4A_82/2021: Grundversorgungsauftrag der PostFinance

Im vor­liegen­den Urteil des Bun­des­gerichts hiess das Bun­des­gericht eine Beschw­erde von Vik­tor Vek­sel­berg gegen die Post­Fi­nance AG gut und hielt fest, dass die Post­Fi­nance im Jahr 2018 die Geschäfts­beziehung mit Vik­tor Vek­sel­berg nach Ausle­gung der damals gel­tenden Bes­tim­mungen zum Grund­ver­sorgungsauf­trag der Post­Fi­nance zu Unrecht been­det hat. Offen gelassen hat das Bun­des­gericht, ob (i) auch eine erneute Beendi­gung der Geschäfts­beziehung gestützt auf die sei­ther rev­i­dierte Postverord­nung (VPG) unzuläs­sig wäre bzw. ob (ii) der neue Aus­nah­metatbe­stand vom Grund­ver­sorgungsauf­trag des “unver­hält­nis­mäs­sig hohen Aufwands” in Art. 45 Abs. 1 lit. a VPG auf ein­er genü­gen­den geset­zlichen Grund­lage beruht.

Dem Urteil lag zusam­menge­fasst fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Vik­tor Vek­sel­berg ist rus­sis­ch­er Staats­bürg­er mit Wohn­sitz in der Schweiz. Die Post­Fi­nance ist eine Aktienge­sellschaft mit Sitz in Bern und wurde gestützt auf Art. 14 Pos­tor­gan­i­sa­tion­s­ge­setz von der Schweiz­erischen Post AG aus­gegliedert. Gemäss Art. 2 Abs. 2 VPG erfüllt sie die Pflicht zur schweizweit­en Grund­ver­sorgung mit Dien­stleis­tun­gen des Zahlungsverkehrs. Vik­tor Vek­sel­berg wurde im April 2018 im Rah­men der erweit­erten Sank­tio­nen gegen Rus­s­land vom US Office of For­eign Assets Con­trol (OFAC) als Spe­cial­ly Des­ig­nat­ed Nation­al and Blocked Per­son (SDN) auf die Sank­tion­sliste der USA geset­zt. Als Folge ist es U.S. Per­sons ver­boten, Transak­tio­nen mit SDN und mit von SDN zu mehr als 50% kon­trol­lierten Gesellschaften zu täti­gen. Nach­dem die Post­Fi­nance Vik­tor Vek­sel­berg im Novem­ber 2018 ein CHF und ein EUR Kon­to eröffnete, teilte sie ihm kurz darauf mit Schreiben vom 4. Dezem­ber 2018 die Beendi­gung der Geschäfts­beziehung mit und führte als Begrün­dung auf:

Eine Analyse Ihrer Kun­den­datei hat ergeben, dass unsere Strate­gie nicht zu Ihrem Pro­fil passt und/oder dass wir nicht in der Lage sind, unsere Sorgfalt­spflicht­en zu erfüllen.” (aus dem Englis­chen übersetzt)

Da die Grund­ver­sorgungspflicht der Post­Fi­nance nur inländis­che Dien­stleis­tun­gen in Schweiz­er Franken umfasst (vgl. Art. 43 VPG), war in der Folge nur die Aufrechter­hal­tung des CHF Kon­to strit­tig. Gemäss Art. 45 Abs. 1 der Postverord­nung in der bis zum 31. Dezem­ber 2020 gel­tenden Fas­sung (aVPG) kon­nte die Post­Fi­nance Kun­den von der Grund­ver­sorgung auss­chliessen, wenn (a) nationale oder inter­na­tionale Bes­tim­mungen im Bere­ich der Finanzmarkt‑, Geld­wäscherei- oder Embar­goge­set­zge­bung der Erbringung der Dien­stleis­tung wider­sprechen oder (b) schw­er­wiegende Rechts- und Rep­u­ta­tion­ss­chä­den dro­hen. Per 1. Jan­u­ar 2021 wurde die Bes­tim­mung dahinge­hend ergänzt, dass auch wenn die Ein­hal­tung der in lit. (a) oben aufgezählten Geset­zge­bung einen unver­hält­nis­mäs­sig hohen Aufwand verur­sacht, die Post­Fi­nance Kun­den die Grund­ver­sorgung ver­sagen kann.

