4A_588/2011: Haftung des Anwalts; Sorgfaltspflichtverletzung; überhöhte Anforderungen an die Substantiierung durch das HGer ZH

Das BGer kassiert ein Urteil des HGer ZH, weil dieses über­höhte Anforderun­gen an die Sub­stan­ti­ierung des Schadens, vor allem aber auch des hypo­thetis­chen Kausalzusam­men­hangs gestellt hat. Das vor­liegende Ver­fahren bet­rifft die Haf­tung ein­er (zumin­d­est damals) als Kollek­tivge­sellschaft organ­isierten Kan­zlei gegenüber ihrem ehe­ma­li­gen Klien­ten für eine Unter­las­sung. Die Kan­zlei hat­te ent­ge­gen der Instruk­tion des Klien­ten in einem Ver­trag über den Auskauf aus ein­er Gesellschaft keine Sal­do- bzw. ein­er Enthaf­tungsklausel aufgenom­men. Der Klient wurde in der Folge für Steuer­nach­forderun­gen haftpflichtig. Das HGer ZH hat­te die Klage gegen die Kan­zlei abgewiesen. Eine Sorgfalt­spflichtver­let­zung liege zwar vor, doch seien Kausalzusam­men­hang und Schaden nicht genü­gend sub­stan­ti­iert worden.

Vor BGer war das Auf­tragsver­hält­nis unbe­strit­ten. Strit­tig war dage­gen die Frage der Sub­stan­ti­ierung des hypo­thetis­chen Kausalzusam­men­hangs zwis­chen der Unter­las­sung (keine Auf­nahme ein­er Sal­dok­lausel) und dem Schaden. Das Beweis­mass dafür ist über­wiegende Wahrschein­lichkeit.

Die Geschädigte hat­te behauptet, bei Auf­nahme ein­er Sal­do- und/oder ein­er Enthaf­tungsklausel wäre sie nicht haftpflichtig gewor­den, und eine solche Klausel wäre von der Gegen­seite überdies akzep­tiert wor­den. Dafür hat­te die Geschädigte konkrete Anhalt­spunk­te aus der dama­li­gen Ver­hand­lungssi­t­u­a­tion ange­führt. Das HGer hat­te der Geschädigten  jedoch vorge­wor­fen, sie habe eine ganze Auswahlsendung möglich­er Kausalver­läufe zur Diskus­sion gestellt. Sie hätte sich jedoch für die wahrschein­lich­ste Möglichkeit entschei­den und dar­legen müssen, inwiefern dieser der “über­wiegend wahrschein­liche” sei. 

Damit hat das HGer ZH die Anforderun­gen an die Sub­stan­ti­ierung des (hypo­thetis­chen) Kausalzusam­men­hangs überhöht:

Wie die Vorin­stanz in ihren rechtlichen Erwä­gun­gen zutr­e­f­fend fes­thält, ist ein direk­ter Beweis eines Kausalzusam­men­hangs zwis­chen dem ent­stande­nen Schaden und ein­er vor­ange­hen­den Unter­las­sung nicht möglich. Das Gericht bewegt sich somit notge­drun­gen in Speku­la­tio­nen, da es die möglichen Fol­gen ein­er nicht vorgenomme­nen Hand­lung zu beurteilen hat ([…]). Angesichts der Unmöglichkeit eines direk­ten Beweis­es sind — ana­log der Schadenss­chätzung nach Art. 42 Abs. 2 OR - tief­ere Anforderun­gen an die Sub­stan­ti­ierung zu stellen; entsprechend sind Sachvor­brin­gen aus­nahm­sweise auch dann als aus­re­ichend sub­stan­ti­iert gel­ten zu lassen, wenn die beste­hen­den Lück­en erst noch durch das Beweisver­fahren geschlossen wer­den müssen ([…]). Es muss der Beschw­erde­führerin angesichts der hypo­thetis­chen Natur des Geschehens­ablaufs bei pflicht­gemässem Han­deln der Beschw­erdegeg­ner­in zudem möglich sein, ver­schiedene Szenar­ien des hypo­thetis­chen Geschehens­ablaufs hin­sichtlich der Ver­tragsver­hand­lun­gen mit B. zu behaupten, die nach ihrer Ansicht zur Ver­mei­dung des behaupteten Schadens geführt hät­ten (vgl. etwa Urteil 4A_144/2009 vom 6. Okto­ber 2009 E. 3.3). Dass von der Beschw­erde­führerin hin­sichtlich der (hypo­thetis­chen) Ver­tragsver­hand­lun­gen bei pflicht­gemäss­er Man­dats­führung keine allzu hohen Anforderun­gen ver­langt wer­den kön­nen, ergibt sich im Übri­gen daraus, dass der Aus­gang der Ver­hand­lun­gen nicht nur von ihren eige­nen Entschei­dun­gen abhing, son­dern auch den­jeni­gen der Ver­tragspartei B., mithin von Umstän­den bee­in­flusst war, die sich ausser­halb ihres Ein­fluss­bere­ichs abspielten.

Das HGer ZH könne auf eine Prü­fung der Klage fern­er nicht mit dem Hin­weis darauf verzicht­en, es sei gän­zlich offen, wie der Entscheid, der die Haf­tung des Klien­ten für Steuer­nach­forderun­gen bejaht hat­te, bei Vor­liegen ein­er Sal­do- bzw. Enthaf­tungsklausel aus­ge­gan­gen wäre. Das HGer hätte gestützt auf Beweis­mit­tel, die Lebenser­fahrung und Annah­men über den gewöhn­lichen Lauf der Dinge eine Überzeu­gung darüber bilden müssen, ob der behauptete Schaden bei Vor­nahme der unter­lasse­nen Hand­lung eben­falls einge­treten wäre.

Das BGer bestätigt zudem, dass die anwaltliche Sorgfalt­spflicht ver­let­zt wurde. Auf­grund der Off­shore-Struk­tur habe ein “gewiss­es Steuer­risiko” im Raum ges­tanden, weshalb es sich aufge­drängt habe, die Auf­nahme ein­er Sal­do- bzw. Enthaf­tungsklausel zu the­ma­tisieren. Die Pflichtwidrigkeit bestand deshalb darin,

die Prob­lematik allfäl­liger weit­er­er Ansprüche zwis­chen den Parteien, die ins­beson­dere auf­grund der kom­plex­en Off­shore-Struk­tur und der damit ver­bun­de­nen — wenn auch aus dama­liger Sicht möglicher­weise gerin­gen — Steuer­risiken nicht auszuschliessen waren, wed­er erkan­nt noch ver­traglich geregelt zu haben, obwohl sich ein Auss­chluss allfäl­liger weit­er­er Forderun­gen der Gegen­seite angesichts des Zwecks des Auskaufs aufge­drängt hätte.