmehr muss es genü­gen, wenn er mit seinem Antrag Klarheit darüber schafft, zu welchem Zweck er worüber Auskun­ft oder Rech­nungsle­gung ver­langt und für welchen Zeitraum und in welch­er Form er dies begehrt […]. Lautet die Klage auf Rech­nungsle­gung, braucht er nicht anzugeben, wie die Rech­nung zu laut­en habe, soll ihm doch die Rech­nungsle­gung erst Ken­nt­nis von den Abrech­nungsver­hält­nis­sen ver­schaf­fen (BGE 116 II 215 E. 4a S. 219 f. mit Hin­weis). Ver­langt er mit Blick auf einen konkreten Zweck nicht genau bes­timmte Unter­la­gen, so ist es es Sache des Beklagten, die Auswahl der Belege vorzunehmen […]. Ist das Infor­ma­tions­begehren zwar klar, aber zu umfassend for­muliert, hat der Richter es in geeigneter Weise einzu­gren­zen und den Antrag im Übri­gen abzuweisen.

Das BGer heisst die Beschw­erde daher auch in diesen Punkt gut. Das HGer hat den Anspruch auf Gewinnher­aus­gabe daher gutzuheis­sen und dessen Höhe ggf. unter Anwen­dung von OR 42 II zu bestimmen.

Schliesslich set­zt sich das BGer mit dem Genug­tu­ungsanspruch von Hirschmann auseinan­der. Hier hat das HGer das Recht Hirschmanns auf Beweis ver­let­zt, indem es von vorn­here­in offen­liess, ob eine seel­is­che Unbill vor­lag, weil sich eine solche nicht allein durch eine Parteibefra­gung beweisen lasse, son­dern zusät­zliche Beweise erfordere, die zu beantra­gen der Beschw­erde­führer ver­säumt habe. Es sei unzuläs­sig, wie hier Beweis­mit­tel von vorn­here­in zu ver­w­er­fen, ohne sich im Einzelfall ein Urteil darüber zu bilden, ob und gegebe­nen­falls in welch­er Hin­sicht den im Rah­men der Parteibefra­gung gewonnenen Aus­sagen ein Beweiswert zukommt.

Fern­er hat das HGer zunächst über­spitzt for­mal­is­tisch gehan­delt, als es eine Beweisof­ferte nur auf die Frage der imma­teriellen Unbill bezog, aber nicht auch auf die Frage der natür­lichen Kausal­ität zwis­chen der Medi­enkam­pagne und ein­er seel­is­chen Unbill. Weshalb für let­zteres ein geson­dert­er Beweisantrag erforder­lich sein soll, sei nicht ersichtlich.

Mithin überspan­nt das Han­dels­gericht die Anforderun­gen an die Zer­gliederung des Tat­sachen­vor­trags […] und der dazuge­höri­gen Beweisanträge in der Klageschrift. Damit versper­rt das Han­dels­gericht dem Beschw­erde­führer den Rechtsweg auf unzuläs­sige Weise und ver­stösst so gegen das Ver­bot des über­spitzten Formalismus […].

Das HGer wird daher zum drit­tem Mal entschei­den und dabei den — ver­mut­lich nicht uner­he­blichen — Anspruch auf Gewinnher­aus­gabe und den Anspruch auf Genug­tu­ung materiell beurteilen müssen, im Ein­klang mit dem Vor­gaben des BGer in diesem Urteil.