Gemäss der Vorin­stanz führte die Kontoführung für die Post­Fi­nance zwar wed­er zu einem Wider­spruch mit reg­u­la­torischen Bes­tim­mungen im Sinne von Art. 45 Abs. 1 lit. a aVPG noch dro­ht­en schw­er­wiegende Rechts- oder Rep­u­ta­tion­ss­chä­den gemäss Art. 45 Abs. 1 lit. b aVPG. Trotz­dem entste­he der Post­Fi­nance beim Einge­hen der Geschäfts­beziehung mit Vik­tor Vek­sel­berg mit über­wiegen­der Wahrschein­lichkeit ein unver­hält­nis­mäs­siger Aufwand auf­grund der erhöht­en Sorgfalt­spflicht­en in Zusam­men­hang mit der Lis­tung von Vik­tor Vek­sel­berg als SDN in den USA und die Vorin­stanz leit­ete einen entsprechen­den Aus­nah­megrund auf­grund “unver­hält­nis­mäs­sigem Aufwand” aus der aVPG ab.

Die Vorin­stanz stützte sich dabei ein­er­seits auf den Erläuterungs­bericht des UVEK zur aVPG vom 29. August 2012, in welchem aus­drück­lich fest­ge­hal­ten wurde, dass die Post­Fi­nance nicht zur Einge­hung von Kun­den­beziehun­gen verpflichtet wer­den solle, “die beispiel­sweise zu einem nicht vertret­baren Aufwand bei der Überwachung der Kun­den­beziehun­gen zur Erfül­lung der Sorgfalt­spflicht­en führen”, was für einen im Aufwand liegen­den Aus­nah­megrund spreche. Ander­er­seits stützte sie sich auf eine “gel­tungszeitliche Ausle­gung”, indem sie argu­men­tierte, dass es sich bei der per 1. Jan­u­ar 2021 in Kraft getrete­nen Änderung in Art. 45 Abs. 1 lit. a VPG (siehe oben) nur um eine redak­tionelle Präzisierung des beste­hen­den Recht­szu­s­tandes unter der aVPG handle.

Das Bun­des­gericht stützte diese Ausle­gung nicht und hielt fest, dass der Wort­laut ein­er Bes­tim­mung Aus­gangspunkt der Geset­ze­sausle­gung bildet. Ist er ein­deutig und unmissver­ständlich, darf vom Wort­laut nur abgewichen wer­den, wenn ein triftiger Grund für die Annahme beste­ht, dass der Wort­laut am “wahren Sinn” der Bes­tim­mung vor­beiziele. Eine Geset­zes­re­vi­sion kann bei der Ausle­gung des gel­tenden Rechts im Sinne ein­er Vor­wirkung nur dann berück­sichtigt wer­den, wenn das Sys­tem nicht grund­sät­zlich geän­dert wird, son­dern lediglich eine Konkretisierung des Recht­szu­s­tands bezweckt oder eine Recht­slücke gefüllt wird.

Der Wort­laut der aVPG stützte gemäss Bun­des­gericht jedoch keinen Aus­nah­metatbe­stand auf­grund “unver­hält­nis­mäs­sigem Aufwand” und wed­er aus der Sys­tem­atik, dem Zweck noch der Entste­hungs­geschichte der Bes­tim­mung liessen sich Anhalt­spunk­te ableit­en, um vom klaren Wort­laut der Bes­tim­mung abzuwe­ichen. Daran änderte auch nichts, dass im Erläuterungs­bericht 2012 von “nicht vertret­barem Aufwand” die Rede ist – dabei han­dle es sich nicht um einen trifti­gen Grund. Auch bei der per 1. Jan­u­ar 2021 in Kraft getrete­nen Änderung in Art. 45 Abs. 1 lit. a VPG (siehe oben) han­dle es sich nicht um eine bloss redak­tionelle Über­ar­beitung der aVPG, son­dern um eine zusät­zliche erhe­bliche Ein­schränkung der Kon­trahierungspflicht, weshalb eine Vor­wirkung nicht gerecht­fer­tigt sei.

Auch unter der aktuell gel­tenden VPG ist fraglich, ob die Post­Fi­nance einem Kun­den auf­grund “unver­hält­nis­mäs­sigem Aufwand” die Geschäfts­beziehung ver­sagen kann. Auch wenn dieser Aus­nah­metatbe­stand neu in Art. 45 Abs. 1 lit. a VPG fest­ge­hal­ten ist, hat das Bun­des­gericht expliz­it offen gelassen hat, ob diese neue aufwandbe­d­ingte Ein­schränkung des Grund­ver­sorgungsauf­trags auf ein­er genü­gen­den geset­zlichen Grund­lage beruht.